Tour de France light

Im Herzen der Provence liegt das Département Vaucluse. Eine Reise mit Velo oder E-Bike durch das alte Land der Päpste, entlang der Rhône, vorbei an römischen Ruinen. Und fast immer dabei: Der Blick auf den Mont Ventoux.

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Christiane Neubauer
Reisen, 15.05.2025

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Sur le pont d’Avignon, on y danse, on y danse …» – als Kind liebte ich dieses französische Volkslied aus dem 16. Jahrhundert. Und ich fragte mich immer wieder, wie sie wohl aussieht, diese berühmte Brücke von Avignon.

Also beginnt diese Velo­reise mit der Erfüllung eines Kindheitstraums. Am Abend meiner Ankunft in Avi­gnon sitze ich am Ufer der Rhône und geniesse die Aussicht auf die Brücke Saint-Bénézet, wie sie offiziell heisst. Grillen zirpen im Gras, die tief stehende Sonne taucht das Bauwerk in warmes Licht. Leider sind von den ehemals 22 Brückenbögen nur noch 4 erhalten. Die Bénézet-Brücke endet also mitten im Fluss. Mich beeindruckt sie dennoch – wegen ihres Alters und ihrer Dimensionen. 

Rundgang in Avignon

Nächster Morgen, erneut am Rhône-Ufer: Ich treffe meine Mitreisenden: Raffaela aus Italien, den Franzosen Alain und Guy aus Belgien – allesamt veloaffine Reisejournalisten, die testen wollen, was die Provence als Destination zu bieten hat. Als Guide hat man uns Christophe Piérard an die Seite gestellt. Als Eigentümer eines Unternehmens, das sich auf massgeschneiderte Radtouren in der Provence spezialisiert hat, kennt er die Region wie kein anderer. 

«Die sandfarbene Stadtmauer von Avignon schimmert im Morgennebel.»

Während Raffaela ein Gravelbike wählt, hat sich der Rest der Gruppe für E-Trekkingbikes entschieden. Auch Christophe «gravelt». Wir fahren durch pittoreske Gassen mit pastellfarbenen Häusern, die mit ihren bunten Fensterläden und dem Blumenschmuck wie ein impressionistisches Gemälde aussehen. Vor dem imposanten Palais des Papes bestaunen wir das kolossale Meisterwerk gotischer Architektur, das einst sieben Päpsten als Residenz diente. «Einige Räume kann man besichtigen», sagt Christophe, «auch die Privatgemächer der Päpste.» Weiter geht es hinauf zur Domplatte, zur Kathedrale. Sie zählt wie der Papstpalast und die Brücke zum Unesco-Weltkulturerbe. Der Blick öffnet sich hinunter ins weite Rhône-Tal, und in der Ferne leuchtet der weisse Gipfel des Mont Ventoux. Durch die schattige Rue Peyrollerie gehts zur Markthalle, wo uns der Duft von frischer Baguette in die Nase steigt. Mit ihrer begrünten Fassade zählt sie zu den modernen architektonischen Besonderheiten von Avignon. 

Wir verlassen die Altstadt, überqueren die Rhône bei der nächsten Brücke und pedalieren fortan auf Europas grösster Flussinsel, der Île de la Barthélasse – ein Naturidyll zwischen zwei Flussarmen, das grösstenteils landwirtschaftlich genutzt wird. Auf einem knapp zwölf Kilometer langen historischen Treidelpfad kann man die Insel zu Fuss oder mit dem Velo umrunden. 

Unterwegs auf der Via Rhôna

Wir folgen der ViaRhôna, jenem Radfernweg, der sich entlang der Rhône von Genf bis ans Mittelmeer schlängelt. Die Strecke ist flach und angenehm zu fahren, weshalb ich die Unterstützung durch den E-Motor abschalte. Sie führt entlang von Weiden, Feldern, kleinen Kanälen. Wir verbringen die Nacht in Villeneuve-lès-Avignon, einer charmanten Kleinstadt am rechten Ufer der Rhône, die im Mittelalter enge Verbindungen zum Papsttum pflegte. Bis heute prägen die Paläste verschiedener Kardinäle das Stadtbild. 

Am nächsten Morgen gehts zunächst hinauf zum Fort Saint-André. Die Auffahrt ist mit E-Bikes ein Kinderspiel. Es ist übrigens nicht das Fort selbst, sondern es sind vielmehr die Gärten innerhalb der Festungsmauern, denen unser Interesse gilt – zählen sie doch zu den schönsten historischen Gartenanlagen Südfrankreichs. Wir schlendern auf gekiesten Wegen vorbei an Zypressen, duftenden Rosenbeeten, steinernen Brunnen und Skulpturen. Am Horizont schimmert die sandfarbene Stadtmauer von Avignon mit ihren Türmchen und Zinnen im Morgennebel, eine Szenerie wie aus einem Märchenbuch. Unter uns wälzt sich die Rhône träge durchs Tal. Und als ich den Blick hebe, nehme ich in der Ferne erneut die Silhouette des Mont Ventoux wahr, dessen Gipfel selbst im Sommer aussieht, als sei er mit Schnee bedeckt – dabei ist es nur der nackte Kalkstein. Und dann deutet Christophe mit dem Finger auf unser nächstes Ziel am Horizont: Châteauneuf-du-Pape.

