Digitale Zwillinge für unsere Städte

4-D-Modelle helfen, Städte zu verstehen und nachhaltig zu entwickeln. Am Forum des «Netzwerks Stadt und Landschaft» an der ETH Zürich wird dies anhand aktueller Forschung veranschaulicht.

Aline Künzler

Aline Kuenzler, Autorin (aline.kuenzler@velogisch.ch)
News, 06.09.2024

Der simulierte Flug über die modellierte Stadt zieht den Vorlesungssaal sofort in seinen Bann.  An der Konferenz des «Netzwerks Stadt und Landschaft» an der ETH wird anschaulich gezeigt, wie der «digitale Zwilling» nicht nur optisch begeistern, sondern auch die Entwicklung des urbanen Raums massgeblich unterstützen kann.

Reale und digitale Stadt

Wie zwei Zwillingsgeschwister sind eine reale Stadt und ihr «digitaler Zwilling» kaum mehr zu unterscheiden. Diese digitalen Modelle, die Zwillinge, sind die bis anhin umfassendste Sammlung von Informationen zu einer geografischen Fläche und daher eine maximal realitätsnahe Abbildung dieser Umgebung.

Die Inhalte der 4-D-Karten gehen weit über eine herkömmliche Strassenkarte hinaus. Digitale Zwillinge zeigen Verkehrs-, Klima-, aber auch Mobilitätsdaten und viele weitere Aspekte, welche das Leben und die Entwicklung eines Raumes beeinflussen. Daher vereint das «Netzwerk Stadt und Landschaft» verschiedenste Forschungsbereiche aus Architektur-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften.

Die vierte Dimension

Die vierte Dimension des Zwillingsmodells ist die Zeit, erklärt Postdoktorand Michael Walczak am Forum. Mithilfe seines Zwilling der Stadt Sarajewo kann er den Einfluss einzelner Neuerungen oder komplexer Veränderungen auf unterschiedlichsten Ebenen der Stadt simulieren.

So kann optisch gezeigt werden, inwiefern sich beispielweise die Luftqualität oder die Bevölkerungsdichte verändert, wenn ein neues Quartier erschlossen wird oder welchen Einfluss eine neue Velobahn auf die Demografie haben kann.

Dargestellt wird diese Datenflut in beeindruckend realitätsnahen 4-D-Darstellungen der Stadt. Dabei sind einzelne Gebäude, aber auch Fahrzeuge und modellierte Personen zu erkennen.

Menschen sind die «Agenten»

Die Menschen sind schliesslich die Verbindung der Daten. Verschiedene Ebenen wie etwa Mobilität, Energie oder Infrastruktur werden erst durch die Menschen in einer Stadt verbunden. Sie sind in der Fachsprache die «Agenten», die durch ihre Entscheidungen und Aktionen Datenpunkte verbinden und neue Datensätze schaffen.

So sind die digitalen Zwillinge keineswegs starr, sondern können Bewegung und Veränderung lebhaft darstellen. Durch Bewegungen, Veränderung von Farben und Intensitäten sind zugleich die zeitlichen Veränderungen der einzelnen Parameter sichtbar.

Mobilitäts-Hotspots oder die Nutzung spezifischer Verkehrsmittel werden so auch für Laien sichtbar. In einem simulierten Flug über die Stadt kann so die Stadtentwicklung erfahren werden.

Studio Mobil – Forschung auf der Strasse

Speziell für Laien wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts an der ETH das «Studio Mobil» entwickelt. Diese mobile Installation ermöglicht es, die Forschung auf die Strasse zu bringen. Das Projekt ist aus der Not während der Pandemie entstanden, findet aber bis heute Anwendung.

Für die Forschung vor Ort ermöglicht die Installation nicht nur, die lokale Bevölkerung zu informieren und mit einzubeziehen, sondern auch, an verschiedenen Orten der Stadt Daten zu erheben. Mithilfe von physischen Modellen, Umfragen und Diskussionen vor Ort in den Quartieren konnte beispielweise der digitale Zwilling von Sarajewo erklärt und verifiziert werden.
Während der Konferenz steht das Studio Mobil vor der ETH-Zürich auf dem Hönggerberg und ist Teil des Workshop-Programms der Konferenz.

Chancen und Herausforderungen der Zwillinge

Die grossen Chancen der «digitalen Zwillinge» sind die Breite und Geschwindigkeit von Simulationen und dadurch die Vorhersage und später die Messbarkeit von beispielweise neuen Richtlinien oder Gesetzen. Schneller und aussagekräftiger als bis anhin, können unzählige verschiedene Szenarien durchgerechnet und dargestellt werden.

Laufende Herausforderung der neuen Modelle ist deren Nutzbarkeit für Laien. Durch «Gamification», die Transferierung der Simulationen in digitale Spiele, sollen diese in Zukunft zugänglicher für die Bevölkerung und mit ihr weiterentwickelt werden.

Dies ist nötig, wie Professor Kumpner zu Beginn der Konferenz betont. Städte auf der ganzen Welt wachsen, die Urbanisierung schreitet weiter voran. Er beschreibt die Schweiz «nicht als Stadt, aber als urbanes Land».

Alle Schweizer Städte sind eng verbunden, ihre Stadtgrenzen verlierend rasant an Bedeutung, urbane Regionen und die Betrachtung des ganzen Landes werden daher wichtiger. Deshalb muss grenzüberschreitend und iterativ gedacht wie auch geforscht werden. Digitale Zwillinge ermöglichen genau dies.

Video des dititalen Zwillings der Stadt Sarajewo.

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