Der blitzgescheite Velokurier-Gründer

Die Genossenschaft Veloblitz war sein erstes «Kind». Heute ist der Zürcher Physiker und Programmierer Samuel Iseli erfolgreicher Unternehmer und Familienvater – und will immer noch die Welt retten.

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Esther Banz
06.02.2013

Ein unscheinbares sechsstöckiges Bürogebäude an Zürichs Weststrasse. Ein Schild, auf dem der Name seines Software-Unternehmens steht. Ein Aufzug. Samuel «Sämi» Iseli hier im sechsten Stock anzutreffen, mutet seltsam an. Aber in diesem Gebäude, so sagte er, befinde sich der Sitz der Firma, die er zusammen mit einem Kollegen gegründet und aufgebaut hat und wo er heute noch vier Tage in der Woche als Chefentwickler arbeitet.

Als er hinter der Glastür erscheint, gibt es keine Zweifel mehr: Dieses freundliche Gesicht gehört jenem Sämi, der auch den Velo­blitz gegründet hat, der bei der Cajun-Punk-Band Papa Coraille Handorgel spielte, der oft in Kellerbars und an Konzerten anzutreffen war. Jetzt arbeitet der Selfmade-Programmierer, der schon im Alter von 15 Jahren auf einem ZX81 rumtüftelte und später am Cern den älteren Physikern zur Hand ging, wenn sie Computerprobleme hatten, im Dienste von Banken und rund 600 weiteren Unternehmen. Wie passt das zusammen?

Sämi Iseli überlegt nicht lange. Er habe sich schon immer in beiden Welten bewegt, sagt der heute 45-Jährige, «mein Vater war Unternehmer. Dass es selbstverständlich ist, selber etwas zu machen, habe ich bestimmt von ihm mitbe­kommen.» Nicht aus dem Elternhaus hingegen stamme seine Aversion gegen den motorisierten Verkehr, ergänzt der Velokurier-Pionier: «Zwar habe ich mit 18 den Fahrausweis gemacht, aber bereits zuvor war ich in der IG Velo aktiv. Und noch früher, als alle Coolen mit dem Töffli rumratterten, fuhr ich überzeugt Velo, der festen Meinung, dass Töfflis die Welt verpesten und es so ja nicht weitergehen kann.»

Aufbruch nach den Achtzigerjahren

Sämi Iseli war gerade mal 22 Jahre alt, Student und in einer Zürcher WG zu Hause, als er den Veloblitz gründete – aus politischer Motivation, wie er heute erzählt: «Ich las das ‹Katzenauge›, das Mitteilungsblatt der IG Velo, und fand, man müsse etwas machen, um den Veloverkehr in der Stadt zu propagieren.» Mit einem Fahrradkurier – so überlegte er – liesse sich ganz konkret demonstrieren, wie viel schneller und einfacher sich gewisse Dinge in der Stadt von A nach B transportieren lassen: Dokumente, Fotos und vieles mehr. Die Velopolitik, die ihm damals vorschwebte und die er heute noch vertritt, sei nicht «nur» ökologisch motiviert, sondern es gehe doch auch darum, «wie man in einer Stadt lebt, mit ihr umgeht, wie sich die Leute dort das Zusammenleben organisieren.»

1989 gab es in New York und Hamburg bereits Velokurierdienste. Nun – nach den bewegten Achtzigerjahren – schien auch Zürich reif für diese Idee. Während eines Hamburg-Besuchs sah Iseli, dass es funktionieren kann. Er heuerte für die erste Woche des Veloblitz zwei Freundinnen als Fahrerinnen an. Eine war Kunst-, die andere Medizinstudentin. Sie konnten sich beide ein paar Tage frei nehmen und fahren – für den Fall, dass tatsächlich ein Auftrag reinkäme.

An Aufträgen sollte es in den folgenden Jahren nicht mangeln, und der Veloblitz wuchs zunächst kontinuierlich. Doch was war mit dem politischen Effekt, den sich Iseli vorgestellt hatte? Er denkt nach und sagt schliesslich: «Wenn du die späten Achtzigerjahre mit jetzt vergleichst, hat Velofahren heute doch einen ganz anderen Stellenwert in der Stadt.»

Zwei Kinder, kein Auto

Dafür hätten viele gekämpft – und tun es immer noch. «Aber was direkt auf das Velokurierwesen zurückgeht, ist dieser (Life-)Style von Fixies und umgebauten Rennvelos.» Ob das verkehrspolitisch viel bringe, wisse er nicht, denn «in Zürich hat man es als Velofahrer ja immer noch schwer». Immerhin: «Es tat und tut sich etwas.» Iseli ist selber immer noch Ganzjahres-Velofahrer, auch als zweifacher Vater: «Viele Bekannte haben sich ein Auto angeschafft, kaum hatten sie Kinder. Sie meinen, es gehe nicht anders – aber das stimmt doch gar nicht!»

Seit 2010 ist Sämi Iseli nebenbei wieder beim Veloblitz aktiv, als Verwaltungsratspräsident. Dass ihn beim ältesten und bekanntesten Velokurier der Stadt ohnehin jeder Fahrer kennt, verdankt der zurückhaltende Macher einem Beamten der PTT, der damals für den Veloblitz die Funkkonzession ausstellte. Iseli erinnert sich: «Der muss sich gedacht haben: «Wenn der Antragsteller Samuel heisst, nehmen wir für den zwingend fünfstelligen Codenamen einfach ‹Saemi›.» Und so ist heute in Velokurierkreisen «Sämi» gleichbedeutend mit Veloblitz, jedenfalls in Zürich.

Ein Denkmal setzt sich Sämi Iseli eines Tages vielleicht auch mit seiner dritten Firma, einem 2009 gegründeten Unternehmen, das Solaranlagen plant, finanziert und betreibt. Die Sonnenenergie habe ihn schon immer interessiert, sagt der Besitzer eines konventionellen (also nicht E-)Bikes, der den Sieben-Kilometer-Arbeitsweg mit rund 100 Höhenmetern Unterschied bei jedem Wetter pedalend zurücklegt und der mit Bedauern zusah, wie die Schweiz in Sachen Solarenergie ihren Vorsprung verlor: «Heute sind wir ja sogar fast das Schlusslicht in Europa.» Die Firma sei noch im Aufbau, sagt Iseli: «Ich wollte schon immer etwas zur Rettung der Welt beitragen, vielleicht schaffe ich es jetzt», lacht er, schwingt sich auf den Sattel und fährt zurück ins Büro, wo er für den Rest des Nachmittags wieder in die IT-Welt eintauchen wird.