Trötzeln als Politmarketing

Das Temporeduktions-Seilziehen zwischen Stadt und Kanton Zürich auf der Rosengartenstrasse hält an. Nun verweigern sich die Autoverbände dem Gespräch. Ist das schlau oder ein Zeichen bürgerlicher Schwäche?

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
Kommentar, 15.08.2025

Die Rosengartenachse ist sie meistbefahrene Quartierstrasse der Schweiz. 55’000 Autos, Motorräder und Lastwagen fahren dort durchs Quartier Wipkingen. Jeden Tag! Vor fünf Jahren setzte das Stimmvolk einen Schlussstrich unter ein 30-jähriges Seilziehen um ein Tunnelprojekt und verwarf die Vorlage mit 62,8% Nein-Stimmen wuchtig. Nun muss die Rosengartenstrasse deutlich vom Verkehr entlastet und insbesondere für den Fussverkehr stadtverträglich umgestaltet werden. Dafür hat das Tiefbauamt einen «Dialogprozess Zukunft Rosengarten» gestartet. 

Bundesgericht pfeift Kanton Solothurn zurück

Wie üblich lud die Stadt dafür 21 Interessensgruppierungen ein. Das erste Treffen fand Anfang Juli statt. Doch die Autoverbände TCS und ACS, der Hauseigentümerverband (HEV) sowie der Zürcher Gewerbeverband blieben dem Anlass fern. Und sie haben auch nicht vor, künftig mitzumachen. Ihre Begründung: Sie wollen nicht als «Feigenblatt» herhalten, wie sie gegenüber dem Tages-Anzeiger sagten. Vielmehr erhoffen sie sich, dass der Kanton vor allem beim Tempo noch ein gewichtiges Wort mitsprechen wird.

Der Stadtrat will Tempo 30, der Kanton Tempo 50. Pikantes Detail: Die FDP-Regierungsrätin Carmen Walker Späh schob nach der verlorenen Abstimmung das heisse Eisen der Stadt zu, beharrt aber auf Tempo 50. So wird weiterhin hinter den Kulissen und vor Gericht um das brisante Thema Temporeduktion gepokert. Das ist nicht nur in Zürich so. Auch in anderen Kantonen tobt der Streit. Gerade kürzlich hat das Bundesgericht den Kanton Solothurn wegen fehlender Tempo-30-Prüfung gerügt und dem Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) wegen Verfahrensfehlern Recht gegeben: Der Streit um Tempo 30 in Hägendorf SO muss nun neu beurteilt werden.

Bürgerliche hoffen weiterhin auf Tempo 50

In Zürich ist das Thema vor dem Hintergrund des sogenannten Anti-Stauartikels besonders brisant. Denn die Zürcher Stimmberechtigten nahmen vor acht Jahren folgenden Passus in die Verfassung auf: «Der Kanton sorgt für ein leistungsfähiges Staatsstrassennetz für den motorisierten Privatverkehr. Eine Verminderung der Leistungsfähigkeit einzelner Abschnitte ist im umliegenden Strassennetz mindestens auszugleichen». Dies geschah gegen den Willen der Stadtzürcher, die diesen verklausulierten Gegenvorschlag zur «Antistau-Initiative» der SVP ablehnten. Nun ist der Verweis auf diese Regel für den bürgerlichen Regierungsrat ein probates Mittel, um Tempo 30 auf der Rosengartenstrasse und anderswo auszubremsen. Auch bei den Velovorzugsrouten benötigt die Stadt immer wieder Phantasie, um ihren Volksauftrag gegenüber dem Kanton durchzusetzen.

Verkehrspolitischer Stellungskrieg

Das gegenseitige Misstrauen ist auch gross bei der temporären Spurreduktion an der Bellerivestrasse. Ab sofort wird diese für ein Jahr auf zwei Spuren reduziert wird, um Notreparaturen an Wasser- und Abwasserleitungen durchzuführen. Der Automobil-Club (ACS) befürchtet eine dauerhafte Spurreduktion nach Baustellenende und beobachtet den Prozess mit Argusaugen. So befindet sich Zürich auch nach vierzig Jahren noch immer im Verkehrs-Stellungskrieg. Trotz der klaren Annahme zahlloser Velorouten-Initiativen, Richtplänen oder Stadtgrün-Initiativen. Letztendlich geht es um die Grundsatzfrage, wieviel Durchgangsverkehr überhaupt noch durch die Stadt geleitet, bzw. darum herum geführt werden soll.

Realitätsverweigerung als Prinzip

Neu ist, dass die Autolobby ganz offen auf Gesprächsverweigerung macht und sich von demokratischen Prozessen verabschiedet. Kürzlich verwarf der Präsident von Auto-Schweiz an einer Tagung die Erkenntnisse aus drei Jahren Forschung der ETH zur «E-Bike City» in Bausch und Bogen und servierte stattdessen Argumente aus der tiefsten Mottenkiste.

Klar: Polemik gehört zu den Politik-Spielarten. Aber leider haben bürgerliche Politiker und Politikerinnen in den letzten Jahren grösstenteils einen konstruktiven Lösungsansatz zu den Verkehrsproblemen und generell Vorschläge zum demografischen Wandel vermissen lassen. Oder sie wurden dafür abgewatscht wie die Tiefbaudirektorin Carmen Walker Späh, die jahrzehntelang für ihren Rosengartentunnel geweibelt war. Und nun macht die Autolobby offen einen auf Gesprächs- und Realitätsverweigerung.

Als mündiger Bürger fühlt man sich um inhaltliche Diskussionen geprellt. Und fragt sich, wie dieses Politpersonal die Wahlen nächstes Jahr in der grössten Schweizer Stadt gegen Rot-Grün gewinnen will. Ist das alles, was bürgerliche Politik in Zürich zu bieten hat – Trötzeln als Politmarketing?