Welterfahrung im Geheimen

Was das Velo im Menschen nicht alles auslösen kann. In Winterthur betreibt ein Velokurier Kopfkino. Im Kinderbuchklassiker kann die Protagonistin längst auf zwei Rädern fahren – zumindest in der Fantasie.

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Dres Balmer, Julie Nielsen
Kultur, 20.03.2024

Rad des Lebens

Der Velokurier hat die Aufgabe, Gegenstände von einem Ort zum anderen zu transportieren. So viel ist klar. Die Fahrt geht zuerst ganz einfach von A nach B, dann aber subtiler von E nach H, über G nach M und, immer verschlungener, Geschichte um Geschichte, via R bis nach Z und über hundert Umwege zurück auf Feld eins.

Am Anfang war das Frachtgut, doch dann funken plötzlich Menschen dazwischen und schaffen Ungewissheiten wie etwa diese: Wie bloss kommt der offizielle Rucksack der Kurierfirma an den Rücken eines Drogenabhängigen, der auf dem Weg in die Entzugsklinik ist? Wie soll sich der Kurier als schnellster Teilnehmer im trägen städtischen Verkehrsgezuckel aufführen, ohne die anderen zu verärgern?

Der Autor erklärt gleich mehrere Tricks des Windschattenfahrens. Nicht schlecht taugt der Windschatten eines Mopeds für einen oder zwei Fahrer, doch ein Traktor zieht diese gleich im Dutzend mit fünfzig Sachen gratis übers Land. In Geschichten, die einem den Atem rauben, wird die Hackordnung von A über B bis C gnadenlos dargelegt. Da ist der BMW-Fahrer, der die Kuriere auf dem Pannenstreifen beschimpft, schikaniert und ausbremst.

Der Kurier hackt dann seinerseits eine Stufe weiter, und zwar so: Er fährt durch verkehrsfreie Strassen, in denen sich die Fussgänger belästigt fühlen, das wortreich zu verstehen geben und ihm den Untergang wünschen.

Im Lauf der Lektüre ist Velofahren nicht mehr bloss Velofahren, sondern mit all seinen sinnlichen Wahrnehmungen eine Lebens- und Welterfahrung. Spürbar ist da das Phänomen der allmählichen Entstehung der Gedanken beim Radeln, wuchtig sind auch die Illustrationen von Beat Wipf und Cynthia Schemidt.

Kreiseln

Marc Herter,  Verlag Verein Kollegium Essig, Zürich, 2023, 29 Franken

Geheimes Radfahren

Die selbstbewusste Lotta ist fast fünf Jahre alt und eifert ihren grossen Geschwistern nach. So wünscht sie sich zum Geburtstag nichts sehnlicher als ein richtiges Velo. Sie hat nämlich nur ein altes Dreirad, aber mit dem kann man nicht so schön den Berg hinunterrauschen wie der Bruder und die Schwester auf ihren grossen Velos. Ausserdem kann Lotta im Geheimen, sprich: in ihrer Fantasie, längst Velofahren. Deshalb ist es auch an der Zeit, endlich ein richtiges Fahrrad zu besitzen, findet sie.

Zum fünften Geburtstag bekommt Lotta viele schöne Geschenke. Eine Schaukel, ein Bilderbuch, Spielzeugautos und sogar ein funkelndes Armband. Doch das ersehnte Zweirad ist nicht dabei. Lotta ist enttäuscht. Also heckt sie einen Plan aus. Doch weil Lotta noch gar nicht Velo fahren kann – auch nicht im Geheimen –, läuft das Vorhaben nicht ganz rund.

Der Kinderbuchklassiker der bekannten schwedischen Autorin Astrid Lindgren ist ein Bilderbuch mit ausdrucksstarken Illustrationen von Ilon Wikland und eignet sich für Kinder ab vier Jahren. Für kleine Velo­abenteurer und solche, die es noch werden wollen, ist die Geschichte ein passender Begleiter, um sich mit dem ersten Velo auseinanderzusetzen. Kleine Kinder können sich gut mit dem warmherzigen Charme der gewitzten Lotta aus der Krachmacherstrasse identifizieren und lauschen gerne ihren Abenteuern. Ausserdem wird auf spielerische Weise erklärt, warum die richtige Velo-grösse wichtig ist. Und was schiefgehen kann, wenn man sich überschätzt.

Na klar, Lotta kan Radfahren

Astrid Lindgren, Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 1972, 24.90 Franken

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