«Noch einmal müssen wir durch das Tal der Tränen»

Flyer leidet wie fast die gesamte Branche an Überbeständen und schleppendem Abverkauf. Vor einem Jahr musste der E-Bike-Hersteller in Huttwil 80 Personen entlassen. CEO Andy Kessler sagt, wie es heute um die Firma steht.

Pete Mijnssen ist Chefredaktor des Velojournals.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
News, 24.10.2024

Lesen ohne Abo.

Zahlen Sie nur, was Sie lesen!

Mit tiun erhalten Sie unbeschränkten Zugriff auf alle Velojournal-Premium-Inhalte. Dabei zahlen Sie nur, solange Sie lesen.

  • Alle Premium-Artikel
  • Zugang zum E-Paper
  • Flexibles zahlen

Sie haben bereits ein Velojournal-Abo? Hier einloggen

Wie lautet Ihr Fazit der Saison 2024?

Andreas Kessler: Grundsätzlich ist das Jahr in etwa so verlaufen, wie wir es erwartet haben. Wir konnten zwar Lagerbestände abbauen, aber sie sind noch immer auf zu hohem Niveau…

… es stehen also noch immer 2023-Modelle im Lager?

Es gibt schon noch Modelle aus dem Jahr 2023, etwa die noch immer aktuellen Durchlaufmodelle aus den «Gotour»- und «Upstreet»-Serien. Aber der Bestand an aktuellen E-Bikes wurde reduziert. Zu Jahresbeginn klagten 93 Prozent der deutschen Händler über volle Lager, im August lag dieser Wert noch bei 63 Prozent. Langsam sinkt «der Pegel».

Wann wird sich die Situation normalisieren?

Das wird noch eine Weile dauern. Sowohl bei den Herstellern als auch im Handel gibt es noch Lagerware. Daher erwarten wir auch für 2025 kein Wachstum. Und wenn, dann im tiefen einstelligen Bereich.

Düstere Prognosen also.

Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Zuerst werden die Händler profitieren, an zweiter Stelle wir als Hersteller. Bei den Komponentenherstellern ist der Nachfragerückgang seit Ende der Coronapandemie noch immer akut. In einzelnen Betrieben in Asien wird aufgrund der Nachfrage nur noch dreieinhalb Tage in der Woche produziert. 2025 müssen wir noch einmal durch das Tal der Tränen, bis die Lagerbestände abgebaut sind. Dennoch darf das enorme Potenzial des E-Bikes nicht vergessen werden. Mittel- bis langfristig blicken wir positiv in die Zukunft. Hinzukommt der Erneuerungsbedarf und die technologische Entwicklung. Akkus und Motoren werden leistungsfähiger und kompakter. Früher waren E-Bikes etwas für ältere Menschen. Heute gibt es Cargobikes, Mountainbikes, leichte Elektrovelos und weitere.

«2025 müssen wir noch einmal durch das Tal der Tränen, bis die Lagerbestände abgebaut sind.»

Andreas Kessler, CEO Flyer

Sie rechnen also nicht mit einer Normalisierung vor 2026?

Nein. Zumal der Handel noch Zurückhaltung bei der Vororder zeigt. Bestellt werden vor allem Neuheiten. Hier haben wir das Glück, dass wir auf die kommende Saison sechs neue Bikes lanciert haben.

Sitzen Velohandel und Endkonsumenten heute am längeren Hebel?

Im Moment auf jeden Fall. Wer heute ein Velo oder E-Bike kaufen will, findet eine grosse Auswahl. Während Corona war die Nachfrage extrem gross und das Angebot klein, heute ist es genau andersherum.

Diese Entwicklung führte auch zu Entlassungen in Huttwil.

Ja, wir mussten im vergangenen Herbst eine Massenentlassung durchführen. 80 Personen erhielten eine Kündigung, zusammen mit der natürlichen Fluktuation wurden insgesamt gut 90 Stellen reduziert. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht führte daran leider kein Weg vorbei. Anders war es nicht möglich, Flyer als Unternehmen gesund zu halten.

Betraf der Stellenabbau alle Unternehmensbereiche?

Wir mussten vor allem in der Produktion Personal abbauen. Die Montagelinien wurden wie vor 2019 von drei auf zwei reduziert. Dennoch wurde weniger Personal entlassen als wir vor fünf Jahren neu eingestellt haben.

Die zurückhaltende Kommunikation beim Flyer-Stellenabbau sorgte für Unsicherheit.

Rückblickend hätten wir da sicher offensiver agieren können. Aktionäre und Geschäftsleitung waren unterschiedlicher Auffassung, was die Kommunikation anbelangt. Andererseits: Wären wir in Zürich, Berlin oder Köln, wo der Hauptsitz unserer Mutterhauses ZEG ist, wäre die Nachricht eines Stellenabbaus wohl im Rauschen untergegangen.

«Die renommierten Uhren-Hersteller haben die Krise gut überstanden. Menschen, die sich Produkte in dieser Preisklasse leisten können, kaufen auch, wenn die wirtschaftliche Gesamtsituation angespannt ist.»

Andreas Kessler

Wie meinen Sie das?

Die Nachricht hätte in diesen grossen Städten nicht so viele Menschen interessiert. Wir sind aber ein in Huttwil und in der Region fest verankertes Unternehmen. Hier läuft manches etwas anders.

