Dass die in diesem Frühjahr besonders starke Nachfrage nach Velos und Veloreparaturen und die Probleme in der Fertigung und der Logistik vor allem in Fernost zu Lieferengpässen nicht nur bei kompletten Velos, sondern auch bei diversem Zubehör geführt haben, war in den vergangenen Tagen sogar Tageszeitungen wie dem Tages Anzeiger (Link) und der Süddeutschen (Link) Artikel wert. Da passte es gut, dass der Pressedienst Fahrrad ein Online-Branchengespräch zum Thema «Status Quo Fahrradwirtschaft: Die Liefersituation bei den Zubehörherstellern» veranstaltete. Auf Seiten der Branche wurde ein guter Mix aus Herstellern (HP Velotechnik, Busch & Müller, Croozer, Gates, Fahrer Berlin und SKS) und Vertriebsakteuren (Cosmic Sport, Messingschlager, RTI Sports) geboten. Dazu kamen Vertreter von Medien wie Radmarkt, Velototal, Bike Bild und Cyclinfo.

Viele Städte bieten der wachsenden Velopendler-Schar provisorische Velostreifen.
Das Velo ist gefragt - und damit auch das Zubehör
Angesichts vieler Event-Absagen ist der aktuelle Bedarf nach Austausch in der Velobranche gross. Was die unmittelbaren Folgen der während der vergangenen zwei Monate geltenden Einschränkungen betrifft, brachte Messingschlager-Geschäftsführer Dennis Schömburg die Situation vieler Branchenakteure auf den Punkt: «Im für den Absatz zentralen Monat April mussten wir deutliche Einbussen hinnehmen. Dafür ist die Nachfrage in diesen Wochen umso höher. Daher sehe ich die Chance, dass wir ohne grosse Verluste durchkommen.» Auch Daniel Gareus von Cosmic Sports erwartet, dass die Velobranche mit einem blauen Auge davon kommt – auch, weil das Velo aktuell als Transportmittel wie als Sportgerät schwer im Trend ist. Das zeigt sich auch daran, dass zurzeit in vielen Städten Europas Fahrspuren zu Velostreifen umgenutzt werden, um dem gewachsenen Zweiradverkehr mehr Raum auf der Strasse zu bieten.

Auf dem Seeweg sind die Fracht-Kapazitäten zurzeit fast ausgeschöpft.
Als Alternative bietet sich der Transport per Eisenbahn an.
Eisenbahn als Alternative zum Seeweg
Die hohe Nachfrage bestätigte auch Sarah Baukmann von SKS: «Der aktuelle Eingang an Aufträgen ist für den Mai einzigartig und betrifft nicht nur Deutschland – zum Teil wird wohl auch auf Vorrat bestellt. Einige unserer Schutzblech-Bestseller sind darum erst wieder Mitte Ende Juni verfügbar.» Auch bei HP Velotechnik führt die erhöhte Nachfrage zu längeren Wartezeiten, wie Alexander Kraft meldet: «Wir sehen bei der Nachfrage aktuell Wellen, die schwer zu kalkulieren sind. Dies erschwert es, die Zulieferkette entsprechend abzustimmen, und führt dann zu längeren Lieferzeiten. Statt der üblichen zwei gehen wir aktuell von fünf bis sechs Wochen aus.» Ein weiterer Engpass tritt bei der Containerfracht auf Schiffen auf. Um rechtzeitig genügend Ware im Lager zu haben, hat etwa Croozer anstehende Lieferungen trotz Mehrkosten auf die Eisenbahn umdisponiert. «Aktuell gehen Warenverfügbarkeit und Lieferfähigkeit zulasten der Deckungsbeiträge», gibt Messingschlagers Dennis Schömburg in diesem Zusammenhang zu bedenken.

Die hohe Nachfrage und Produktionsstopps in Fernost haben dafür
gesorgt, dass hochwertige Kindervelos aktuell Mangelware sind.
Kindervelos verkaufen sich fast von selbst
Wegen geschlossener Schulen, Homeoffice und mehr Familienausflügen stieg auch die Nachfrage nach Kindervelos dieses Frühjahr stark an. Zusammen mit Engpässen in der Fertigung und der Logistik führt dies bei Early Rider laut Daniel Gareus von Cosmic Sports zu drei Monaten Lieferverzögerung. Allgemein ist zu sagen: Für Fachhändler, die ihre Vororder schlank gehalten und darauf gesetzt haben, bei Bedarf nachbestellen zu können, könnte die Rechnung nicht aufgehen. Denn bei Kompletträdern vieler Hersteller werden die 2020er-Modelle bereits knapp oder sind gar schon ausverkauft. Dabei haben die Hersteller kaum weniger Velos gefertigt als geplant, wie Frank Schreiner vom Antriebsriemen-Anbieter Gates feststellt: «Wir betreuen für Bosch kleinere Veloproduzenten, und hier kam es allenfalls zu Verschiebungen, aber zu keinen Stornierungen.»

Ein Blick in die Näherei und Taschenfertigung von Fahrer Berlin.
Produktionsausfälle nicht nur in Fernost
Längst nicht alle Produktionsorte sind gleich stark von Störungen betroffen: In Taiwan gab es vor allem Probleme, wenn Zulieferer aus China ausfielen. Dies bestätigt Lothar Schiffner von RTI Sports, Hersteller von Ergon: «Die Zulieferung aus Taiwan verläuft unproblematisch, auch was die Logistik betrifft – wenn, dann orte ich einen Flaschenhals bei DHL, also auf der letzten Meile der Zustellung.» Das bestätigte so auch Philipp Elsner-Krause, Geschäftsführer von Fahrer Berlin. Dafür kam es bei einem Teil der in Deutschland gefertigten Produkte der Berliner zu Verzögerungen: «Weil wir hier mit Behindertenwerkstätten zusammenarbeiten und Behinderte zur Covid-19-Risikogruppe gehören, sank das Produktionsvolumen auf 30 Prozent.» Ein ähnliches Problem hat RTI Sports mit dem Sattelbreiten-Messtool, das ebenfalls in Kooperation mit einer Behindertenwerkstätte gefertigt wird.

«Waschen Sie Ihre Hände»: Das gilt auch in den USA bei Chris King.
Komfortabler ist Lichtspezialist Busch & Müller aufgestellt, wie Sebastian Göttling erklärt: «Weil wir uns zu einem guten Teil auf lokale Zulieferer in Nordrhein-Westfalen stützen, funktioniert der Nachschub für die Fertigung in Deutschland gut. Knapp sind aktuell nur die Einweghandschuhe, die wir bei der Montage der Scheinwerfer benötigen.» Dagegen gilt für die USA laut Daniel Gareus von Cosmic Sports: «Kleinere Betriebe wie Paul Components, White Industries oder Chris King waren eher von temporären Schliessungen betroffen.» Einfach so die Produktion erhöhen, um Engpässe zu vermeiden, ist übrigens kaum eine Option: Wegen Distanzvorgaben laufen viele Fabriken in China von der Kapazität her nur auf Sparflamme. Für die Verkaufsfront heisst dies: Fokussiert Euch auf Produkte, die Ihr an Lager habt oder die beim Schweizer Importeur noch vorrätig sind.







