Von der Hauptstadt zu den Kaiserbädern

Eine Velotour von Berlin nach Usedom führt durch ehemaliges DDR-Gebiet mit abwechslungsreichen Landschaften. Der Weg ist gleich spannend wie das Erreichen des Ziels.

Pete Mijnssen ist Chefredaktor des Velojournals.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
Reisen, 20.03.2025

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Der Besuch bei Berliner Freunden verbunden mit einem Velosusflug an die Ostsee will gut vorbereitet sein. Etwa was das Velobillett für den Tageszug nach Berlin mit der Deutschen Bahn betrifft. Mit dabei ist auch die Velotasche – alles nach Norm. Aber hoppla: Beim Umsteigen in Basel erscheint die Zugbegleiterin und verkündet im Kommandoton: «Damit fahren Sie nicht mit!» Ich sage ihr höflich, dass ich über ein gültiges Billett verfüge, mich im Voraus erkundigte habe und im Übrigen ja voll zahlender Kunde der DB sei. 

So geht das eine Weile weiter, das Velo steht schon im Zug, aber der Zug fahre nicht ab, bevor ich nicht ausgeladen habe, lautet der Bescheid der gestrengen Schaffnerin. Ich sehe das grosse Gepäckabteil und mache ihr schmackhaft, dass es dort auch noch genügend Platz für ein verpacktes Rad hätte. Zumal diese Art von Transport ja erlaubt sei. Widerwillig lenkt sie ein, der Zug kann losfahren und die Reise beginnen. Unterwegs zeigt sie mir noch ein 300 Seiten dickes Dokument mit den Transportbestimmungen, wo unter einem kleinen Absatz Vorbehalte für den Velotransport aufgelistet sind.

Ich muss ihr recht geben, obschon ich mich trotz ­Bürokratiedschungel auf den Standpunkt «im Zweifel für den Angeklagten» stelle. Auch darum, weil die DB für den Velotransport mit Tasche in den modernen IC Werbung macht, so, wie es in allen Eurocitys im europäischen Bahnnetz üblich ist. Offenbar ist das aber noch kein «moderner» IC. Da ich erste Klasse gelöst habe, pflegen wir später einen durchaus freundlichen Umgang, vielleicht weil die Zugbegleiterin das Vorurteil des «armengenössigen» Radlers etwas korrigieren musste.

Es geht los!

In Berlin nehmen wir den bekannten Radfernweg Berlin–Usedom unter die Räder. Dieser verbindet zwei Orte miteinander, die schon seit dem 19. Jahrhundert in enger Beziehung zueinander stehen. Waren es anfangs vor allem wohlhabende Bürger und Adlige, die sich eine Sommerfrische leisten konnten, ist die Ostseeinsel heute die «Badewanne der Berliner». Vor Ort werden wir noch erleben, was das heisst.

Die Routenbeschreibung verspricht eine Fahrt durch «die sanften Hügel des Barnimer Landes mit tiefen Wäldern und glasklaren Seen». Wir orientieren uns anfänglich strikt an dem gut ausgeschilderten Weg. Der verläuft leider auch oft im Zickzackkurs, sodass wir als geübte Radler bald auf ruhigere Landstrasse wechseln. In der malerischen, ländlichen Uckermark herrscht wenig Verkehr – beschauliches Radfahren ist angesagt.

In Eberswalde übernachten wir und besichtigen den Kirchturm der Maria-Magdalenen-Kirche, offenbar der höchste von Deutschland. Im Gespräch mit Einheimischen zeigt sich, dass die Nähe zu Berlin Segen und Fluch ist – die Abwanderung ist auch hier im ehemaligen Osten ein grosses Thema.