Nach einigen Kilometern – auf der Höhe der Stadt Sorgues – steigen wir für einen Fotostopp ab. Auf dem «Voie des Papes» wurde 2023 eine spektakuläre Hängebrücke über die Rhône exklusiv für Radfahrer und Fussgängerinnen eröffnet. Die Stahlkonstruktion mit ihren fast 17 Meter hohen Pylonen hat ein Ingenieurbüro aus dem Tessin entworfen – sie ist ein Hingucker. 

Jenseits der Brücke erwartet uns eine Kanallandschaft mit weiten Feldern, Obstplantagen, Weingärten und Hecken voller Wildrosen. Der Weg ist flach, der Asphalt gut. Immer wieder taucht die Rhône zwischen den Bäumen auf – ruhig dahinfliessend und grünlich-blau schimmernd. Einmal radeln wir durch eine Allee, die von riesigen Platanen gesäumt wird. Hoch oben über der Strasse stossen die Äste zusammen, sodass man den Eindruck hat, man radle durch einen Tunnel. Fantastisch! 

«Noch heute surrt und summt es in den Beeten – als würde Fabre gleich mit seinem Notizbuch um die Ecke biegen.»

Weiter gehts durchs Rebenland von Châteauneuf-du-Pape. Weingüter liegen links und rechts der Strasse, die nun leicht ansteigt und den Blick freigibt auf den Ort und die Ruinen der Burg, die einst die Sommerresidenz der Päpste von Avignon war. Die Gassen hinauf zur Burg sind kopfsteingepflastert. An vielen Fassaden prangen Schilder: Dégustation, Produits du Terroir, Cuvée Réservée – der ganze Ort scheint fest in der Hand von Winzerinnen, Weinbauern und Weinhändlerinnen zu sein. 

Im Herzen der Weinkultur

Angekommen auf der Burg, wartet eine Überraschung auf uns: Die Winzergenossenschaft Cellier des Princes hat ein Picknick für uns angeliefert. Der Service ist ganzjährig für jedermann verfügbar und kann online bestellt werden. Und so sitzen wir auf Mauervorsprüngen des ehemaligen Palais und geniessen Baguette, Ziegenkäse, Oliven und Schinken, dazu ein Glas kühlen Rosé, während sich der Blick im Panorama der Rhône-Ebene verliert – ein Moment purer «joie de vivre». 

Gestärkt und beschwingt gehts nach dem Lunch weiter nach Orange. Ein letzter Blick zurück auf die Burgruine, die den Hügel krönt wie ein steinerner Thron, dann gehts leicht bergab, direkt hinein in die Weinberge. Reben, so weit das Auge reicht. Dann taucht auch schon bald Orange vor uns auf. In der Antike war die Stadt eine römische Kolonie. Davon zeugen noch heute zwei bedeutende Monumente: das Theater und der Triumphbogen, beide zählen zum Unesco-Weltkulturerbe. Besonders beeindruckt mich, wie gut sie die mehr als 2000 Jahre seit ihrer Erbauung überdauert haben. Die Dimensionen des Triumphbogens sind gewaltig, fast surreal in ihrer Grösse und Eleganz.

Wir übernachten im «Justin de Provence» in Orange, einem Bed & Breakfast, in dem sich provenzalischer Charme mit modernem Komfort verbindet. Am nächsten Tag radeln wir zunächst zum Wohnhaus des Naturforschers Jean-Henri Fabre (1823–1915). Im Garten, dem «Harmas», züchtete er Insekten, beobachtete Pflanzen und schrieb seine berühmten wissenschaftlich-poetischen Werke. Noch heute surrt und summt es in den Beeten – als würde Fabre gleich mit seinem Notizbuch unter dem Arm um die Ecke biegen.

