Familienkarossen im Test

Cargobikes transportieren neben zwei Kindern zusätzlich noch einen grösseren Einkauf, das Gepäck für die Badi oder das Picknick. Im Test zeigt sich, dass die Produkte auf dem Markt ausgereift sind, aber erhebliche Unterschiede aufweisen.

Marius Graber

Marius Graber, Redaktor (marius.graber@velojournal.ch)
15.08.2018

Kein Wunder, werden Transportvelos immer beliebter: Familien können mit ihnen den grössten Teil ihrer alltäglichen Fahrten bestens abdecken. Dafür steht ein immer grösseres Angebot an guten Modellen zu Verfügung. Für den Test wählte Velojournal sieben in der Schweiz populäre Modelle aus. Darunter waren zwei dreirädrige Modelle, jene von Christiania – ein Klassiker aus Dänemark – und von Butchers & Bicycles mit integrierter Kurvenneigetechnik, sowie fünf zweirädrige Modelle, unter ihnen der Klassiker von Bakfiets und von Urban Arrow aus den Niederlanden, das schnelle «Bullitt» aus Kopenhagen, das neue Modell «Packster» der deutschen Firma Riese & Müller sowie das übers Internet vertriebene Modell von Allegro, welches durch seinen tiefen Preis verblüfft. Alle Modelle sind für zwei Kinder ausgelegt und verfügen über einen Elektromotor. Von den sieben Modellen sind nur drei auch unmotorisiert erhältlich.

DREIRÄDER POLARISIEREN


Der offensichtlichste Unterschied liegt zwischen den Konzepten von zwei- und dreirädrigen Fahrzeugen: Die Dreirädrigen sind kürzer, dafür breiter, und nutzen den Platz zwischen den Vorderrädern für eine grosse Transportbox. Das Modell von Christiania bietet so mit Abstand die grösste Transportkapazität, sodass neben zwei Kindern noch Platz für anderes bleibt. Die Zweiradmodelle sind schmaler gebaut und kommen so besser durch den Verkehr. Die dreirädrigen Modelle polarisierten beim Fahren sehr stark. Beide fanden ihre Fans und ihre Kritiker: Bei jenem von Christiania lobten die einen die Wendigkeit und einfache Manövrierbarkeit, andere störte, dass man damit keine schnellen Kurven fahren kann. Das andere Dreirad, von Butchers & Bicycles, lässt genau dies wegen seiner Kurvenneigetechnik zu. Die einen mochten das «Carving»-Fahrgefühl, andere konnten sich damit nicht so recht anfreunden. Bei den zweirädrigen Transportvelos fielen die Urteile einheitlicher aus. Insbesondere das Modell von Bakfiets und das «Packster» verfügen über sehr gutmütige, ausgeglichene Fahreigenschaften. Stark unterscheiden sich jedoch die Wendekreise. Das Modell von Bakfiets kann auf einem vier Meter breiten Strässchen umkehren, jenes von Butchers & Bicycles ist mit einem Wendekreis von fast sechs Metern deutlich weniger handlich.

 

STARKE MOTOREN

Die Cargobikes profitieren wie kaum eine andere Fahrradgattung von den neuen, starken Motoren und den grösseren Akkus. Starke Steigungen verlieren so auch mit viel Gepäck ihren Schrecken. Die im Test eingesetzten Bosch-, Shimano- und Bionx-Hinterradmotoren bewährten sich gut, sie sind stark und reagierten fein. Nicht zu überzeugen vermochte der 8-fun-Motor von Allegro: Er war viel weniger kräftig, aber dennoch stark genug für weniger Steigung und moderate Last. Sein grösstes Handicap ist das verzögerte Aus- und Einschalten, was beim langsamen Fahren und Manövrieren störte.

SCHALTUNG GUT, BREMSEN FAST GUT


Mehrheitlich kommen Nabenschaltungen zum Einsatz. Eine gute Wahl, da damit auch im Stillstand geschaltet werden kann. Dies weiss man zu schätzen, wenn man nach einem überraschenden Stopp das schwere Gerät wieder in Fahrt bringen muss. Alle Lastenräder bremsen mit Scheiben, einzig jenes von Bakfiets ist am Hinterrad mit einer Rollerbrake, eine Art Trommelbremse, ausgestattet. Diese ist zwar wartungsarm, in hügligem Gelände aber viel zu schwach und nicht mehr zeitgemäss. Vorbildlich bremst «Bullitt»: Hinten wie vorne sind grosse Bremsscheiben verbaut in Kombination mit einer sogenannten Vierkolbenbremse. Die grossen Bremsbeläge verschleissen weniger und bringen viel Power auf die Scheiben.

Deutliche Unterschiede gibt es bei den Kindersitzen. Beim «Packster» und «Bullitt» liegt die Sitzfläche nur gerade sechs beziehungsweise acht Zentimeter über dem Boden, was auf längeren Fahrten den Sitzkomfort schmälert, weil die Kinder ihre Beine nicht richtig anwinkeln können. Alle anderen Räder verfügen über Sitzbänke mit unterschiedlicher Polsterung, die für guten Sitzkomfort sorgt. Unbefriedigend war die Verstellbarkeit der Gurte: Das Modell von Butchers & Bicycles hat als einziges eine clevere Schnellverstellung, damit die Gurte unkompliziert auch verschieden grossen Kindern und Jacken angepasst werden können. Bei allen anderen Gurten ist die Verstellung mühsam. Auch die Bedienbarkeit und Funktionalität der Regenverdecke ist verbesserungsfähig. Löbliche Ausnahmen sind jene von «Bullitt» und des Modells von Butchers & Bicycles. Insgesamt sind die Sitze, Gurte und Verdecke aber nicht auf dem Niveau jener eines guten Kinderanhängers.

