Velo, fast unmittelbar

Der ganze Aufwand rund um ein Sportereignis ist grösser als der Anlass selbst. Diesem Missverhältnis bei den Profis radeln die Hobbysportler eifrig hintendrein.

Dres Balmer, Autor

Dres Balmer, Autor (dres.balmer@bluewin.ch)
Kommentar, 30.03.2022

Betrachten wir die Tour de France, und stellen wir diese grobe Rechnung an: Es starten zweihundert Radprofis, begleitet vom offiziellen Tour-Tross, und der besteht aus zweitausendvierhundert Motorfahrzeugen. Wir rechnen: Ein einziger Profi braucht für seine Fahrt die Eskorte von zwölf offiziellen Motorfahrzeugen. Manchmal bin ich bei einer Etappe an einem hohen Pass zugegen, und da sehe ich, dass Radsportfans am Strassenrand vierhundert Autos und Wohnmobile abgestellt haben, vierhundert inoffizielle Vehikel sind heraufgefahren, vierhundert werden wegfahren. Also sind pro Fahrer nunmehr vierzehn Motoren unterwegs – mindestens.

Ich plane eine Velotour und erhalte Telefonanrufe von Interessierten, die ich noch nicht kenne, die aber als Teilnehmer willkommen sind. Schon mehrmals ging der Dialog etwa so: Der Anrufer fragt, wie das auf unserer Tour sei mit dem Begleitfahrzeug. Ich sage, wir führen ohne Begleitfahrzeug. Dann, so meint der Kandidat, sei die Teilnahme für ihn unmöglich. Ich mache dann die Anregung, er möge es doch einmal ohne motorisierte Assistenz ausprobieren, doch da stosse ich bei den meisten Aspiranten auf Ablehnung.

«Um dem heiligen Sport zu frönen, brauchen die Hobbysportler ziemlich viele Hilfsmittel, ihr Tun ist per definitionem also mittelbar.»

Ähnlich denken sehr viele Gümmeler. Wenn ich an einem schönen Tag vom Bahnhof Innertkirchen auf dem Velo Richtung Grimselpass fahre, sehe ich auf den Parkplätzen am Strassenrand ein Dutzend Autos mit offenen Heckklappen. Davor stehen am Boden Velos auf leeren Gabeln, gleich wird das Vorderrad eingespannt. Es werden eifrig Schuhe gewechselt, Sonnencrèmes eingestrichen, Bidons in die Halter geschoben, beim Vorbeifahren rieche ich eine Brise Dul-X. Manche Hobbyfahrer werden begleitet von ihren Gattinnen, die ihnen dann im Mamamobil vorausfahren, um weiter oben auf sie zu warten, ein Heldenvideöli zu drehen, ihnen Mut zuzusprechen und eine Banane zu überreichen.

Um dem heiligen Sport zu frönen, brauchen die Hobbysportler ziemlich viele Hilfsmittel, ihr Tun ist per definitionem also mittelbar. Wenn ich mit der Bahn heranfahre, ist mein Radeln auch mittelbar, doch die Mittel sind viel bescheidener.
Bin ich unterwegs am Pass, findet die Mittelbarkeit ihre Fortsetzung so: In beiden Richtungen werden mit Autos mehr Velos an mir vorbeigekarrt, als ich Damen und Herren im Sattel sehe.

Eine gar bizarre Spielart der Mittelbarkeit praktizieren manche Ex-Gümmeler, die wegen des starken Verkehrs nicht mehr auf der Strasse fahren und aufs Mountainbike umgestiegen sind. Das transportieren sie mit ihrem Auto ins Grüne, um dort ohne Autolärm durch die stille Natur und danach wieder im Auto nach Hause zu fahren. Und, oh Ironie unserer Zivilisation: Am meisten Zweitönner mit Traggestellen, auf denen sie ihre elektrischen Mountainbikes heraufgeschleppt haben, kann man auf den grossen Auto­abstellflächen im Schweizerischen Nationalpark bewundern.

Dres Balmer schreibt Reportagen und Bücher übers Reisen auf dem Velo. Zuletzt erschien der Titel «Querpass, in neun Etappen durch die Schweiz» beim Werd & Weber Verlag.