Unterwegs Richtung Mont Ventoux

Von hier aus führt unsere Tour in Richtung des legendären Mont Ventoux, und die Landschaft beginnt sich zu verändern, je näher wir dem «Giganten der Provence» kommen, wie der kegelförmige Berg auch genannt wird. Sein kahler Gipfel ist jetzt deutlich zu sehen – einsam, übermächtig, als würde er selbst den Himmel stützen. Und plötzlich ist da dieses Kribbeln in der Magengrube. Liegt es am Anblick des Riesen? Oder am Mythos, den dieser Berg in sich trägt? Immer wieder führt die Tour de France über seine Flanken, und jedes Mal ist es ein Kampf: gegen die Steigung, gegen die Hitze, gegen die Erschöpfung. Ich erinnere mich an die erbarmungslosen Duelle, die sich Legenden wie Charly Gaul, Marco Pantani oder Chris Froome hier lieferten. Und an die Tragödie von Tom Simpson, der 1967 kurz vor dem Gipfel stürzte – als erstes Dopingopfer der Radrenngeschichte. Wer im Schatten des Mont Ventoux radelt, fährt nicht einfach nur Velo. Hier wird Geschichte getreten.

Auch wir kommen im weiteren Tagesverlauf ins Schwitzen. Vor allem der Aufstieg zum Col de la Suzette hat es in sich. Zum ersten Mal haben die E-Biker die Nase vorn. Unterstützt von den Motoren lassen Alain, Guy und ich die beiden Gravel-Biker hinter uns, die im kleinsten Gang mächtig in die Pedale treten müssen. Der Nachmittag gehört der Via Venaissia – einem stillgelegten Bahntrassee, das zum Radweg wurde. Ein Geheimtipp für Velofahrer im Vaucluse, schwört Christophe. Sie verläuft von Jonquières über Sarrians und Aubignan bis Carpentras. Weinberge, Olivenhaine, Obstplantagen flankieren den Radweg – und immer im Blickfeld: der Mont Ventoux. Es gibt verschiedene Hofläden entlang der Strecke. Die Satteltaschen gut gefüllt mit Olivenöl und Marmeladen, nehmen wir den Tages-Endspurt in Angriff: das Château de Mazan in der gleichnamigen Gemeinde. Das Schloss, das einst dem Marquis de Sade gehörte (der Namensgeber des Worts Sadismus), ist heute ein stilvolles Hotel mit schönem Garten und exzellenter Küche. 

Abschied mit hundert Brunnen

Am letzten Reisetag rollen wir flach bis sanft hügelig rund zwölf Kilometer nach Pernes-les-Fontaines durch Weinberge, Obstgärten und Olivenhaine, mit Blick auf den Mont Ventoux. Im Dorf Saint-Didier besuchen wir die Nougat-Manufaktur Sylvain – einen Familienbetrieb mit vierzigjähriger Tradition. Die Mandeln und den Honig, die für den Nougat benötigt werden, stellt die Familie Sylvain selbst her. In Pernes-les-Fontaines, der «Stadt der hundert Brunnen», plätschert es an jeder Ecke: Kleine steinerne Wasserspeier, versteckte Quellen in Innenhöfen und kunstvoll gestaltete Brunnen auf den Plätzen verzaubern einmal mehr durch historisches Flair. 

Nach knapp vier Tagen zwischen Reben und Olivenbäumen, Gravel und Asphalt, grünen Ebenen und atemberaubenden Aussichtspunkten heisst es: Helm ab, Nackenkissen her! Der TGV ab Avignon bringt mich zurück nach Hause. Was bleibt? Die Erinnerung an einzigartige Farben, unvergessliche Düfte, aussergewöhnliche Begegnungen. Mehr als nur Höhenmeter – auch jede Menge «joie de vivre».

Angaben zur Tour

Dauer: 3½ Tage
Länge: 156 Kilometer
Höhendifferenz: 2452 Meter

Anreise: Die Fahrzeit mit dem Zug dauert ab Zürich HB etwa 6 Stunden, Umstieg in Genf oder Lyon (mit Velotransport etwas länger). sncf-connect.com

FlixBus verbindet Zürich mit Avignon, Fahrzeit: 10 bis 12 Stunden. flixbus.de

Velotransport: Züge: In fast allen TER-Zügen (Regionalzüge) kann man Velos kostenlos mitnehmen – vorausgesetzt, es gibt genug Platz. Eine Reservierung ist nicht möglich. Im TGV kann man Velos nur mit Voranmeldung und im Velosack mitnehmen. sbb.ch

Unterkunft: In der Gegend gibt es diverse Unterkünfte für jeden Geschmack und jedes Budget.

Reiseführer: Michael-Müller-Verlag: «Provence», detailliert, mit vielen Insidertipps, auch für Individualreisende und Radfahrer.

Karten: IGN-Karten (Institut Géographique National), Serie TOP 100 oder TOP 75 – z. B. Mont Ventoux – Avignon – Luberon; Online erhältlich bei ign.fr

Beste Reisezeit: Frühling und Herbst.

Allgemeine Infos: provenceguide.com

Detaillierte Informationen über Rad­wege im Vaucluse provence-radfahren.de

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