Verkehr vermeiden, Raum schonen

Der heute verfügbare Verkehrsraum muss anders verteilt werden. Überall. Raumschonender Verkehr muss zwingend bevorzugt werden. Doch die Politik pflegt nach wie vor die Quadratur des Kreises.

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Willy Germann*
News, 25.08.2020

Gäbe es keinen Klimawandel, keine CO2-Emissionen, keine giftigen Luftschadstoffe und keinen Feinstaub, so müsste die Schweiz trotzdem griffige Massnahmen gegen die anhaltende Autoflut ergreifen. Denn Verkehr ist nicht bloss ein Klimaproblem. Verkehr ist zuerst ein Raumproblem.

Er verschwendet Grünraum, übernutzt bestehenden Verkehrsraum und beeinträchtigt unsere Lebensqualität. Der dramatische Grünraumverlust durch immer neue Verkehrsflächen sollte selbst für die SVP ein Thema sein. Denn es geht auch um Landwirtschaft, Landschaft, Heimat, Identität.

Verkehr vermeiden

Beim Wohnraumbedarf und beim Verkehrsraum pro Kopf gehört die Schweiz zur Weltspitze. Sie sind Treiber und zugleich Folge der Zersiedelung. Je höher die Kaufkraft, je stärker die Gentrifizierung der Städte, je grösser die Distanz des (günstigeren) Wohnortes zum Arbeits-, Freizeit- und Einkaufsort, umso mehr Verkehrsflächen sind nötig.

Die grösste Herausforderung an die Raumplanung wäre deshalb, Verkehr und damit neue Verkehrsflächen zu vermeiden. Anachronistische Baugesetze erschweren allerdings eine kleinräumige Mischung der Nutzungen und eine raumschonende Siedlungsentwicklung der kurzen Wege.

Die meisten Zonen müssten für das Wohnen offen sein: kein Schulareal, kein Campus, kein Busdepot, kein Einkaufszentren, kein Stadion, kein ruhiges Gewerbe- und Industrieareal ohne Wohnanteil. Doch die träge Politik erschwert einen Paradigmawechsel weg von der Trenndoktrin, diesem Verkehrstreiber.

Eine Politik der Verkehrsvermeidung ist allein deswegen nötig, weil ÖV und Strassenverkehr schon heute am Anschlag sind. Und jede Versiegelung frisst graue Energie und verursacht Unterhaltskosten. Jeder Verlust an Grünraum verstärkt zudem den Klimawandel, trägt also zu den globalen Klimakosten bei.

Hardbrücke in ZürichDer Blick von oben offenbahrt, wie viel Platz dem Verkehr zugestanden wird. 

An der Schmerzgrenze umdenken

Eine raumschonende Verkehrs- und Klimapolitik wäre am einfachsten mit marktwirtschaftlichen Mitteln realisierbar. Raumintensiver Verkehr muss spürbar teurer werden. Jedes Jahr. Verschiedene marktwirtschaftliche Mittel und Dosierungsmassnahmen werden Autofahrende bald an eine Schmerzgrenze führen, die links als unsozial, rechts als Einschränkung der Freiheit beklagt wird.

Doch sie wird – dank geschickter Sensibilisierung – bald Überlegungen auslösen: Ist meine Autofahrt überhaupt nötig? Könnten verschiedene Mobilitätsbedürfnisse nicht zusammengelegt werden? Wäre Poolfahren nicht sinnvoller? Poolfahren, das an Dosierstellen durchaus auch «belohnt» würde. Und nicht zuletzt: Könnte der Weg nicht zu Fuss, mit dem Velo, dem E-Bike oder dem ÖV zurückgelegt werden?

Strassenraum anders verteilen

Auch in Städten wird das Verkehrsaufkommen weiterhin stark wachsen. Der Strassenraum aber wächst nicht. Er wird bereits heute übernutzt. Bleibt also nichts anderes, als für den raumsparenden Verkehr mehr Kapazitäten zu schaffen. Eine solche Angebotsorientierung fängt an bei der Bevorzugung des ÖV und des Fuss- und Veloverkehrs bei Lichtsignalanlagen. Und er endet bei weniger Strassen- und Parkraum für Alleinfahrende im Auto.

In der Politik wird nun sofort die Floskel bemüht, man wolle den ÖV nicht gegen den Autoverkehr ausspielen. Wer den motorisierten Individualverkehr (MIV) in den Städten aber nicht reduziert, predigt die Quadratur des Kreises. Richtplanvorgaben wie im Kanton Zürich, dass im gesamten Kanton 50%, in den Städten 100% des Mehrverkehrs vom öffentlichen Verkehr aufgefangen werden sollen, genügen längst nicht mehr und würden nach weiteren Strassenbauten rufen.

Gewerbeverkehr privilegieren

Wenn der Gewerbe-/Nutzverkehr mit Lenkungsabgaben, Road Pricing und räumlichen Einschränkungen belastet würde, könnte das Gewerbe massive Wettbewerbsnachteile erfahren. Die grosse Herausforderung wird also sein, diesen Verkehr gegenüber dem übrigen MIV zu bevorzugen.

