Monsterjagd als Funke – Die Story hinter dem Tern «GSD»

Longtail-Cargobikes sind heute in Städten ein vertrauter Anblick. Dabei wurde Terns «GSD» als Urvater dieser Kategorie erst im Sommer 2017 vorgestellt. Der Ursprung liegt in einem Nerven aufreibenden Familienausflug.

Laurens van Rooijen, Autor

Laurens van Rooijen, Autor (lvr@cyclinfo.ch)
News, 12.06.2025

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Manche der praktischsten Gebrauchsgegenstände sind entstanden, weil spezifische Bedürfnisse nicht von kommerziell erhältlichen Produkten abgedeckt wurden. Da macht das «GSD» als Urvater der kompakten Lastenvelos keine Ausnahme. Denn an dessen Ursprung stand ein Familienausflug in Taipeh.

Als Gründer der Marke Tern hatte Josh Hon seinen beiden Söhnen versprochen, an einem Sonntagnachmittag in einen Park am Ufer des Tamsui zu fahren, einem der Flüsse in Taipeh. Dort wollten sich die Knaben auf die Jagd nach virtuellen Monstern machen – das populäre Smartphone-Spiel «Pokémon Go» lässt grüssen. Um dem Firmenmotto nachzuleben, Menschen aus dem Auto und aufs Velo zu bringen, montierte Hon kurzerhand zwei Kindersitze auf den Gepäckträger eines Faltvelos.

Vom Schreck zur Verbesserung

«Damals war Tern noch ein reiner Faltvelo-Spezialist und führte das ‘Node Cargo’ im Sortiment», erinnert sich Josh Hon. «Das war unser 24-Zoll-Modell ‘Node’, ergänzt um eine Lasten-Erweiterung von Xtracycle. Bei geringer Zuladung funktionierte das ganz gut, und das ‘Node Cargo’ liess sich auf einen Drittel seiner Grösse zusammenfalten. Bei der Fahrt ans Flussufer zeigte sich jedoch, dass dies keine technisch ausgereifte Lösung war. Wegen zu geringer Steifigkeitsreserven geriet jeder schnelle Richtungswechsel zum Abenteuer – und wenn ein Bus unser Gefährt überholte, wurde es erst richtig haarsträubend. Zum Glück haben meine beiden Söhne davon nicht viel mitbekommen, aber mein Herz hat gerast.» Kurz darauf bot Josh Hon sein Entwicklerteam zu einer Sitzung auf.

Nachdem er die Probleme auf seiner Ausfahrt geschildert hatte, legte Hon seine Kriterien für ein neues Modell vor: Gefragt war ein Faltvelo mit genügend Platz für zwei Kindersitze auf dem Gepäckträger und für hohe Zuladung ausreichenden Steifigkeitsreserven, das sich auf kleinem Raum abstellen liess.

«Wegen zu geringer Steifigkeitsreserven geriet jeder schnelle Richtungswechsel zum Abenteuer – und wenn ein Bus unser Gefährt überholte, wurde es erst richtig haarsträubend.»

Josh Hon, Tern CEO und Gründer

Denn Platz ist in asiatischen Grossstädten Mangelware. Weil diese Städte in die Höhe schiessen, sollte das Velo zudem in einen Lift passen. «Hersteller wie Yuba und Bicicapace boten bereits Modelle, die einzelne meiner Kriterien erfüllten – aber das komplette Paket war so noch nicht erhältlich», blickt Josh Hon zurück. Damit Fahrten zur Krippe oder in den Stadtpark nicht zur schweisstreibenden Plackerei ausarteten, sollte zudem ein elektrischer Hilfsantrieb verbaut sein.

Knobeln an der Quadratur des Kreises

Die Designer und Entwickler machten ihre Notizen und sich sogleich an die Arbeit. Doch dabei stiessen sie bald an Grenzen. Die Kombination von ausreichenden Steifigkeitsreserven, einem Mittelmotor und einem Faltmechanismus erwies sich als Knacknuss. Damit gab sich ein Entwicklungsingenieur nicht zufrieden. Auf der Basis von Terns erstem Falt-E-Bike «Vektron» baute er einen Prototypen – ohne Faltmechanismus und noch ohne überlangen Gepäckträger.

