Infotech: gelungene Online-Premiere

Besondere Zeiten erfordern kreative Lösungen. So wurde die Infotech von Velosuisse kurzerhand ins Internet verlagert. Im ersten Block tauschten sich Branchen-Schwergewichte über die hohe Nachfrage und deren Folgen aus.

Laurens van Rooijen, Redaktor (lvr@cyclinfo.ch)
Branche, 27.01.2021

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Das Jahr 2020 war für viele Akteure in der Velobranche extrem fordernd: Von Mitte Mai an, als die Ladenlokale nach dem ersten Shutdown wieder öffnen durften, erlebten Fachhandel wie Lieferanten intensive Monate mit langen Arbeitstagen, enormer Nachfrage und Engpässen beim Warenangebot. Weil viele Menschen lange nicht genutzte Velos wieder in Betrieb setzten, waren die Werkstätten vieler Geschäfte von Mitte März bis weit in den Herbst hinein ausgebucht. Und im Zuge der Vororder-Saison wurde rasch deutlich, dass die Zulieferketten nach wie vor gestört sind und 2021 nicht mit einer Entspannung der Lage zu rechnen ist. Die Hektik des vergangenen Jahres und die Fragezeichen zum kommenden rufen aus Sicht des Fachhandels nach Information und Orientierung.

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Wie die Mobis-Covid-19-Studie der ETH Zürich zeigt, wurde das Velo bis weit in den September
hinein deutlich häufiger benutzt. Das ist die Ursache für die hohe Nachfrage. Grafik: zVg

Nachhaltiger Veloboom oder Strohfeuer?
Das war auch Velosuisse bewusst, und darum widmete sich der erste Block der Infotech Online vom Montag der Frage, wie nachhaltig der aktuelle Veloboom sei. Zunächst zeigte Professor Kai Axhausen von der ETH Zürich, welche Verhaltensänderungen er im Rahmen des Projekts Mobis-Covid-19 (Link) bei der Mobilität in der Schweiz beobachtet hatte. Dabei lautet Axhausens zentraler Befund, dass das Velo der grosse Profiteur der Pandemie war - ob als Sportgerät oder für den Transport. Erst als das Wetter im Herbst garstiger wurde, nahm die Nutzung des Velos wieder ab - verblieb aber auf einem deutlich höheren Niveau als vor der Pandemie. Aus diesem geänderten Mobilitätsverhalten zog Axhausen den Schluss, dass Städte den Strassenraum anders verteilen und namentlich dem Veloverkehr mehr Platz einräumen müssten. 

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Scott Sports-CEO Beat Zaugg stand Velosuisse-Geschäftsführer Martin Platter zum verrückten Jahr 2020
Rede und Antwort. Das komplette Interview ist auf der Infotech Online-Plattform zu finden. Foto: Screenshot

Als nächstes wurde ein Interview eingespielt, das Velosuisse-Geschäftsführer Martin Platter im Vorfeld der Infotech mit Beat Zaugg geführt hatte. Der CEO von Scott Sports bestätigte die enorme Nachfrage, die er so noch nie erlebt und welche die Zulieferkette zeitweise überfordert habe. Um alle bestehenden Kunden bedienen zu können, habe Scott darum auf die Bremse treten müssen. Das erklärt auch, warum der Umsatz von Scott Sports im Jahr 2020 trotz der enorm gestiegenen Nachfrage «nur» um 17 Prozent zulegte. Dennoch sei er um all die produzierten Velos froh, die man habe ausliefern können, und weine keinen eventuell entgangenen Verkäufen nach. Schliesslich müssten Neuvelos vor dem Verkauf endmontiert und in Zukunft auch gewartet werden, was den Fachhandel an Limiten bringen könne. Das 45 Minuten dauernde Interview mit Beat Zaugg ist in voller Länge auf der Infotech Online-Plattform zu finden.

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TST-GPR-CEO Silas Obrist sieht in der Pandemie einen enormen Beschleuniger der Digitalisierung.
Zugleich sind die Probleme in der Zulieferkette für Obrist ein klares Alarmzeichen. Foto: Screenshot

Digitalisierung auf vielen Ebenen gefragt
Mit Silas Obrist von der TST-GPR AG und Richard Merz als Geschäftsführer von Fuchs-Movesa standen schliesslich zwei weitere Branchen-Schwergewichte dem Moderator Christian Rocha Rede und Antwort. Aus der Sicht von Silas Obrist war und ist die Pandemie ein massiver Stresstest für die Systeme unserer Gesellschaft: Nach einem ersten Schock habe die Nachfrage enorm angezogen. In dieser Zeit habe sich gezeigt, was zukunftsträchtig sei - und was nicht. Weil das Velo flexible Mobilität ohne Ansteckungsgefahr biete, sei es voll im Trend. Zudem hätten die geschlossenen Ladenlokale den Fachhandel gezwungen, neue Wege zu beschreiten. «Dabei sollte man die Digitalisierung nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeugkasten betrachten - und sich jeweils fragen, welche digitalen Tools mehr als nur Spielerei sind und die Prozesse und damit den Service wirklich verbessern helfen», gab Obrist zu bedenken.

