Pete Mijnssen,
Chefredaktor
(pete.mijnssen@velojournal.ch)
News,
23.08.2022
Martin Blum ist Radverkehrsbeauftragter der Stadt Wien. Im Interview spricht er darüber, wie die Stadt den Autoverkehr senken will und erklärt, warum in der österreichischen Hauptstadt manches etwas langsamer geht.
Pete Mijnssen,
Chefredaktor
(pete.mijnssen@velojournal.ch)
News,
23.08.2022
Martin Blum ist in Wien entweder mit dem Citybike oder dem Familien-Cargorad unterwegs. (Foto: Regina Hügli)
Velojournal: Wien will bis 2040 klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste der Autoverkehr erheblich eingeschränkt werden. Was tut Wien dafür?
Martin Blum:Wien verfolgt dazu mehrere Ziele. Seit März gibt es die flächendeckende Parkraumbewirtschaftung: Parkieren ist nun in allen Stadtteilen kostenpflichtig. Wien baut zudem die U- und S-Bahnen aus. Und noch nie wurde so viel in Radwege investiert.
Warum ist die Unzufriedenheit der radelnden Bevölkerung dennoch gross?
Die Anspruchshaltung der Bevölkerung ist in den letzten Jahren gewachsen. Auch wegen der zunehmenden Sensibilisierung. Wir arbeiten mit Hochdruck am Wegnetz-Ausbau und dem Erstellen effizienter Verbindungen.
Zum Beispiel?
Die Achse vom Zentrum in den Nordosten der Stadt über die Donau wird auf einen Standard von vier bis fünf Metern Breite ausgebaut. Derzeit sind noch viele Wege zu schmal für die Menge an Velofahrenden.
Der Veloverkehr wurde gerade während der Pandemie populärer, vielerorts wurden Pop-up-Radwege gebaut. Auch in Wien. Derjenige an der Praterstrasse ist aber schon wieder verschwunden. Warum?
Der war auch nur temporär geplant. Nun folgt dort aber ein richtiger Radweg (2023). Pop-up-Radwege sind ja keine Dauerlösung. Das Ziel sollte sein, dass auch der Radverkehr eine gute, feste und dauerhafte Infrastruktur zu Verfügung hat.
Gibt es eine Roadmap für den Infrastruktur-Ausbau, oder arbeiten Sie sich an Puzzlestückchen ab?
Wir haben eine Evaluierung des bestehenden Hauptverkehrsnetzes gemacht. Dieses hat einen unterschiedlichen Qualitätsstandard, der im Konsens mit den Bezirken definiert wird.
Gibt es eine Kontrolle, um zu sehen, ob Ihre Massnahmen fruchten?
In Wien gibt es Zählstellen, die den Radverkehr das ganze Jahr über erfassen, mittlerweile zum Beispiel auch an allen Donauquerungen. Wir wissen also genau, wie viele Personen Rad fahren in Wien. Daneben gibt es die Smartcity-Klimastrategie der Stadt Wien. Sie legt fest, in welche Richtung die Stadt gehen soll, welchen Modalsplit die Stadt haben soll.
Welchen Modalsplit peilt Wien für den Veloverkehr an?
Es gibt keinen festgeschriebenen für den Fahrradverkehr. Aber 80 Prozent des Verkehrs sollen umweltverträglich sein, 20 Prozent Autoverkehr. Längerfristig soll der Anteil des Autoverkehrs auf 15 Prozent am Gesamtverkehr reduziert werden.
«Längerfristig soll der Anteil des Autoverkehrs auf 15 Prozent am Gesamtverkehr reduziert werden.»
Martin Blum
Radfahrende Besucher erleben aber eine Stadt, die von vielen Hauptverkehrsachsen durchquert wird. Auf diesen ist auch das Tempo hoch.
Das stimmt, wobei gerade diese Strassen, zum Beispiel die Ringstrasse oder auch der Gürtel, über vom Autoverkehr getrennte Radwege verfügen.
Stichwort Durchgängigkeit: Es gibt zwar viele Velo-Piktogramme, die Radwege hören aber auch immer wieder überraschend auf.
In den letzten Jahren hat es grosse Fortschritte gegeben. Der Radverkehr wird in der Planung mittlerweile überall mitgedacht. Im dicht bebauten Zentrum, den Gründerzeitquartieren, haben wir aber das Problem der Einkaufsstrassen und der Strassenbahnachsen; hier gibt es grosse Herausforderungen, den Radverkehr zu integrieren.
Welche?
Hier müssten grosse und lange Strassen komplett neu gedacht werden. Das geht nicht von heute auf morgen. Wir müssen diese Achsen neu denken.
Um den MIV-Anteil am Gesamtverkehr abzubauen, müsste es doch einfach weniger Platz fürs Autos geben, zusammen mit der Verlangsamung des Verkehrs. Das wäre doch «neu denken».
Wien hat den Modalsplit des MIV in den letzten Jahren erfolgreich gesenkt. 1993 lag der Anteil des Autoverkehrs am Gesamtverkehr bei 40 Prozent, heute noch bei 26 Prozent. Der Autoverkehr ist also deutlich zurückgegangen, und ich gehe davon aus, dass dieser Trend auch weiter anhält. Derzeit besitzt nur noch die Hälfte der Wiener Haushalte ein Auto.
«Es gibt das Sprichwort ‘In Wien möchte ich sein, wenn die Welt untergeht‛, weil hier alles 50 Jahre später passiert. Was ich damit sagen will: Einige Entwicklungen der letzten Dekaden, etwa die Massenmotorisierung, vollzogen sich hier weniger stark als in anderen Städten.»
Und wie sieht es aus punkto Klimainseln und Begrünung?
Mit den Klimazielvorgaben vor Augen arbeiten wir daran, die Stadt grüner zu gestalten. Dabei werden wir in Beteiligungsumfragen von der Bevölkerung aktiv unterstützt. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage zur Umgestaltung der Argentinierstrasse hat gezeigt, dass mehr Bäume, mehr Radwege und weniger Parkplätze erwünscht sind.
Andere Städte, etwa Paris, machen deutlich schneller vorwärts.
Es gibt das Sprichwort «In Wien möchte ich sein, wenn die Welt untergeht», weil hier alles 50 Jahre später passiert. Was ich damit sagen will: Einige Entwicklungen der letzten Dekaden, etwa die Massenmotorisierung, vollzogen sich hier weniger stark als in anderen Städten. Der Gegentrend, also das Zurückdrängen des Autoverkehrs, wie es Paris im Moment stark macht, vollzieht sich in Wien darum wohl auch weniger rasant.

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