 

FAZIT: SIEG NACH PUNKTEN


Der Test zeigt praktische Transportvelos für frohe Familienfahrten. Selbst das günstige Allegro verrichtet seinen Dienst schon ganz passabel. Die andern Transporträder sind auf deutlich höherem Level. Einen Testsieger zu benennen, würde der Sache nicht gerecht: Wie der Praxistest zeigte, ist es auch eine Frage des persönlichen Geschmacks, mit welchem Fahrzeug man am besten fährt. Die Meinungen gingen weit auseinander. Zudem hängen sie davon ab, welcher Aspekt wie gewichtet wird. Die Modelle von Riese & Müller, Urban Arrow und Bakfiets sind solide, durchdachte Familien-Cargobikes mit ruhigem Fahrverhalten. Jenes von Bakfiets ist wegen seiner schwachen Hinterradbremse auf flaches Terrain beschränkt. Wer gerne viel lädt und gemütlich unterwegs ist, findet mit dem Cargobike von Christiania ein gutes Gefährt: Punkto Ladevolumen ist es ungeschlagen. Auf der anderen Seite der Skala ist das «Bullitt»: Es fährt sich am sportlichsten und ist verhältnismässig leicht. Allerdings ist der Platz für zwei Kinder eher knapp. Beim Modell von Butchers & Bicycles gefällt die gute Ausgestaltung von Box, Sitz und Verdeck.

SO WURDE GETESTET

Die Familien-Cargobikes wurden in einem Praxistest von sieben Expertinnen und Experten im Transportvelofahren auf ihr Fahrverhalten, die Manövrierbarkeit, die Motorunterstützung sowie die Handhabung (Ständer, Gurte, Verdeck) untersucht. Zudem prüfte Velojournal Bremsen und Schaltung und erfasste die technischen Daten (Gewicht, Wendekreis, Aussen- und Innenmasse). Beim Fahrverhalten flossen die Fahreindrücke ein bei schneller und langsamer Fahrt, engen Kurven, Bremsen und Schalten. Beim Motor wurden Unterstützung, Ansprechverhalten und Akkukapazität bewertet. Unter «Kindertransport» sind Sitzkomfort, Innenmasse und Gurte beurteilt, unter «Handhabung» finden sich die Bewertungen zu Ständer, Wetterschutz, Wendekreis und Gewicht. Für das Gesamtergebnis wurden das Fahrverhalten mit 30%, die Handhabung mit 20%, Motor und Kindertransport mit je 25% gewichtet.

GUT ZU WISSEN


GESETZLICHE REGELUNG CARGOBIKES


In der Schweiz dürfen mit einem Transportvelo maximal zwei Kinder transportiert werden, unabhängig davon, ob beide vorne in der Kiste sitzen oder allenfalls eines noch hinten auf einem Kindersitz Platz nimmt. Die Sitze müssen aber mit Gurte ausgestattet sein. Bis maximal drei Kinder dürfen transportiert werden, wenn ein Velo mit einem Kindersitz und einem Kinderanhänger kombiniert wird. Der Kindertransport ist bei schnellen E-Cargobikes, mit Unterstützung über 25 km/h, nicht erlaubt.

Sicherheit: Cargobike oder Kinderanhänger?


Für viele Eltern stellt sich die Grundsatzfrage, ob sie sich für den Transport ihrer Kinder ein normales Velo mit Anhänger oder ein Cargobike zulegen wollen. Für das Cargobike spricht vor allem, dass die Kinder vor dem Fahrer sitzen. So sind sie im Blickfeld, und während der Fahrt kann viel besser miteinander gesprochen werden. Die Velo-Anhänger-Kombination ist dafür flexibler: Man kann den Anhänger auch einmal stehen lassen und nur mit dem Velo weiterfahren oder ihn als Kinderwagen nutzen. Zudem lässt sich die Kombi besser versorgen. Punkto Verkehrssicherheit lassen sich noch keine verlässlichen Aussagen machen, da es – zum Glück – bisher weder mit Kinderanhänger noch mit Cargobikes viele Unfälle gegeben hat. Beim Kinderanhänger ist sicher die flexible Verbindung zum Velo ein Plus (wenn der Fahrer stürzt, bleibt der Anhänger stehen), beim Transportvelo das zum Teil sehr massive Chassis (zum Beispiel beim Modell von Urban Arrow mit dem umlaufenden Aluminiumrahmen und den schützenden Seitenwänden).

Weitere Modelle


Neben den getesteten Modellen gibt es noch weitere Familien-Cargobikes, zum Beispiel jenes der französischen Firma Douze, welches sich für das einfachere Verstauen oder Transportieren zweiteilen lässt. Die niederländische Firma Babboe bietet unterschiedliche Cargobikes an, leider stand für den Test keines zur Verfügung. Riese & Müller hat neben dem «Packster» noch das «Load» im Sortiment; es ist etwas kompakter und verfügt über eine Vollfederung. Das «Bullitt» wird zudem auch von Ibex und Cresta in etwas anderer Ausstattung verkauft.