Zürich und die Patchwork-Veloförderung

Anfang März hat die Stadt Zürich die erste fertiggestellte Velovorzugsroute präsentiert. Das Tiefbaudepartement feiert das als grossen Schritt – dennoch hagelt es Kritik von links bis rechts. Was wir daraus lesen können.

Pete Mijnssen ist Chefredaktor des Velojournals.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
Kommentar, 16.03.2023

Wer öfters auf der Baslerstrasse fährt, konnte die Veränderungen schon länger beobachten. Die Velopiktogramme, der Wegfall einer Lichtsignalanlage Ecke Freihofstrasse (positiv!), die buntgescheckten grün und roten Streifen (passend zum 30-Jahr-Jubiläum der Regierung?).

Nun ist die erste Velovorzugsroute eröffnet mit ihrem Einbahnverkehrsregime, das Auto- und Velofahrende gleichermassen verärgert. Für die einen eine Schikane mehr der rot-grünen Regierung. Für die Veloszene hingegen ein Kniefall vor der Autolobby, weil diese Route nicht autofrei ist – was die Behörden im Vorfeld auch nicht versprochen hatten. Viel Lärm also um nichts?

Die Wogen glätten sich

Eine Woche nach der Eröffnung hat sich der Pulverdampf etwas gelegt, Zeit also für ein paar grundlegende Gedanken.

Vorab: Mit der Fertigstellung der ersten Velovorzugsroute einher geht ein enormer Erwartungsdruck, steht sie doch als Beispiel dafür, was die 2022 als Hoffnungsträgerin gewählte Tiefbau-Vorsteherin Simone Brander für das Velo tut.

Natürlich ist auch das überzogen, denn das Projekt wurde schon von ihrem Vorgänger Richi Wolff aufgegleist. Schaut man sich das Resultat an, kann man nur sagen: Willkommen in Zürichs verkehrspolitischer Realität.

Velovorzugsroute macht einiges besser – doch längst nicht alles

So bringt die Route zwar einige Verbesserungen für den Veloverkehr, aber die Weiterfahrt Richtung Altstetten – v. a. an der Kreuzung Luggweg mit dem Autobahnzubringer Euoapabrücke ist züritypisch ein Murks. Hier fehlen eine anständige Velomarkierung und ein Übergang in den Autoverkehr.

Wie man so mehr Ungeübte – darunter ja auch unsere Stadträtin Brander – aufs Velo bringen will, bleibt ein Rätsel. Immerhin sind eine Woche später Arbeiter daran, weitere Markierungen anzubringen. Eine rot eingefärbte Fläche sucht man aber weiterhin vergeblich.

Die gut sichtbaren Flächen bei Kreuzungen und Einfahrten machen einen zufälligen Eindruck. Auch dort, wo die Route offiziell endet. Wie fahre ich weiter – etwa zum Bahnhof Altstetten oder an den Lindenplatz? Ausser Eingeweihten weiss das niemand.

Die Stadt Zürich sieht Grün

Zur Farbe: Ein besonderes Geplänkel leisten sich in diesem Punkt das Parlament und die Exekutive. Während die rote Einfärbung inzwischen zum Standard gehört, debattiert die Legislative darüber, ob man nicht generell doch die Farbe Grün einsetzen möchte.

Das mag ja für einen demokratischen Prozess «im Vorfeld einer Eröffnung» zwar angehen, aber bitte nicht auf Kosten der Velofahrerinnen und Velofahrer, die nun ausgerechnet auf der Baslerstrasse irritiert sind ob dem breiten roten Band und einem 40 cm breiten, grünen Bändchen.

Die Begründung aus dem Tiefbauamt, man habe sich für ein «grünes Farbband entschieden», um die Velovorzugsroute zu signalisieren, ist hanebüchen und notabene in der Nähe zu parkierten Autos nicht nur brandgefährlich, sondern auch hinsichtlich der überdurchschnittlichen Verkehrsopfer auf dem Velo geradezu zynisch.

Wenn schon müsste der grüne Streifen deutlich breiter sein. Oder dann viel schmaler in Verbindung von rot eingefärbter Velofläche. So fährt man ratlos mal links, mal rechts zwischen den Markierungen hin und her.

Der Elefant gebärt eine Maus

So bleibt die Erkenntnis, dass in Zürich eine weitere Velostrecke eröffnet wurde, die beim Publikum auf der Skala mittlere Unzufriedenheit auslöst.

Die Kritik aus Autokreisen wird wohl bald einmal verstummen. Immerhin gibt es das Einbahnregime inklusive Gegenfahrbahn für Velos in Zürich seit Jahrzehnten.

Velomässig hat die Stadt hingegen gemessen an den Erwartungen ein Velomäuschen geboren. Einmal mehr. Sollte das Projekt das Gesellenstück von Simone Brander sein, müsste man das Resultat mit einem knapp genügend zwecks Nachbesserung an den Absender zurückweisen. Oder im Laufe der «Garantiearbeiten» Nachbesserungen verlangen, die bereits in Gange sind.

Warum wurde denn das Ganze nicht zuerst getestet und erst dann eröffnet? So bleibt der Eindruck, das Zürich an seiner Velopolitik weiter herumlaboriert.

Das Gezänk im Parlament zeugt auch nicht gerade von Souveränität. Symbolischerweise startet die Velovorzugsroute direkt vor dem neuen Parlamentsgebäude am Bullingerplatz. So können sich Parlament und Exekutive drinnen weiter darüber fetzen.

Zürich und die Velopolitik: Sie bleibt ein Flickwerk und ein Zankapfel.

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