Grosse Erwartungen – jetzt bitte Geduld!

Der Zürcher Stadtrat hat die Departementsverteilung für die nächste Legislatur verkündet. Mit Simone Brander machte die Wunschkandidatin für das Verkehrsdepartement das Rennen. Kann sie die hohen Erwartungen erfüllen?

Pete Mijnssen ist Chefredaktor des Velojournals.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
Kommentar, 19.04.2022

Vorab ist zu begrüssen, dass die Sozialdemokraten als stärkste Partei nach jahrelangem Lavieren nun das Heft im wichtigen Verkehrsdossier wieder selber an die Hand nehmen. In den wechselvollen vergangenen Jahren mit Ruth Genner (Grüne), Philippo Leutenegger (FDP) und Richi Wolff (AL) hatte die SP das Amt anderen Parteien überlassen und einen Schlingerkurs mitverantwortet.

Rückschlag für die Veloförderung

Dabei war vor allem die Ära Leutenegger für die Veloförderung ein herber Rückschlag, insbesondere für den Masterplan von 2012. Fast wäre er zur Makulatur verkommen, wäre der linke Wolff nicht vor vier Jahren ins Verkehrsdepartement versetzt worden.

Seine Aufgabe war nicht einfach, musste er doch viele der aufgestauten Forderungen einer gestärkten Velofraktion im Gemeinderat und einer frustrierten Velogemeinde auffangen. Dabei wurde ihm etwa wider Willen die Abteilung für Langsamverkehr personell aufgestockt.

«Die Ära Leutenegger war für die Veloförderung ein herber Rückschlag, insbesondere für den Masterplan von 2012.»

Nach seinem Rücktritt war recht wenig über etwaige Wechsel spekuliert worden, kaum jemand der Bisherigen bekundete Lust an einem Departementwechsel. Polizeivorsterin Karin Rykart sitzt fest im Sattel, Daniel Leupi als Mastermind hinter dem Masterplan Velo liebäugelte zwar kurz mit einem Wechsel, ist als Finanzvorsteher aber unangefochten (zumal Zürich die Coronakrise besser bewältigte, als angenommen).

Geschick ist gefragt

Simone Brander kann nun also erben, was sie als Gemeinderätin an vorderster Stelle mit anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern vehement gefordert hatte: die Umsetzung der städtischen Velostrategie 2030. Endlich, möchte man anfügen.

Nun, Politik funktioniert dennoch selten nach dem Subito-Prinzip. Geduld, eine klare Strategie und geschickter Umgang mit dem Gegner sind die Wahrzeichen einer erfolgreichen Politik und deren Umsetzung.

Gerade in velopolitischen Dingen sind schon viele daran gescheitert. Wer sich zu fest engagiert wird angefeindet (so etwa Ursula Wyss in Bern). Wer zu wenig macht, oder sich ungeschickt verhält, dem oder der wird der Prozess gemacht (wie etwa Ruth Genner).

«Politik funktioniert dennoch selten nach dem Subito-Prinzip. Geduld, eine klare Strategie und geschickter Umgang mit dem Gegner sind die Wahrzeichen einer erfolgreichen Politik und deren Umsetzung.»

Die NZZ schrieb im Kommentar über die «neue, radikale Verkehrs-Stadträtin», dass diese «ihr Aktivistinnen-Gewand rasch ablegen sollte». Mit Verlaub: Das ist eine so wohlfeile wie paternalistische und naseweise Beurteilung, wie sie oft von Besserwissern vom warmen Sofa aus abgesondert wird.

Vielmehr wird Brander bald von einer «Wetterwand» aus verschiedensten Windrichtungen herausgefordert. Sei es von rechts oder links, überall wird sie auf Hindernisse stossen und den Tritt in bereitgestellte Fettnäpfchen vermeiden müssen. Zwischen linken Erwartungen und rechten Stolpersteinen muss sie nun das richtige Mass finden. Das wird nicht einfach sein. Mit dem angekündigten Parkplatzabbau zugunsten der neuen Velorouten ist das Halali bereits eröffnet.

Enttäuschungen sind vorprogrammiert

Wer also aus einer überzogenen Erwartungshaltung heraus nun das Gefühl haben sollte, in Brander eine Erfüllungsgehilfin zu haben, verkennt die noch immer geltenden Regeln der Verkehrskultur. Während das Auto in der Stadt zwar auf dem Rückzug ist, wird das Velo in derselben nicht automatisch mehr gefördert.

Das musste auch Dave Durner, Projektleiter Velosicherheit bei der Stadt und ehemaliger Pro-Velo-Geschäftsführer erfahren: nach einer Quartier-Begehung mit SP-Genossinnen und Genossen wurden Informationen geleakt, wonach Durner relativ unverblümt Internas ausplauderte.

«Das Fundament einer erfolgreichen Velopolitik muss immer wieder neu abgestützt und abgesichert werden.»

Dummerweise war alles protokolliert worden. Die Häme der bürgerlichen Presse war gross, die Einschüchterung wirkte und war ein Schuss vor den Bug der motivierten Mitarbeitendenden im Velodepartement, ja nicht übermütig zu werden. So schnell kann es gehen, auch mit soliden Volksbeschlüssen im Rücken, die Zürich in den vergangenen Jahrzehnten an der Urne verabschiedet hatte.

Das Fundament einer erfolgreichen Velopolitik muss deshalb immer wieder neu abgestützt und abgesichert werden, denn gerade hier gleicht die Politik einer Schlangengrube. In dem Sinn: viel Erfolg Simone!

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