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Fuchs-Movesa-Geschäftsführer Richard Merz verfügt über viel Erfahrung im Handel mit Fernost, aber an solche
Verwerfungen, wie sie die Covid-19-Pandemie provozierte, kann er sich nicht erinnern. Foto: Screenshot

Auch Richard Merz berichtete von einer enorm gestiegenen Nachfrage, die zeitweise gar die Roboter des Autostore-Lagersystems von Fuchs Movesa an den Anschlag gebracht habe. «Dank unserer Lagerbestände konnten wir unsere Handelspartner auch dann noch beliefern, als kaum noch Ware von aussen angeliefert wurde. In dieser Situation machte sich bezahlt, dass Fuchs Movesa seit 2005 in die Lagerhaltung investiert hat und diese nicht nur als zu minimierenden Kostenfaktor betrachtet», führte Richard Merz aus. Ein anderes Problem sei aber die globale Logistik: Während der Preis für den Transport eines Standard-Frachtcontainers von China nach Rotterdam während Jahren bei USD 1600 bis 1800 gelegen habe, sei dieser Preis im Sommer 2020 auf USD 3000.- und bis im Dezember auf USD 6000.- gestiegen. Aktuell liege dieser Preis gar bei USD 11'000.-. Klar, dass dies nicht ohne Folgen für die Kalkulation der Importeure bleiben kann.

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Mit Thierry Trächsel konnten die Organisatoren der Infotech Online auch einen echten Fachmann
für die Themen globale Logistik und Seefracht für einige Statements gewinnen. Foto: Screenshot

Nadelöhr Seefracht bereitet Sorgen
Zur globalen Transport-Logistik, die für die Veloindustrie von grosser Bedeutung ist, konnten die Organisatoren der Infotech Digital einen echten Fachmann als Teilnehmer am Forum gewinnen: Thierry Trächsel ist Bereichsleiter Schiffsfracht bei Fiege Forwarding und als solcher mitten in der Materie drin. «Durch die Digitalisierung ist die Beschaffungslogistik transparenter geworden, von den Vorlaufzeiten über die Routen bis zu den Warenflüssen. Der Trend zur Just-in-time-Fertigung und zur Reduktion von Lagern hat die Zulieferketten anfälliger gemacht für Störungen,» so Trächsel. «Das hat sich im vergangenen Jahr eindrücklich gezeigt: Während normalerweise weniger als 5 Prozent der Seefracht mit drei bis sieben Tagen Verspätung ankommt, liegt dieser Wert aktuell bei über 50 Prozent. Und rasch wechselnde Rahmenbedingungen wegen der Pandemie erschweren die Planung weiter.»

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Rund 250 Teilnehmer schalteten sich am Montag für die vier Themenblöcke zu. Die vier Videos
der Forendiskussionen stehen ab sofort auf der Infotech Online-Plattform bereit. Grafik: zVg

Die prominenten Teilnehmer am Forum waren sich einig: So schnell wird sich die durch die ausserordentlich hohe Nachfrage und Störungen in der Zulieferkette verursachte Ausnahmesituation in der Branche nicht ändern. Immerhin scheinen Preiskämpfe vor diesem Hintergrund sehr unwahrscheinlich, was der Marge von Importeuren wie Fachhändlern zugute kommen dürfte. Nach dem erheblichen Aufwand im Vorfeld zeigte sich Martin Platter sehr zufrieden über die Online-Premiere der Infotech: «Eine Absage stand nie zur Diskussion. Vielmehr waren wir als Verband gefordert, genau die Art von Digitalisierung durchzuziehen, die wir auch vom Fachhandel erwarten. Der erste Shutdown hat viele Fachhändler nach einem ersten Schock zum Experimentieren veranlasst und dem Click & Collect-Modell zum Durchbruch verholfen.» Insgesamt schalteten sich am Montag rund 250 Fachhändler in den Stream ein. Wer ein Jahresabo für CHF 50.- gelöst hat, kann die vier Themenblöcke jederzeit als Vimeo-Clips von je rund einer Stunde gucken, wann es zeitlich passt.

www.velosuisse.ch/infotech-2021/

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