Einsames Leiden im Team

Der professionelle Radsport ist ein eigentümlicher Zirkus. Viel dreht sich um Alleinsein und Leiden. Beim Erklimmen von Pässen kommt beides zusammen. Auch im literarischen Sinn.

Dres Balmer, Autor

Dres Balmer, Autor (dres.balmer@bluewin.ch)
Kultur, 14.07.2023

Zusammen allein

Der dänische Schriftsteller und Filmemacher Daniel Dencik befasst sich seit langem mit dem Radsport. Hier legt er eine funkelnde Analyse der körperlichen und seelischen Abgründe der Profis vor, stellt überraschende Verbindungen her zu Religion, Philososophie, Literatur und Kunst, lässt einfältiges Sportlertum weit hinter sich.

Er spricht mit Leuten aus der Szene, Michael Rasmussen, Kris Boeckmans, Jakob Fug­lsang und anderen, gewinnt ihr Vertrauen, und dann sprudeln sie los. Wir lesen Geständnisse, Bekenntnisse, Offenbarungen, die wir zuvor nirgends gefunden haben.

Rasmussen redet witzig und offen über seinen Umgang mit dem Doping, seinen Wiedereinstieg nach der Sperre. Ein Kapitel widmet Dencik dem fürchterlichen Sturz des Flamen Kris Boeckmans an der Vuelta 2015, den er nur dank viel Spitzenmedizin und Glück lebend übersteht. Dreimal ist er während der Behandlung gestorben und wiedergeboren worden, das liest sich wie eine moderne Passionsgeschichte.

Jakob Fuglsang wiederum erzählt von der kasachischen Astana-Mannschaft, in welcher der Däne plötzlich zum Botschafter eines riesigen und reichen Landes in Zentralasien wird, von dem man hier nichts weiss. Doch Fuglsang spricht auch vom zuweilen öden Alltag des Profilebens, vom ewigen Herumkutschieren in einer Parallelexistenz: «Ein Team hat ja trotz allem keinen Aufenthaltsort, wir sind alle immer auswärts.»

Von den Etappen der grossen Rundfahrten überträgt das Fernsehen bloss die letzten zwei, drei Stunden, vom ganzen Geracker der Strafgefangenen der Landstrasse vorher und danach bekommt der Zuschauer nichts mit. In diesem Buch erfahren wir eine Menge über Anstrengung, Brutalität, Einsamkeit und Elend, die hinter dem ganzen Pomp stecken.

Daniel Dencik: Radsportherz. Covadonga-Verlag, Bielefeld 2022, Fr. 23.90.

Leiden als Kunstform

Geraint Thomas treibt sich während seiner Profikarriere jahrelang in Europa herum, mischt sich unter die Grossen im Zirkus, gewinnt 2018 die Tour de France. Da kommt einiges an Eindrücken zusammen, und in diesem Buch stellt er ein paar seiner geliebten und gehassten Pässe vor.

Die Lektüre weckt im Gümmeler, der dort auch hie und da unterwegs ist, eigene Erinnerungen, die ähnlich sind. Thomas schreibt mal poetisch, mal technisch, geschickt verbindet er beides. Das kann unheimlich klingen, zum Beispiel an den Pässen Télégraphe und Galibier, 35 Kilometer lang und 2500 Meter aufwärts, die Landschaft wird immer karger, dann gibt es «nur Felsen, schmutzigen Schnee, fiepende Murmeltiere und dich».

Doch das ist nichts im Vergleich zum Mortirolo, einem «sinnlosen Aufstieg, einer Strasse nach Nirgendwo, einer Auffahrt in die Hölle». Eine andere Höllenfahrt ist die Söldener Gletscherstrasse. Da sind interessante technische Anmerkungen über die Menge verschlungener Gels und Wattzahlen, doch klar ist, dass hier nur Männer vorankommen, die leichter als 70 Kilo sind; dabei führt das beschriebene Rennen zur Skiliftstation Pitztaler Jöchl, auf bloss 2803 m ü. M. Die härtere Variante durch den Tunnel zum Pass des Tiefenbachferners (2829) bleibt unerwähnt; Tunnel und Pass sind die höchsten in den Alpen.

Doch dann stossen wir auf eine wundersame Erlösung, und die heisst Stilfserjoch. Das ist auch einer der gewaltigsten Brocken in den Alpen, doch Thomas attestiert ihm eine «besondere Ausstrahlung und Anmut». Es geht hoch hinauf, doch die durchschnittliche Steigung ist gnädig. Fazit: Mit dem Stelvio kann man sich anfreunden, den Mortirolo kann man nur hassen. 

Geraint Thomas (mit Tom Fordyce): Radsportberge und wie ich sie sah. Covadonga-Verlag, Bielefeld 2021, Fr. 18.80.

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