Erwartungen und Realität klaffen auseinander

Eine neue Studie der Universität Freiburg befasst sich mit der Verkehrssicherheit auf dem Fahrrad. Forscher untersuchten, auf welchen Strassen Velo fahrende Personen mit wie viel Abstand überholt werden.

Fabian Baumann, Redaktor (fabian.baumann@velojournal.ch)
News, 12.08.2022

Auf welchen Strassen fühlen sich Velofahrende am sichersten, wenn sie von Autos überholt werden? Auf Haupt- oder Überlandstrassen mit Tempo 50 oder Tempo 60 oder auf Strassen in Tempo-30- oder sogar in Begegnungszonen? Sicher tippen Sie auf Letzteres. Und Sie haben recht.

Eine neue Studie der Universität Freiburg (DE) zeigt, dass sich das subjektive Sicherheitsgefühl von Velofahrerinnen und -fahrern je nach Strassentyp und zulässiger Höchstgeschwindigkeit unterscheidet.

In Tempo-30-Zonen sowie auf Spiel- und Velostrassen erwarten Radfahrende eine hohe Sicherheit. Ist das zulässige Tempo für den Motorfahrzeugverkehr höher und fehlt die Veloinfrastruktur, erwarten sie hingegen eher gefährliche Überholmanöver.

Überholabstand: Erwartungen und Realität klaffen auseinander

«Die tatsächlichen Überholabstände der Autos widersprechen allerdings diesem subjektiven Sicherheitsgefühl», schreiben Rul von Stülpnagel vom Institut für Psychologie sowie Nils Riach und Rafael Hologa vom Institut für Umweltsozialwissenschaften und Geographie der Universität Freiburg.

«Auf Strassen mit reduzierter Geschwindigkeit oder Radstreifen werden Fahrradfahrende mit genauso wenig oder sogar noch weniger Abstand überholt als auf anderen Strassen.»

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten 385 Velofahrenden Bilder unterschiedlicher Strassen in der Stadt. Die Teilnehmenden gaben zu jedem Bild eine Einschätzung ab, wie sicher ein Überholvorgang dort ihrer Ansicht nach ist.

«Auf Strassen mit reduzierter Geschwindigkeit oder Radstreifen werden Fahrradfahrende mit genauso wenig oder sogar noch weniger Abstand überholt als auf anderen Strassen.»

Dr. Rul von Stülpnagel, Universität Freiburg

Die Forscher stützen ihre Aussagen aber nicht einzig auf die Ergebnisse der Befragung. Um die Verkehrsrealität zu erfassen, massen sie mit einem am Velo montierten Sensor die tatsächlichen Überholabstände an den betreffenden Stellen. Insgesamt wurden 632 Überholvorgänge an 73 Orten in Freiburg gemessen.

Nur jedes dritte Auto hält den vorgeschriebenen Überholabstand ein

Das Resultat lässt aufhorchen. Nur jedes dritte Auto hielt den in Deutschland gesetzlich vorgeschriebenen Abstand beim Überholen von Fahrrädern –  1.5 Meter – ein. «Vor allem in verkehrsberuhigten Strassen und auf Fahrradstreifen werden Radlerinnen und Radler dichter überholt, als sie das selbst erwarten», sagt von Stülpnagel.

Eine Erklärung könnte sein, dass solche Strassen tendenziell eng seien, die Velostreifen aber den Eindruck erweckten, Autolenkende dürften den Strassenraum bis zur Begrenzungslinie nutzen. Und dies auch dann, wenn der vorgeschriebene Überholabstand unterschritten werde.

Wissenschaftler plädieren für bessere Veloinfrastruktur

Von Stülpnagel betont, dass die Ergebnisse der Studie keinesfalls gegen Tempolimiten und Velostreifen sprechen. Niedrige Geschwindigkeit könne die Folgen von Unfällen verringern. Und Infrastruktur für Personen auf Fahrrädern mache diese sichtbarer im Strassenraum.

Der Wissenschafter plädiert dafür, Strassen so zu gestalten, dass Autos einen Überholabstand von 1.5 Meter einhalten können, ohne dass sie einen Schlenker fahren müssen. Im Idealfall sollten Radwege und Strassen für Motorfahrzeuge gar baulich getrennt sein.

«Unsere Studienergebnisse weisen darauf hin, dass solche baulichen Trennungen sowohl das Sicherheitsgefühl als auch die Überholabstände erhöhen können», bilanziert von Stülpnagel.

Der Schweizer Bundesrat hält die aktuelle Regel, wonach gegenüber allen Strassenbenützern beim Überholen «ausreichender Abstand zu wahren ist» für genügend.

Überholabstand beim Velofahren auch ein Problem in der Schweiz

Der Überholabstand gegenüber Velofahrenden war in der Schweiz wiederholt Gegenstand politischer Debatten. Obwohl hierzulande jeder zwanzigste Velounfall bei einem zu knappen Überholmanöver erfolgt und auch der empfohlene Sicherheitsabstand meist nicht eingehalten wird, sieht der Bundesrat keinen Handlungsbedarf.

Die Landesregierung hält die aktuelle Regel, wonach gegenüber allen Strassenbenützern beim Überholen «ausreichender Abstand zu wahren ist» für genügend. Und während neben Deutschland zahlreiche weitere Länder gesetzlich vorgeschriebene Überholabstände kennen, hält der Bundesrat eine solche Regel für «kaum kontrollier- und durchsetzbar».

Update: 18.08.22. In einer ersten Version stand, dass in der Schweiz rund jeder zehnte Velounfall wegen zu knappen Überholmanövern erfolgt. Richtig ist, dass rund 5,2 % der Unfälle (jeder zwanzigste Unfall) auf mangelhaftes Überholen zurückzuführen ist. 

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