Die Sache mit den Unfallzahlen

Jedes Jahr verunfallen viele E-Bike-Fahrende. Dennoch ist die Unfallstatistik nicht so gravierend, wie oft dargestellt wird. Der Ruf der Beratungsstelle für Unfallverhütung BfU nach einer generellen Helmpflicht ist darum falsch. Ein Kommentar.

Laurens van Rooijen, Autor

Laurens van Rooijen, Autor (lvr@cyclinfo.ch)
Blog, 17.06.2020

Auch in diesem Frühjahr schrillen bei verschiedenen Medien aufgrund der Unfallstatistiken des Bundesamts für Strassen (Astra) die Alarmglocken. Denn laut dieser Statistik kamen 2019 bei insgesamt 355 schweren Unfällen mit E-Bikes elf Personen ums Leben. Bei sechs von zehn der schweren Unfälle habe es sich um Schleuder- und Selbstunfälle gehandelt, bei 55 Prozent der übrigen Fälle seien aber andere Fahrzeuge die Unfallverursacher gewesen. Gestützt auf diese Zahlen fordert die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) in einer Medienmitteilung einmal mehr eine Helmpflicht für alle E-Bike-Lenkerinnen und -Lenker.

Helmpflicht kontraproduktiv

Beispiele aus Neuseeland und Australien zeigen, dass eine Helmpflicht die Nutzung von Velos – ob mit oder ohne Hilfsantrieb – weniger attraktiv macht. Das ist verkehrspolitisch nicht erstrebenswert. Zudem wäre eine solche Massnahme reine Symptombekämpfung, die an den Ursachen vorbeizielt.

Sinnvoller wären Fahrtechnik-Trainings für ungeübte E-Bike-Fahrer, insbesondere was den Umgang mit den kraftvollen Scheibenbremsen und mit der Fahrdynamik betrifft. Gleichzeitig wäre eine Anpassung der Fahrausbildung für die Lenker von Kraftfahrzeugen angebracht. Denn diese schätzen das Tempo von E-Bikerinnen oft falsch ein und nehmen diesen darum die Vorfahrt.

Infrastruktur muss besser sein ... 

Unbedingt notwendig ist ein Ausbau der Infrastruktur für Velos wie E-Bikes. Schliesslich sollen laut Astra neu auch E-Trottinetts und breite Lastenvelos auf den Velostreifen unterwegs sein. Und das Volk hat mit dem deutlichen Ja zum «Bundesbeschluss Velo» dem Bund den klaren Auftrag zu mehr Veloförderung erteilt.

Die Infrastruktur ist an zu vielen Orten komplett ungenügend. Das Wachstum des Veloverkehrs während der Coronavirus-Pandemie unterstreicht die Notwendigkeit einer Umverteilung des Strassenraums innerhalb geschlossener Ortschaften zusätzlich. Die BfU sollte daher eher zusammen mit Pro Velo den Druck für den Ausbau der Infrastruktur erhöhen, anstatt mit den immer gleichen Vorschlägen das Velo als Verkehrsmittel unattraktiv zu machen.

... das findet auch die BfU

BfU-Direktor Stefan Siegrist hält gegenüber Velojournal fest, dass sich seine Organisation ebenfalls für eine bessere Veloinfrastruktur Stark mache. Er sagt:

«Die BfU ist der gleichen Meinung wie Pro Velo: Die Veloinfrastruktur gilt es zu verbessern. Wir setzen uns für ein sicheres, durchgängiges und komfortables Velonetz ein. Zusätzlich zu dieser zentralen Sicherheitsmassnahme schlägt die BfU weitere Möglichkeiten vor, etwa Licht am Tag für E-Bikes. Eine bessere Infrastruktur kann die Sicherheit der Velofahrenden deutlich und nachhaltig verbessern, sie reicht allein aber nicht aus.»

 


Einseitige Fokussierung auf Unfallzahlen ist falsch

fb. Die Schweizer Fachstelle für Velo und E-Bike SFVE kritisiert die einseitige Fokussierung auf Unfallzahlen. «Werden die Autos nämlich immer grösser, sicherer und mit mehr vom Fahren ablenkenden Entertainmentsystemen ausgestattet, ist das zum Nachteil der Zweiradfahrer. Wegen ihrer schmalen Silhouette werden sie selbst von Autoassistenzsystemen schlecht erkannt, geschweige denn von unaufmerksamen Autofahrenden», sagt SFVE-Geschäftsführer Martin Platter.

Für Zweiradlenker sei eine vorausschauende Fahrweise im Strassenverkehr deshalb überlebenswichtig. Gegen rücksichtslos bewegte SUVs, die am stärksten wachsende Fahrzeuggruppe bei den Personenwagen, nütze jedoch das beste Sicherheitskonzept nichts. Die Autos seien bauartbedingt so hoch, dass Velofahrende bei einer seitlichen Kollision immer mit dem Gesicht auf die Dachkante aufschlügen. «Da nützt der beste Helm nichts», so Platter.

Bei der Diskussion um die E-Bike-Unfälle werde zudem ausgeblendet, dass E-Bikende nicht nur öfter auf dem Fahrrad sässen, sondern auch weitere Strecken zurücklegten und damit länger auf der Strasse unterwegs seien. «Würde man die Fahrleistung auf Personenkilometer umrechnen, wie das bei der Bahn und im Flugverkehr üblich ist, gäbe es keinen signifikanten Unterschied zu den Unfallzahlen normaler Velofahrer.»

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