Gehts mit dem Gates?

Nie mehr Kette ölen, nie mehr dreckige Hosen: Der Gates-Riemenantrieb eliminiert einen bekannten Missstand am Velo. velojournal war ein Jahr lang mit dem Zahnriemenantrieb unterwegs und testete neun Carbondrive-Velos.

Marius Graber

Marius Graber, Redaktor (marius.graber@velojournal.ch)
Test, 15.07.2010

Die Vorteile des Zahnriemens sind schnell aufgezählt: Kette ölen und putzen entfällt. Man muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn man den Antrieb vernachlässigt – weder Schnee noch Streusalz können ihm etwas anhaben. Zudem verursacht der Riemenantrieb keine dreckigen Hosen und läuft verblüffend leise.

Bei den Nachteilen braucht es ein paar Worte mehr: Damit der Riemenantrieb funktioniert, ist eine etwas aufwendigere und schwerere Rahmenkonstruktion nötig. Der Rahmen muss sich hinten öffnen lassen, damit der Riemen eingefädelt werden kann. Vorne braucht es Platz für die breite Riemenscheibe. Über einen Mechanismus muss der Riemen exakt gespannt werden können. Der Antrieb verlangt eine perfekte Ausrichtung der vorderen und hinteren Scheibe. Zudem muss der Rahmen genügend steif sein.

Empfindliches und teures Material

Damit sich der Riemen bei der Kraft­übertragung nicht dehnt, ist er mit Carbonfasern verstärkt. Das Fomel-1-Material verlangt einen sorgfältigen Umgang. Schon leichte Verletzungen, etwa ein Knick, können es beschädigen, und der Antrieb kann reissen. Es gibt Meldungen von vereinzelten gerissenen Riemen. Ursache waren zum Teil falsche Handhabung, zum Teil aber auch äussere Einflüsse. Ob es sich hier um Einzelfälle handelt, und wie gross die Gefahr ist, dass der Riemen zum Beispiel im Veloständer, durch aufgewirbelte Steinchen oder Rollsplitt verletzt wird, wird sich aber erst noch zeigen.

Auch was die Lebensdauer anbelangt, weiss man noch wenig. So wurden die Werksangaben von ursprünglich 30'000 auf 20'000 Kilometer herunterkorrigiert, neuerdings noch mit dem Zusatz «unter optimalen Bedingungen» – will heissen ohne allzu viel Sand und Dreck. Einer solchen Kilometerleistung kommt auch eine Velokette sehr nahe – allerdings nur bei bester Pflege.

Der neue Antrieb ist auch teurer: Simpel baut ihn bei einigen Modellen als Option ein – gegen einen Aufpreis von 380 Franken. Auch bei den anderen Marken bewegt sich der Preisunterschied zu den Kettenmodellen in ähnlichem Rahmen. Auf die Saison 2011 lanciert Gates eine günstigere Produktelinie, bei der ein einfacheres Härteverfahren der Riemenscheiben die Preise senken soll.

Alltagstauglicher Antrieb

Die Testfahrten mit den neun Carbondrive-Velos verliefen überraschend unspektakulär. Die Zahnriemen fielen kaum auf, und wenn, dann durch den leisen, feinen Lauf. Auch die Übersetzungen waren bei allen Modellen angenehm, die gegenüber der Kette geringere Auswahl an Riemenlängen und Riemenscheiben zwangen keinen der Hersteller zu einer unbequemen Übersetzung. Unterschiedlich elegant wurden die Anpassungen der Rahmen gelöst: So muss bei Fixie Inc. und Tour de Suisse für die präzise und heikle Einstellung der Riemenspannung das Rad aus- und wieder eingebaut werden. Bei Simpel, Koga, Trek und Villiger gibt es dafür Justierungsschrauben am Ausfallende des Rahmens. Tout Terrain und MTB Cycletech haben ein exzentrisch verstellbares Tretlager eingebaut, mit welchem beide Riemenscheiben exakt ausgerichtet werden können.

