Velorennen in luftiger Höhe

Seit über 20 Jahren küren die Velokuriere an Wettkämpfen ihren Weltmeister. Dieses Jahr war Mexiko-Stadt Schauplatz des Rennens. Der Redaktor fuhr mit.

Fabian Baumann, Redaktor (fabian.baumann@velojournal.ch)
14.07.2014

«Distrito Federal» wie Mexiko-Stadt auch genannt wird, zählt knapp 9 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Im Ballungsraum leben aber rund 20 Millionen Menschen. Zu den Spitzenzeiten morgens und abends staut sich der Verkehr täglich auf den Hauptachsen. Und auch die U-Bahn – 1969 eingeführt, um die Strassen zu entlasten – stösst längst an Kapazitätsgrenzen. Dieser urbane Dschungel war Schauplatz der diesjährigen Velokurierweltmeisterschaft. Auf dem Programm standen ein Bergzeitfahren, Rennen im olympischen Velodrom sowie Qualifikation und Mainrace, das Hauptrennen der WM.
Die lokalen Kurierinnen und Kuriere legen täglich Dutzende Kilometer zurück. Konzentration ist essenziell, und das nicht nur wegen des Verkehrs. Viele Strassennamen gibt es mehrfach, sodass man auch den Stadtteil wissen muss, um ans korrekte Ziel zu gelangen. Nach etwas Eingewöhnungszeit stellte sich heraus, dass Velofahren in der mexi­kanischen Hauptstadt recht gut geht. Zumindest aus Perspektive des Velo­kuriers.
«Auch die Autos verhalten sich im Verkehr wie Velokuriere», wird mir von Einheimischen erklärt. Sie wechseln ständig die Spur und fahren dort, wo es gerade am besten passt. Überholt wird von links und rechts, und rote Ampeln werden eher als Hinweis denn als Verpflichtung zum Anhalten betrachtet. Für Fahrräder gelten gar keine Verkehrsregeln. In einer von den Organisatoren der Kurier-WM verteilten Infobroschüre steht: «Ihr könnt direkt vor der Polizei bei Rot über die Strasse fahren, die Beamten kümmert das nicht. Aber erwartet auch keine Hilfe von ihnen, wenn ihr dabei in ein Auto kracht.» Dennoch scheinen die Verkehrsteilnehmer aufeinander zu achten. Wer sich selbstsicher fortbewegt, wird respektiert.

Grenzen ausloten
Das Bergzeitfahren führte vom Stadtzentrum – das auf 2250 m ü. M. liegt und damit höher als jede Schweizer Gemeinde – hinaus in den Nationalpark Desierto de los Leones (Löwenwüste). Auf 16 Kilometern Fahrt gab es 700 Höhenmeter zu überwinden. Der schnellste Rückweg in die Stadt führt über eine Schnellstrasse. Doch strömender Regen verwandelte diese in einen Bach. Das Wasser stand mehrere Zentimeter hoch, Schlaglöcher waren nicht mehr auszumachen. Dass niemand stürzte, verletzt wurde oder von einem Auto oder Lastwagen überfahren wurde, kann nur als glückliche Fügung des Schicksals bezeichnet werden.
Qualifikation und Mainrace finden an Kuriermeisterschaften fast nie auf normalen Strassen, sondern auf einem extra ausgesteckten Parcours statt. Zum einen wegen der Unfallgefahr. Zum anderen, um gleiche Verhältnisse für alle zu schaffen. Verschiedene Posten (Checkpoints) müssen angefahren und Aufträge ausgeliefert werden. Dazu erhält jede Starterin und jeder Starter eine Karte sowie ein Manifest, auf welchem die Postenreihenfolge notiert ist.
Mit dem Bosque de Chapultepec wählten die Veranstalter eine gute Kulisse für das Hauptrennen. Der Park erstreckt sich über etwa vier Quadratkilometer. Diese Grünanlage ist grösser als der New Yorker Central Park. Hier galt es, Treppen und Randsteine zu überwinden, Schlaglöcher und Boden­unebenheiten zu meiden und gleichzeitig den schnellsten Weg von Checkpoint zu Checkpoint zu finden. Die Taschen der Velokuriere wurden dabei gleich noch mit reichlich Material beladen, das hin und her transportiert werden musste. Bei einem vierstündigen Rennen in einer Höhe, die hierzulande als alpin bezeichnet wird, bedeutet das eine nicht zu unterschätzende körperliche Leistung. Christina Peck aus San Francisco und Raphael Pfeiffer aus Lausanne bewiesen im Finale, dass sie von allen Kurieren die beste Kombinationsgabe und die schnellsten Beine besitzen.
 



Velokurier-Weltmeisterschaften
Die erste Velokurier-Weltmeisterschaft fand 1993 in Berlin statt. Seither wird das Rennen jedes Jahr in einer anderen Stadt ausgetragen. Die Anlässe stehen unter dem Patronat der internationalen Vereinigung der Velokuriere (IFBMA). Für die Durchführung zeichnen lokale Kurierfirmen oder Organisationen verantwortlich, die sich um die Austragung bewerben. Über die Vergabe der jeweils nächsten Ausgabe entscheidet das Kurier-Kollektiv basisdemokratisch an Zusammenkünften, Open Forum genannt. Bisher waren zwei Schweizer Städte Schauplatz der Wettkämpfe: 1999 Zürich und 2013 Lausanne. Im kommenden Jahr findet die WM im australischen Melbourne statt.

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