Wer nichts wagt, der nichts gewinnt

Zurzeit bewegen die Resultate des ETH E-Bike-City-Projekts die Medien. Dabei polemisiert die NZZ einmal mehr und zweifelt an der Umsetzung des ökologischen Stadtumbaus. Eine Replik.

Pete Mijnssen ist Chefredaktor des Velojournals.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
Kommentar, 24.06.2025

Vergangene Woche erschien in der NZZ ein ausführliches Interview mit dem emeritierten ETH-Professor Kay Axhausen zum Ergebnis der E-Bike-City. Die Resultate des dreijährigen Projekts waren kürzlich vorgestellt worden und werden seither breit diskutiert (Velojournal berichtete).

Die Projektzusammenfassung zeigt auf, wie der Veloanteil von heute knapp 10 Prozent auf 50 Prozent gesteigert werden könnte. Dafür müsste das heutige Verhältnis der Fahrspuren für den motorisierten Individualverkehr MIV zugunsten des Velos umgekehrt werden. Wie Axhausen selbst einräumt, «muss man radikal handeln, wenn man vorankommen will».

Zu radikal für die NZZ? In einem Kommentar werden diese Pläne angezweifelt und die Zeitung schreibt, dass «diese Velo-Vision nicht wintertauglich» sei. Während im Sommer noch viele Personen auf Velo oder E-Bike umstiegen, sei das im Winter illusorisch. Dann werde bekanntlich weniger Velogefahren und damit der ÖV noch mehr verstopft – oder das Auto genommen.

Das Auto ist ein Dinosaurier und Platzverschwendung

Axhausen selber hat sich in Sachen Verkehr vom Saulus zum Paulus gewandelt. Noch 2019 hatte er gesagt, dass das «Auto nicht aussterben wird, dafür ist es viel zu praktisch». Sechs Jahre später will er das Auto zwar nicht aus der Stadt verbannen, aber doch massiv einschränken. Für die Dekarbonisierung des Verkehrs sei dies unabdingbar – 38 Prozent des CO2-Ausstosses gehen auf den Verkehrssektor zurück.

Und warum nicht auf Elektroautos umsteigen? Auch wenn alle Autos elektrisch fahren würden, sässen noch immer durchschnittlich 1,4 Personen in einem zwei bis drei Tonnen schweren Blechmobil und verstopften den knapper werdenden Strassenraum. Die Verkehrsexperten rechnen mit einer massiven Zunahme der Mobilität bis Mitte des Jahrhunderts, da sind und bleiben Autos als «Dinosaurier» eine ineffiziente Platzverschwendung und behindern eine flüssige Verkehrsabwicklung, etwa jene der Dienstleistungsbetriebe.

Das hat auch Axhausen zu einem Verfechter der E-Bike-City gemacht, wie er Anfangs Juni an der ETH ausführte. Dass Städte, in diesem Fall Zürich, klimaneutral und zukunftsfähig werden müssen, hat nichts zu tun mit einem «miefigem Parteiprogramm von SP und Grünen», wie die NZZ unterstellt. Vielmehr wäre die Politik gut beraten, sich die Resultate des ETH-Forschungsprojekts genau anzusehen als einen wichtigen Beitrag für eine zukunftsgerichtete Verkehrspolitik.

Die Zeiten der viel beschworenen, «optimal ausgerichteten Balance» zwischen ÖV, Auto, Fussverkehr und Velo sind vorbei. Herausgekommen ist nur, dass sich die Verkehrsgruppen gegenseitig den Platz streitig machen und der Aktivverkehr (Person zu Fuss, Velofahrende) darunter leidet. Mit den prognostizierten Mobilitätszuwachsen und den kommenden Herausforderungen im Verkehr kommt die E-Bike-City zum rechten Zeitpunkt. Wird die Politik den Ball aufnehmen oder verschwinden die Ergebnisse dereinst in den Schubladen, wie so viele andere mutige Ansätze?

Das Velo muss Alltagsgefährt werden

In einem Punkt hat die NZZ allerdings recht: Noch ist in Zürich für (zu) viele Menschen das Velo ein Schönwetterfahrzeug und sie steigen um, sobald es regnet oder schneit. Aber Velostädte wie Amsterdam oder Kopenhagen machen vor, wie man auch bei Wind und Wetter massenhaft auf zwei Rädern unterwegs sein kann. Mit dem Aufkommen der E-Bikes ist auch das Argument der «hügeligen Stadt» längst nicht mehr stichhaltig. Die Velorution könnte schon morgen beginnen, wenn man wollte. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt.

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