Warum aber wirft die Politik jeglichen Autoverkehr immer noch in den gleichen Topf? Warum wird für eine Gewerbebevorzugung das Potential von ICT-Technologien nicht ausgelotet? Ohne elektronische Gewerbevignette kann der Gewerbe-/Nutzverkehr kaum bevorzugt werden. Möglich wäre dies u.a. auf dreispurigen Autobahnen, bei Dosierstellen am Stadtrand und bei Parkräumen. Elektronik vor Beton.

BaselGrünflächen steigern die Lebensqualiät in Städten – wie hier in Basel. 

Autotunnels als Scheinlösungen – unkonventioneller öffentlicher Verkehr

Um den übernutzten Verkehrsraum zu entlasten, propagieren Politiker überholte Scheinlösungen: Für den MIV soll vermehrt der Untergrund genutzt werden. Tunnels. Aus dem Auge aus dem Sinn. Die Zürcher Regierung wollte mit dem Rosengartentunnel den MIV «verflüssigen».

Verflüssigen macht aber den MIV noch attraktiver. Er wird dadurch weiter wachsen. Auf dem oberirdischen Strassenraum wird er vor und nach einem Tunnel den ÖV sowie den unvermeidlichen Gewerbe- und den Langsamverkehr weiträumig noch mehr behindern als heute.

Auch wenn im Veloverkehr (nicht zuletzt dank E-Bikes) ein riesiges Umsteigepotential liegt, erfordert eine raum- und klimaschonende Verkehrspolitik einen weit stärkeren Ausbau des öffentlichen Verkehrs als in der Planung vorgesehen. Wie für die Bahn werden auch für Trams Tunnels als schnelle Tangenten nötig sein. Warum wurden solche Alternativen bei der Planung Rosengarten nicht ins Auge gefasst? Warum neben einem Tramtunnel als schnelle Tangente zwischen wachsenden Stadtteilen nicht weiterhin umweltfreundliche Busse oder sogar stadtverträgliche Seilbahnen als Feinverteilerverkehr in steilerem Gelände?

Beim öffentlichen Verkehr bestehen noch weitere leistungsbestimmende Engpässe, die selbst von NGOs übersehen werden. In Winterthur beispielsweise werden momentan Kapazitätsverbesserungen für die Bahn buchstäblich verbaut.

Geballter Widerstand – Flucht nach vorne

Um in den Städten und ihrem Einzugsgebiet den vorhandenen Verkehrsraum raumschonender verteilen zu können und Zweckbindungen von «Strassengeldern» zu lockern, sind Gesetzesänderungen erforderlich. Vor allem Richtplanänderungen. Es ist aber absehbar: Notwendigen Gesetzesänderungen und der damit verbundenen Umverteilung von Strassengeldern wird gewaltiger Widerstand entgegenbranden.

Diese Situation erfordert eine ungewöhnliche Massnahme: Ein Plafond für versiegelten Verkehrsraum würde ein rasches Umdenken und damit eine andere Raum- und Verkehrspolitik einleiten. Ähnlich wie beim Waldgesetz aus dem 19. Jahrhundert könnte für den Verkehrsraum das Ausgleichsverfahren eingeführt werden: Grünfläche, die durch neuen Verkehrsraum versiegelt wird, muss andernorts als renaturierte Fläche kompensiert werden. Dann wird in Nähe bestehender Infrastruktur garantiert raumschonender und kompakter gebaut.

Asphalt in Grünflächen umwandeln, wäre nicht revolutionär: 1985 startete die CVP Winterthur eine Volksinitiative: «Vom Asphalt zurück zu Naturflächen.» Die angekündigte Initiative von Umverkehr geht in die richtige Richtung, hat allerdings den Mangel, dass sie den Grünraumverlust ausserhalb der Städte ausser Acht lässt. 

Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Plafonierung des Strassenraums nicht bloss im links-grünen Lager, sondern auch bei wertkonservativen Menschen eine Chance hätte. Sie würde die Politikerinnen zum radikalen Umdenken zwingen. Gesetzes- und Richtplanänderungen würden beschleunigt. Wagen die Klimabewegten und Umweltverbände diese Forderung zu stellen?

In keinem Land der Welt kann das Volk auf derart einfache Art wichtige verkehrspolitische Signale setzen wie in der Schweiz. Das NEIN zur Untertunnelung von Zug, das Nein zum Rosengartentunnel, der grosse Widerstand gegen Stadtautobahnen in Luzern oder Biel sind solche Signale: Eine raum- und kostenintensive Verkehrspolitik nach dem Muster der 70er-Jahre ist nicht mehr gefragt! Gut so!

*Willy Germann ist ein engagierter Verkehrsdenker. Er befasste sich während mehr als 30 Jahren im Winterthurer Gemeinderat und im Zürcher Kantonsrat in der CVP-Fraktion mit Fragen des Raums und des Verkehrs. Er schreibt regelmässig zu diesem Thema – auch im Hochparterre.

Dieser Text ist zuerst auf hochparterre.ch erschienen. Die Publikation erfolgt in gekürzter Fassung und mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 

Fotos: Etienne Girardet, Unsplash / Claudio Schwarz,Unsplash / Odin Aerni, Unsplash

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