Ein Unfall rüttelt auf

Auf dem Basler Hausberg Gempen ereignete sich im Juni ein tragischer Unfall. Erschüttert darob rief Pro Velo beider Basel zur Protestfahrt auf. Mit grossem Erfolg.

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Fabian Baumann
25.09.2019

Mittwoch, 19. Juni 2019, kurz nach 17 Uhr, es ist einer der ersten Hochsommertage des Jahres. Ein 38-jähriger Familienvater nutzt das schöne Wetter für eine Runde mit dem Rennvelo. Er fährt auf der Gempenstrasse bergab Richtung Dornach. Die Strecke mit ihren Haarnadelkurven ist bei Radfahrenden aus den Regionen Basel und Solothurn beliebt. Der Gempen ist der Hausberg der Basler Gümmeler.

Zur gleichen Zeit fährt ein junger Mann mit dem Auto in entgegengesetzter Richtung. Der 23-Jährige sitzt am Steuer eines McLaren «570 S Spider». Der eine Viertelmillion Franken teure Rennbolide hat 570 PS unter der Haube, beschleunigt von 0 auf 100 in 3,2 Sekunden und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 328 km/h.

Der McLaren-Lenker drückt aufs Gas. Bergauf überholt er mehrere Fahrzeuge. Dann gerät er auf die Gegenfahrbahn, wo ihm just in diesem Moment der 38-Jährige entgegenkommt. Der korrekt fahrende Gümmeler hat keine Chance. Der Autolenker erfasst ihn frontal.

Während der junge Mann am Steuer des McLaren unversehrt bleibt, verletzt er den Velofahrer gravierend. Dieser wird von der Rega in ein Spital geflogen. Seine Blessuren sind so erheblich, dass die Ärzte ihn in ein künstliches Koma versetzen. Der Mann schwebt in akuter Lebensgefahr.

Polizeifoto der UnfallstelleDer Fahrer des Rennautos erfasste den Velofahrer frontal.

«So gehts nicht weiter»

Als Roland Chrétien vom Unfall hört, ist er erschüttert. Der Geschäftsleiter von Pro Velo beider Basel kennt den Gempen gut. Und ihm kommen regelmässig Geschichten von Personen zu Ohren, die auf der Strecke Schreckensmomente erlebten. «Ich kenne Velofahrende, die den Gempen darum bewusst meiden», sagt er im Gespräch mit Velojournal.

Und: «Wir stellen fest, dass die Bergstrecke von Dornach nach Gempen immer mehr von verantwortungslosen Typen als Rennstrecke missbraucht wird.» Dabei komme es auch zu waghalsigen Überholmanövern. Die Polizei zeigt am Gempen regelmässig Präsenz. Von einer Raserstrecke könne aber nicht gesprochen werden, heisst es bei der Kantonspolizei Solothurn. Das zeigten Auswertungen von Radarkontrollen.

Die Perspektive des Pro-Velo-Mannes ist freilich eine andere. «Auf der Überlandstrecke ist Tempo 80 erlaubt», weiss Chrétien. Wer mit 85 oder 90 km/h ein Velo überhole, sei laut Definition für die Polizei noch kein Raser. «Wenn man aber auf dem Velo sitzt und ein Töff oder Auto mit 90 Sachen knapp an einem vorbeifährt, nimmt man das sehr wohl als Raserei wahr.»

Für Roland Chrétien ist klar, dass es so nicht weitergehen kann. Spontan fasst er den Entschluss, eine Protest- und Gedenkfahrt zu organisieren. Die Idee fand auch bei Swiss Cycling und dem VCS Anklang. Die Organisationen riefen zur gemeinsamen Kundgebung am 26. Juni auf.

Rund 300 Personen folgten dem Aufruf. So setzte sich ein langer Tross von Velofahrenden in Bewegung. Am Unfallort stoppten sie für eine Schweigeminute. An der Protestfahrt wurden aber auch Forderungen laut. Auf Ausserortsstrecken ohne baulich getrennten Velo- und Fussweg solle statt 80 ein Maximaltempo von 60 km/h gelten. Und der grüne Solothurner Kantonsrat Daniel Urech kündigte einen Vorstoss an.

Aktion und Reaktion

Bei Pro Velo beider Basel zeigt man sich zufrieden mit der Aktion. So viele Menschen an der Protestfahrt anzutreffen, dies hatte Roland Chrétien nicht erwartet. Gerechnet habe man mit dreimal weniger. Auf den Lorbeeren ausruhen wolle man sich nun aber nicht. Vielmehr gelte es, das Momentum auszunutzen. Pro Velo werde bei «den zuständigen Stellen nachhaken», sagt der Geschäftsleiter. Allenfalls werde es auch weitere Medienmitteilungen geben, damit das Thema auf dem Radar der Journalisten bleibt.

Noch nicht abgeschlossen ist der Zwischenfall auch für die zwei am Unfall Beteiligten. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn hat gegen den McLaren-Lenker ein Strafverfahren eröffnet. Dem 23-Jährigen wird «qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln und fahrlässige schwere Körperverletzung» vorgeworfen, wie Mediensprecherin Caroline Schenker in der «Solothurner Zeitung» zitiert wurde.

Gegenüber der Zeitung äusserte sie sich auch zum Zustand des Velofahrers. Obwohl seine Verfassung weiter kritisch sei, schwebe der 38-Jährige nicht mehr in akuter Lebensgefahr. Weitere Angaben wollte die Sprecherin aber aus Rücksicht auf den Mann und seine Familie nicht machen.