Die mit dem Gates-Riemen ausgestatteten Velos präsentieren sich schick und praktisch. Die Velos von Trek, Fixie Inc. und MTB Cycletech zeigen sich besonders stilbetont. Trek spendiert seinem Singlespeeder sogar ein dezentes Hosenschutzblech, damit die Lieblingsklamotten nicht zwischen Zahnriemen und Riemenscheibe geraten. MTB Cycletechs «Stadtgaul», «Jalopy», veredelt Stil und Gebrauchswert mit drei Gängen, hydraulischen Scheibenbremsen und einem hellen Nabendynamoscheinwerfer. Die voluminösen und grossen Räder rollen sanft, machen das Velo aber etwas schwerfällig. Norco präsentiert mit dem «Ceres» ein leichtes, flinkes Gefährt.

Ein konsequentes Stadtvelokonzept realisiert Koga mit dem «Adaptor»: Mit den kleinen Rädern bleibt das Modell wendig und kompakt, die Rahmenform erlaubt einfaches Aufstiegen. Mit kompletter Stadtausrüstung sind das Villiger «7/24» und das Tour de Suisse «Kettenlos» für knapp 2000 Franken erhältlich. Villiger bietet für das Geld hochwertige Ausstattung, Tour de Suisse geht auf individuelle Wünsche ein. Mit der Rohloff-Schaltung bieten sich die Velos von Simpel und Tout Terrain für Viel- und Weitfahrer an. Beide Modelle verfügen über eine helle LED-Nabendynamo-Beleuchtung sowie über robuste Gepäckträger. Damit wären beide auch reisetauglich. Doch vielen Tourenfahrern fehlt beim Gates die Langzeiterfahrung wie die Reparaturmöglichkeit unterwegs, sodass des Riemen bevorzugtes Terrain wohl vor allem der Alltageseinsatz bleiben wird.


Am besten kapseln

mg. Der Riemenantrieb ist für ein Alltagsvelo eine gute, pflegeleichte Lösung. Denkt man an Schnee, Schmutz, die Gefahr von Fremdeinwirkung und an einen guten Hosenschutz, so spricht viel dafür, dass der Antrieb am Velo vollständig gekapselt im innern des Rahmens  verläuft. Die Urner Firma Katz sowie Gocycle und Riese-Müller machen dies vor.  Es würde nicht wundern, wenn in zehn Jahren die meisten Velos so funktionieren. Ob dann im Innern des Rahmens eine Kette oder ein Zahnriemen läuft, ist dann wohl eher nebensächlich.


 1 | Fixie Inc. «Peace Maker»
Ausstattung: Stahlrahmen mit Starrgabel, 1-Gang-Singlespeed, kann als Fixie oder mit Freilauf gefahren werden, Seitenzugbremsen, 28-Zoll-Räder
Gewicht: 8,6 kg
Preis: Fr. 1999.–
Info: Velo.com, 044 773 20 20,
www.cycles-for-heroes.com



