Experiment: Verkehrsfluss auch fürs Velo

Drei Dutzend Velo-Forschende fahren im Rahmen des Cycling Research Boards an der ETH Zürich unermüdlich im Kreis. Im Sattel sitzend haben sie miterlebt, wie dies den Verkehrsfluss der Zukunft verbessern soll.

Aline Künzler

Aline Kuenzler, Autorin (aline.kuenzler@velogisch.ch)
News, 10.09.2024

«Let’s get started!». Ying-Chuan Ni eröffnet sein Experiment im Rahmen des Cycling Research Board an der ETH Zürich. Forscherinnen und Konferenzteilnehmer aus der ganzen Welt tauschen sich während zwei Tagen auf dem Zürcher Hönggerberg aus.

Der Doktorand Ying-Chuan Ni lässt die Freiwilligen unter ihnen für sein Verkehrsfluss-Experiment im Kreis fahren. Das tun die Forschenden mit E-Bikes, Faltvelos und sogar Lastenvelos – bunt gemischt, ähnlich dem realen Veloverkehr.

Mit 15 km/h im Kreis

Um die grosse Diversität unter den Velofahrerinnen in seinem Experiment weiter zu simulieren, fahren alle Testpersonen entsprechend einer zugewiesenen Zielgeschwindigkeit zwischen 10 und 15 km/h schnell. Gemäss meinem blind gezogenen Zettel mit der Geschwindigkeitsanweisung gehöre ich zu den schnellsten Velofahrerinnen und fahre 15 km/h.

Auf der 2,5 m breiten Fahrspur des Experimentes habe ich denn auch Mühe, meine Mitfahrer zu überholen. Ständig muss ich abbremsen, klingeln und mich entschuldigen. So erreiche ich statt meiner Zielgeschwindigkeit nur gerade einen Schnitt von 7,41 km/h.

In einer zweiten Testrunde wird die Velospur um 1 m auf 3,5 m verbreitert. Sofort wird das Überholen angenehmer, ich fahre flüssiger und 10.89 km/h schnell im Durschnitt der zweiten Fahrt. Dies überrascht mich nicht weiter, das hätte ich auch ohne wissenschaftliches Experiment herausgefunden.

Tiefere Höchstgeschwindigkeit dank mehr Platz

Was mich weit mehr beeindruckt, sind meine Maximalgeschwindigkeiten. Auf der engen Velospur fahre ich maximal 20.07 km/h schnell, um die langsameren Testfahrer zu überholen. In der zweiten Runde mit mehr Platz sind es nur noch 17,30 km/h. Ist die Velospur breiter, habe ich mehr Platz für die Überholmanöver, weshalb ich währenddessen weniger unter Druck stehe und mir mehr Zeit dafür nehmen kann.

So beschleunige ich für das Überholen weniger, was meine Maximalgeschwindigkeit senkt. Gleichzeitig erhöht sich aber meine Durchschnittsgeschwindigkeit trotzdem, da ich flüssiger fahren kann. Mehr Platz senkt kontraintuitiv also meine Geschwindigkeitsspitzen, obwohl ich im Schnitt schneller unterwegs bin.

Traffic Flow Theory – auch für Velos

Meine zwei einzelnen,  amateurhaft erfassten Datenpunkte erfreuen den Forscher Ying-Chuan Ni. Diese korrelieren mit seinen bisherigen Erfahrungen. Er hat die Geschwindigkeiten, Überholdistanzen und Bremsmanöver aller Testpersonen anhand von Drohnenaufnahmen festgehalten.

Das Experiment ist Teil seines umfassenden Forschungsprojekts zur «Traffic Flow Theory». Der Veloverkehr wird in diesem Forschungsgebiet bis anhin vernachlässigt, kann aber gemäss dem Forscher mit ähnlichen Methoden wie der Autoverkehr erforscht werden. Er sammelt deshalb erste Daten, um seine Modelle speziell auf das Verhalten von Velofahrerinnen an dicht befahrenen Verkehrssituationen zu adaptieren. Bis anhin fehlen ihm verlässliche Daten, um sein Modell weiter zu entwickeln. Deshalb bring das Experiment an der Konferenz wertvolle Messungen.

Ying-Chuan Ni sieht die Diversität der Velofahrer als eine besondere Herausforderung für den Verkehrsfluss auf Velospuren. Die Geschwindigkeit der zweirädrigen Verkehrsteilnehmerinnen hängt von Faktoren wie ihrer Fitness, ihrem Velomodell, der eventuellen elektrischen Unterstützung und dem Ziel der Fahrt ab. Wird ein Velo als Sportgerät gefahren, so ist der Lenker damit im Schnitt schneller, als wenn eine Pendlerin unterwegs ist.

Die «Traffic Flow Theory» greift aber erst bei dicht befahrenen Flächen, wofür der Doktorand im Bezug auf den Veloverkehr bis anhin nur wenig Daten hat. Ying-Chuan Ni forscht aber jetzt schon, um für das zunehmende Veloverkehrsaufkommen der Zukunft gerüstet zu sein. Seine Projekte können im Rahmen des Projektes «E-Bike-City» und in der Forschungsgruppe «Strassenverkehrstechnik» an der ETH verfolgt werden.

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