Die Verschwiegenheit der Velobranche ist bekannt. Wie beurteilen Sie die Kommunikationskultur allgemein?

Da muss man etwas unterscheiden zwischen börsenkotierten Firmen und solchen, die nicht an der Börse gehandelt werden. Erste müssen von Gesetzes wegen viel aktiver kommunizieren. Familienunternehmen müssen per se nichts nach aussen tragen. Die Velobranche ist aber generell zurückhaltend.

Flyer gehört seit acht Jahren der ZEG. Wie autonom ist Ihr Unternehmen noch?

Unsere Autonomie ist sehr hoch. Wir haben freie Hand, was das Portfolio, die Wahl der Märkte oder Handelspartner betrifft. Die ZEG mischt sich nicht in diese Belange ein. Als Flyer profitieren wir aber vom Grössenvorteil beim Einkauf von Komponenten. Und auch auf der Finanzseite profitiert Flyer, weil wir als Teil der ZEG bei Banken bessere Konditionen erhalten.

VR-Präsident Georg Honkomp schrieb kürzlich in einem Händlerbrief über «weitere Sparmassnahmen mit Personalabbau». Was ist damit gemeint?

Im September gab es nochmals einige Entlassungen bei den Büromitarbeitenden.

«Heute gibt es E-Bikes für 1000 Franken. Wir haben eine andere Klientel.»

Andreas Kessler

Flyer gehört zu den Elektrovelopionieren. Heute gibt es eine grosse Vielfalt an Anbietern. Ist die Zeit der Premiumhersteller vorbei?

Nein, überhaupt nicht. Nehmen sie zum Beispiel die Uhrenbranche. Die renommierten Hersteller haben die Krise gut überstanden. Menschen, die sich Produkte in dieser Preisklasse leisten können, kaufen auch, wenn die wirtschaftliche Gesamtsituation angespannt ist.

Kann man einen Flyer mit einer Rolex-Uhr vergleichen?

Auch wir haben eher höhere Durchschnittspreise und sind sehr preisstabil. Wir möchten uns mit dem Anspruch auf Premium klar von anderen Anbietern unterscheiden. Heute gibt es E-Bikes für 1000 Franken. Wir haben eine andere Klientel.

Auch in Deutschland? Dort gelten Konsumenten als deutlich preissensitiver als in der Schweiz.

Flyer erwirtschaftet 51 % des Umsatzes in Deutschland. In der Schweiz machen wir gut ein Viertel unseres Umsatzes. Der Rest entfällt auf die Niederlande, Belgien, Frankreich, Italien und Skandinavien. Die Schweiz ist unser Heimmarkt, den Grossteil des Geschäfts macht Flyer aber ausserhalb des Landes.

«Ein Flyer ist ein Schweizer Produkt aus dem grössten Schweizer E-Bike-Produktionsstandort.»

Andreas Kessler

«Made in Switzerland» gilt aber weiterhin?

Natürlich. Wir entwickeln in Huttwil und 100 Prozent der Assemblage findet hier statt. Zudem führen wir rigorose Endkontrollen durch. Ein Flyer ist ein Qualitätsprodukt und soll diesem Anspruch gerecht werden. Dabei geht es auch um die Sicherheit. Das E-Bike muss im täglichen Einsatz halten.

Die Schweiz ist ein teurer Produktionsstandort. Wird Flyer dereinst seine Zelte hier abbrechen müssen?

Ein Flyer ist ein Schweizer Produkt aus dem grössten Schweizer E-Bike-Produktionsstandort. Unser Aktionär hält daran fest. Wenn es andere Pläne gäbe, hätte er nicht einen hohen einstelligen Millionenbetrag in den Huttwiler Ausbau investiert. Nebenbei: Von den gesamten Herstellungskosten eines modernen E-Bikes entfallen etwa 93 Prozent auf das Material, nur sieben Prozent auf die Arbeit. Das Einsparpotenzial einer Osteuropa-Produktion wäre also gering, zumal dann die Swissness geopfert würde. (Hinweis der Redaktion: Diese Aussage von Andreas Kessler hat sich am 30. Oktober als falsch herausgestellt.)

Wie viel steuert Flyer zum Geschäft der ZEG bei?

Die ZEG ist ein Milliardenkonzern. Flyer trägt etwa einen Siebtel zum Konzernergebnis bei.

Und das reicht der ZEG?

Die Marke Flyer wurde von der ZEG als Premiumbrand gekauft, weil ein solcher im Sortiment fehlte. Wir sind so zusagen die Kirsche ganz oben auf dem Sahnehäubchen.

Update: 31.10.2024

Andreas Kessler ist seit acht Jahren Chef des Schweizer E-Bike-Herstellers Flyer. Vorher war er lange Jahre im Outdoorbereich und der Uhrenbranche tätig.

Empfohlene Artikel

Flyer entlässt ein Drittel der Belegschaft. Ein Mann montiert ein E-Bike.
News

Aderlass bei Flyer

Flyer entlässt ein Drittel der Belegschaft.
News

Beim E-Bike-Pionier Flyer droht ein massiver Stellenabbau

Flyer «Uproc SL:X». E-Mountainbike steht im Wald auf Laubboden.
News

«Uproc SL:X»: Flyer lanciert leichtes E-Mountainbike