Dieser Prototyp fuhr sich auch bei hoher Zuladung souverän. Nach einigem hin und her fällte das über Kalifornien, Finnland und Taiwan verteilte Design- und Entwicklungs-Team einen Entscheid, der für Tern als Faltvelo-Spezialisten ungewöhnlich war: Der sichere Transport schwerer Lasten war wichtiger als die Faltfunktion. Also musste das für die Marke typische, zentrale Scharnier im Rahmen weichen.

Vom Faltvelo zum Nutzfahrzeug

Als nächstes machte sich das Designteam um Joakim Uimonen daran, dem Prototypen einen überlangen Hinterbau und damit Platz für zwei Kindersitze zu verpassen. Auch hier war ein klares Kriterium zu erfüllen. Um im urbanen Alltag volle Funktion zu bieten, durfte das aufgrund seines Charakters als Nutzfahrzeug intern «Get Shit Done» genannte, neue Modell nicht länger als 1,85 m sein.

«So lang war der Kofferraum des VW Touran bei umgelegter Rückbank. Unser PR- und Marketingmann Uwe Weissflog fuhr so einen Wagen, und als Familienvater überlegte ich mir, ebenfalls einen Touran anzuschaffen», erinnert sich Josh Hon. Damit das neue Modell auch hinten in einen normalen Kombi und nicht nur in Vans passte, liess sich die Lenksäule wie bei Tern gewohnt abklappen. Dennoch stellte sich die Frage: Wie stand es um die Anforderung, dieses neue Modell Platz sparend abstellen zu können?

Vertikal Hinstellen statt Falten   

Hier kam eine unkonventionelle Idee wie gerufen: Diese kam den Entwicklern, weil der Prototyp im Tern-Hauptquartier in einem Geschäftshaus in Neu Taipeh immer senkrecht hingestellt werden musste, um in die Liftkabine zu passen. Also wurden die Enden des XL-Gepäckträgers verlängert und mit vier Gummipuffern versehen, und schon liess sich das Rad kippsicher vertikal hinstellen. Zusammen mit der abklappbaren Lenksäule erlaubte dies ein Abstellen auf kleinstem Raum. «Auf den ersten Blick scheint das keine grosse Sache, aber so machten wir das Lastenrad für all jene zum Thema, deren Wohnung kaum Platz für ein Velo bietet. Statt eine Nische in der Nische zu schaffen, konnten wir so zusätzliche Zielgruppen erschliessen», blickt Josh Hon zurück. 

«So machten wir das Lastenrad für all jene zum Thema, deren Wohnung kaum Platz für ein Velo bietet.»

Josh Hon

Bei der Premiere an der internationalen Velomesse Eurobike im Jahr 2017 sorgte Tern mit dem ungewöhnlichen Konzept des «GSD» noch für eine Mischung aus Verwunderung und Belustigung. Aber die Vorteile der kleinen Familienkutsche lagen auf der Hand. Bald schob Tern mit dem «HSD» ein etwas kleineres Modell nach, und später folgten das «Quick Haul» und das «Short Haul» als deutlich günstigere Varianten.

Letzteres verzichtet auf einen Hilfsantrieb, ist dafür aber mit Fr. 1099.– wirklich günstig. Bei der im Jahr 2020 präsentierten zweiten Generation wurde der Rahmen des «GSD» nochmals versteift und die Geometrie verfeinert. Flächige Abdeckungen schützten die Passagiere vor den Speichen und dem Antriebsstrang, erstmals liess sich auch ein Zahnriemen verbauen und die Palette an Zubehör wurde weiter ausgebaut.

Oft kopiertes Erfolgsrezept

Unverändert blieben die robusten 20-Zoll-Räder, die für Agilität und einen tiefen Schwerpunkt sorgen. Und die Tatsache, dass sich das kompakte Lastenvelo dank Vario-Vorbau und Teleskop-Sattelstütze an Menschen mit einer Körpergrösse von 1,50 m bis 1,90 m anpassen lässt. Damit ist es eine echte Familienkutsche. Dieses Konzept kommt nicht nur bei der Kundschaft an: Inzwischen bieten viele Marken kompakte Longtail-Modelle an, die deutlich vom «GSD» inspiriert sind, um es nett zu sagen.

Funktionell gibt Terns Premium-Modell weiterhin den Takt vor, und bei der soeben lancierten dritten Generation kommen nun auch ABS-Bremsen, GPS-Tracking und weitere Funktionen von Boschs smartem System hinzu. Kurzum: Die Erfolgsgeschichte der kompakten Lastenräder, die mit einigen Schreckmomenten begann, ist noch lange nicht zu Ende.

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