 
 2 | MTB Cycletech «Jalopy 2.0»
Ausstattung: Stahlrahmen mit Starrgabel, Shimano-3-Gang-Nabenschaltung, hydraulische Shimano-BRM486-Scheibenbremse, 28-Zoll-Räder mit BigApple-Pneus, Shimano-DH-3D30-Nabendynamo und Bumm-LED-Schweinwerfer
Gewicht: 13,5 kg
Preis: Fr. 1699.–
Info: Velo.com, 044 773 20 20,
www.mtbcycletech.com
 3 | Trek «District»
Ausstattung: Aluminiumrahmen mit
Starrgabel, 1-Gang-Singlespeed, Seiten­zug-bremsen, 28-Zoll-Räder, Hosenschutz
Gewicht: 9,2 kg
Preis: Fr. 1399.–
Info: Trek Fahrrad, 044 824 85 00,
www.trekbikes.com
 4| Norco «Ceres»
Ausstattung: Stahlrahmen mit Starrgabel,
Shimano-8-Gang-Alfine-Nabenschaltung, mechanische Shimano-Scheibenbremse, 28-Zoll-Räder (Rahmen ist vorbereitet für
Montage von Schutzblechen und Gepäck­träger)
Gewicht: 13,0 kg
Preis: Fr. 1599.–
Info: Indian Summer, 043 499 03 43,
www.indiansummer.ch
 5 | Koga «Adaptor»
Ausstattung: Aluminiumrahmen mit Starrgabel, 8-Gang-Shimano-Nexus-Nabenschaltung, V-Brakes, 20-Zoll-Räder, CatEye-Batteriescheinwerfer, Batterierücklicht, Schutzbleche, Hosenschutz und Gepäckträger
Gewicht: 13,9 kg
Preis: Fr. 2399.–
Info: Chris Sport Systems, 071 969 66 66, www.koga.com
 6 | Tour de Suisse «Kettenlos»
Ausstattung: Stahlrahmen mit Starrgabel, 8-Gang-Shimano-Nexus-Nabenschaltung, V-Brakes, 26-Zoll-Räder, Shimano-Nabendynamo und Bumm-Halogenscheinwerfer, Schutzbleche, Hosenschutz und Gepäckträger
Gewicht: 16,2 kg
Preis: Fr. 1999.– (auch mit Alfine-Disc- oder Rohloff-Disc-Ausstattung erhältlich)
Info: Tour de Suisse, 071 686 85 00,
www.tds-rad.ch
 7 | Villiger «7/24 Deluxe»
Ausstattung: Aluminiumrahmen mit Starrgabel, 8-Gang-Shimano-Nexus-Nabenschaltung, hydraulische Magura-Felgenbremse, 28-Zoll-Räder, Shimano-Nabendynamo und Supernova-Scheinwerfer, Schutzbleche, Hosenschutz und Gepäckträger
Gewicht: 14,8 kg
Preis: Fr. 1999.–
Info: Trek Fahrrad, 044 824 85 00,
www.villiger-bikes.com
 8 | Tout Terrain «Metropolitan»
Ausstattung: Stahlrahmen mit Starrgabel, 14-Gang-Rohloff-Nabenschaltung, hydraulische Shimano-Alfine-Scheibenbremse, 26-Zoll-Räder, Shimano-Nabendynamo und Bumm-LED-Scheinwerfer, Schutzbleche und Gepäckträger
Gewicht 15,8 kg
Preis: Fr. 4029.– (auch mit Alfine-Disc erhältlich)
Info: Tout Terrain, 0049 761 58997 45,
www.tout-terrain.de
 9 | Simpel «frischluft tour»
Ausstattung: Stahlrahmen mit Starrgabel, 14-Gang-Rohloff-Nabenschaltung, mechanische Avid-BB7-Scheibenbremse, 26-Zoll-Räder, SON-Nabendynamo mit Bumm-LED-Scheinwerfer, Schutzbleche, Hosenschutz und Gepäckträger
Gewicht: 17,4 kg
Preis: Fr. 3960.–
Info: Simpel, 0848 55 44 55, www.simpel.ch

Ein Jahr mit Gates unterwegs

mg. Mit einem der ersten lieferbaren Zahnriemen begann der Autor vor einem Jahr, einen grossen Teil seiner alltäglichen Fahrten zurückzulegen. Der Sommer verlief auffällig unauffällig. Beeindruckt hat der leise, seidige Lauf. Mit dem Herbst kamen Dreck und Matsch dazu, das Velo wurde zwischenzeitlich auch auf Mountainbike-Strecken eingesetzt und pflügte sich durch Bäche und Dreckrinnen – was den Antrieb unbeeindruckt liess. Nur einmal versagte der Riemen: Es hatte viel geschneit, Hinter- und Vorderrad wirbelten Schnee auf, bis die Zwischenräume des Riemens voll waren. Dadurch verspannte er sich, und die Pedale liessen sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen. Mit einer Kette wäre das nicht passiert. Das «Wunder» offenbarte sich dann allerdings am nächsten Morgen: Wo sonst eine rostige Kette gequietscht hätte, war der Carbondrive wieder startklar, als wäre nichts gewesen. Auch die Fahrt hinter dem Salzstreuwagen macht ihm nichts aus.

Ende Winter verursachte der Riemen bei Trockenheit ein leises Zwitschern und zeigt nach 1700 Kilometern sichtbare Verschleissspuren. Marcel Lauxtermann von Gates Europa führt dies auf die erste Generation der Riemenscheiben zurück, welche noch nicht korrekt waren. Unterdessen gebe es Berichte von 18?000-Meilen-Reisen mit demselben Riemen. Des Testers Velo fährt derweil mit neuem Riemen und Riemenscheiben wieder anstandslos und sammelt aufs neue gespannt und tüchtig weitere Kilometer.