Moderne und alte Monumentalbauten

Auf unserem Weg Richtung Norden und Meer passieren wir mit dem Werk Niederfinow das älteste noch arbeitende Schiffshebewerk Deutschlands. Später besuchen wir das gotische Zisterzienserkloster Chorin, ein imposantes Baudenkmal für Backsteingotik. Für die Nacht hat Freund Günther Zimmer im Panorama-Hotel in Oberuckersee gebucht – direkt am See, Baden im klaren Wasser inbegriffen. Später wird mir ein gebürtiger Eberswaldner erzählen, wie er als Kind durch die abgesperrte Wand des Anwesens spähte. Das heutige Hotel war damals nur höherem SED-Personal vorbehalten. Glück für uns, dass dies heute anders ist.

Weiter gehts über Prenzlau mit einem Abstecher in die Marienkirche, eine weitere imposante Backstein­gotik-Kirche. Hier steht seit 2017 die ehemalige Hausorgel des Jazzmusikers und Komikers Helge Schneider, wie der Pförtner stolz erzählt. Erst 2026 wird aber wieder eine reguläre Orgel eingeweiht werden. Dazu muss man wissen, dass die Kirchen in der DDR zwar nicht geschleift wurden, aber deren Einrichtungen sind auch 35 Jahre nach der Wende oft noch immer rudimentär ausgestattet.

Endlich das Meer

Nach drei Tagen sind wir auf Usedom und an der Ostsee angelangt, vorbei an weitläufigen und eindrücklichen Wasser- und Naturschutzgebieten. Nach Rügen sei ­Usedom die zweitgrösste deutsche Insel, lesen wir. Das haben wir kaum bemerkt, die 325 Meter lange Zecheriner Klappbrücke überquert den Peenestrom, den wir eher als grossen Fluss wahrnehmen. Das Stettiner Haff haben wir umfahren.

Wo es bisher beschaulich bis fast still war, herrscht nun Strandgeschäftigkeit. Da es Freitag ist, gestaltet sich die Suche nach Hotelbetten nicht einfach. Obwohl erst Anfang Juni ist, sind die meisten Unterkünfte ausgebucht – die Badewanne lässt grüssen. Wir finden dennoch Platz in einem modernen Strandhotel in Bansin. 

Ausgeschlafen erkunden wir in den nächsten Tagen die 42 Kilometer lange Strandmeile von der polnischen Hafenstadt Swinemünde im Osten bis in die Ortschaft Peenemünde im Westen, geniessen Sonne und Strand und strecken die Füsse in die noch kalte Ostsee. Altes trifft auf Neues, der alte Osten ist der neue Westen.

Nicht immer ist es einfach, zwischen alt und neu zu unterscheiden. Alt und denkmalgeschützt sind nur die Kaiserbäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin. Die bekannte Tauchgondel in Zinnowitz hingegen wurde erst 2006 erbaut. Auch heute wird um die denkmalgeschützten Badeorte kräftig gebaut, es herrscht viel Betrieb.

Wir sind froh, in der Vorsaison hier zu sein, im Sommer bleibt hier wie an der italienischen Riviera wohl kaum ein Plätzchen am Strand frei. Dazu tragen auch die ÖV-Direktverbindungen von Berlin bei. Diese Gelegenheit nutzen auch wir nun, in umgekehrter Richtung. Nach vier Stunden sind wir wieder in der Hauptstadt. 

Angaben zur Tour

Länge: ca. 330 km.

Route: Berlin Dom – Eberswalde – Kloster Chorin – Oberuckersee – Prenzlau – Pasewalk – Eggesin – Uckermünde – Anklam – Seeheilbad Ahlbeck – Seebad Bansin. Zurück mit Strandbahn und DB nach Berlin.

Beste Saison: Frühling und Herbst (im Sommer überlaufen). Hotelreser­vation am Strand empfohlen, viele Campingplätze.

Art: Gemütliche Tour, auch für Familien. Der offizielle Weg verläuft oft im Zickzack, Geübte fahren auf der Strasse.

Empfohlene Velos: Tourenrad oder Gravelbike.

Infos: Bikeline, Berlin-Usedom, Esterbauer.

berlin-usedom-radweginfo.de

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