«Wenn ich Angst verspüre, weiss ich, dass ich am richtigen Ort bin»

Im Alter von 23 Jahren hat sich Samantha Soriano bereits einen Namen in der Mountainbike-Welt gemacht. Die Freeriderin ist das Gesicht der European Outdoor Film Tour 2024. Wir trafen sie in Zürich zum Gespräch.

Fabian Baumann, Redaktor (fabian.baumann@velojournal.ch)
News, 25.10.2024

Sie sind bereits im Alter von vier Jahren BMX-Rennen gefahren. Wie kam es dazu?

Samantha Soriano: Alles begann mit meinem Vater. Ich denke, und das sage ich auf die liebevollste Art und Weise, dass mein Vater damals etwas stellvertretend durch mich und meinen Bruder lebte. Er ermöglichte uns, etwas zu tun, das er als Kind auch gerne gemacht hätte. Mein Vater wuchs auf den Philippinen in bescheidenen Verhältnissen auf. Im Alter von zehn Jahren kam er in die USA. Dort hatte er es zunächst auch nicht einfach. Viele Jahre später, im Medizinstudium, kaufte er sich sein erstes Mountainbike …

… und Ihnen später ein BMX-Rad.

Genau. Auf dem Weg zur Arbeit im Krankenhaus fuhr mein Vater jeden Tag an einer BMX-Strecke vorbei und sagte sich: Es wäre doch super, wenn meine Kinder hier fahren würden. Damit nahm alles seinen Anfang.

Sie sind dann zehn Jahre lang BMX-Rennen gefahren. Warum haben aufgehört?

Mit 14 fühlte ich mich ausgebrannt. Es ist schwer, 10 Jahre lang immer BMX-Rennstrecken im Kreis zu fahren. Ich nahm zwar an nationalen Rennen teil. Da fährt man übers Wochenende in eine andere Stadt und auf einer anderen Strecke und denkt sich, cool, das war mal was anderes. Dann kommt man zurück und realisiert, dass es eigentlich genau gleich ist. Damals lebten wir im US-Bundesstaat Colorado. Dort gab viele lokale Mountainbike-Rennen und auch eine Kinder- und Junioren-Kategorie. Und da meinte mein Vater: Wieso probierst du es nicht mal mit Bikerennen?

Das haben Sie dann einfach so gemacht?

Ja. Allerdings habe ich recht schnell gemerkt, wie hart die Cross-Country-Rennen sind. Ich wollte immer Erste sein und habe von Anfang an Vollgas gegeben. Auf den ersten Kilometern war dann aber jeweils die Luft raus, nur dauerten die Rennen dann noch lange. Das Rauffahren liegt mir nicht so, ich fahre lieber runter. Und so bin ich beim Enduro-Format gelandet. Zu dieser Zeit war die Big-Mountain-Enduro-Serie in Colorado ein grosses Ding. Ich war auch erfolgreich. Als ich die Möglichkeit angeboten bekam, einem Team beizutreten, musste ich mich aber entscheiden: entweder Enduro oder Downhill. Ich habe mich dann für Downhill und gegen das Team entschieden. Downhill ist wirklich Downhill, da gehts nur runter (lacht).

Vom Rennsport haben Sie mittlerweile Abstand genommen. Warum?

Im Jahr 2019 musste ich aufgrund eines Sturzes meine Schulter operieren lassen. Mit den Rennen war erstmal Schluss. Gleichzeitig hatte ich wieder einen Punkt erreicht, an dem ich mich ausgebrannt fühlte. Es ging nicht mehr voran. Ich habe begonnen, mich beim Fahren und beim Üben von Tricks im Gelände zu filmen und die Videos auf Social Media zu veröffentlichen. Irgendwie wurde Red Bull auf mich aufmerksam und lud mit zu Formation (A.d.R. ein Freeride-Anlass für Frauen in der Wüste Utahs) ein. Der Event konnte dann 2020 wegen Corona zwar nicht stattfinden. Aber schon die Einladung zu erhalten, war für mich supercool. Das Freeriden gibt mir das absolute Gefühl von Freiheit.

Mountainbike-Freeride wirkt von aussen betrachtet als riskanter Sport, der eher von Männern ausgeübt wird. Wie gehen Sie als Frau damit um?

Das Überschreiten meiner Grenzen und das Bewältigen von Angst spielen eine wichtige Rolle. Das Freeriden gibt mir die Möglichkeit, an Herausforderungen zu wachsen. Man stürzt und macht es beim nächsten Mal besser. Ich glaube, wenn man im Leben nie mit Widrigkeiten konfrontiert ist, strengt man sich zu wenig an. Wenn ich also manchmal Angst verspüre, weiss ich, dass ich am richtigen Ort bin.

Steigt so nicht das Risiko, sich ernsthaft zu verletzen?

Man sollte einen Sprung oder eine Abfahrt nicht machen, wenn man nicht sicher ist, dass es geht. Hinzu kommt, dass ich mich Stück um Stück an schwere Tricks oder herauforderndes Terrain heranwage. Das Bewältigen von Angst heisst nicht, die Gefahr zu ignorieren. Es geht darum, die Angst zu bezwingen, etwas Neues zum ersten Mal zu machen.

Kommen wir noch auf Ihren aktuellen Film zu sprechen. In «Cycle of Bayanihan» reisen Sie in Begleitung ihres Vaters auf die Philippinen. Ist der Film eine Art Spurensuche Ihrer familiären Wurzeln?

Ich glaube schon. Und ich bin froh, dass ich das durch die Linse des Mountainbikes getan habe anstatt nur durch die Linse meines Vaters.

Wie meinen Sie das?

Die Erfahrung wäre einen andere gewesen. Für meinen Vater ist es wichtig, dass ich die guten Seiten der Philippinen sehe. Durch das Treffen und den Austausch mit der lokalen Mountainbike-Community habe ich einen tieferen Einblick erhalten, habe das Gute und das Schlechte gesehen und erfahren, wie die Menschen im Land leben. Ich fühle seither eine tiefere Verbindung zu meinen philippinischen Wurzeln, weil ich erlebt habe, mit welchen Herausforderungen viele Filipinos konfrontiert sind, aber auch die Intimität der Gemeinschaft erfahren habe.

«Cycle of Bayanihan» ist also ein Film über das Leben und weniger über das Freeride-Mountainbiken.

Ich würde nicht sagen, dass wir das krasseste Fahren auf den Philippinen gefilmt haben –und das ist völlig in Ordnung. Es geht darum zu vermitteln, dass das gemeinsame Biken mit Freunden Spass macht und man eine tolle Zeit zusammen hat. Ich habe das Gefühl, dass es eine Geschichte ist, die über die Mountainbike-Community hinausgehen kann. Das finde ich grossartig.

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