«Teile am Velo müssen lang­lebig sein»

Die Jungen Grünen haben 2021 die Umweltverantwortungsinitiative lanciert. Diesen Herbst soll sie nun eingereicht werden. Co-Präsidentin Julia Küng erklärt, warum kein Weg an der Initiative vorbeiführt.

Fabian Baumann, Redaktor (fabian.baumann@velojournal.ch)
Politik, 13.07.2022

Die Welt steht vor grossen Herausforderungen: Klimakrise, Artensterben, Verschmutzung von Wasser und Böden. Laut den Jungen Grünen ist die Art unseres Wirtschaftens für viele der aktuellen Umweltkrisen verantwortlich.

Um zumindest die Wirtschaft in der Schweiz auf ein neues Fundament zu stellen, haben sie die Umweltverantwortungsinitiative lanciert. Der Schutz der Umwelt soll zur ersten Priorität werden. Dabei spielt auch das Velo eine wichtige Rolle.

Velojournal: Vor einem Jahr lehnte das Schweizer Stimmvolk das revidierte CO2-Gesetz ab. Als Antwort lancierten die Jungen Grünen ihre Umweltverantwortungsinitiative. Warum?

Julia Küng: Die Schweiz rast in der Umweltkrise planlos auf den Abgrund zu. Nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes haben wir politisch nichts in der Hand, um rechtzeitig auf Kurs zu kommen.

Was meinen Sie mit «auf Kurs kommen»?

Der jüngste Bericht des Weltklimarats der Vereinten Nationen bestätigt, dass es jetzt auf rasches Handeln ankommt. Es geht nicht nur um das Klima. Auch die Biodiversität ist weltweit stark bedroht, Böden werden überdüngt, Wasser wird knapp. Darum sagen wir stopp! Wir dürfen die Kapazitäten der Erde nicht noch länger derart überstrapazieren. Die Probleme sind bekannt. Nun ist es an der Zeit, mit der Lösung zu beginnen …

… die Einhaltung der planetaren Grenzen, wie das die Initiative fordert?

Die planetaren Grenzen sollen den Rahmen für die wirtschaftliche Tätigkeit bilden. So, wie wir heute in der Schweiz leben, überschreiten wir die Grenzen massiv. Wir müssen also unsere Art, zu leben, ändern.

Das hört sich drastisch an.

Die Welt, wie wir sie heute kennen, wird sich in den kommenden Jahrzehnten stark verändern. Entweder als Folge der Massnahmen gegen die Umweltkrise. Oder aber als direkte Folge der Umweltkrise – Dürren, Überschwemmungen, Landflucht, um nur einige Beispiele zu nennen.

Wie können wir gegensteuern?

Es gibt viele Handlungsmöglichkeiten, zum Beispiel energetische Sanierungen, die Abschaffung der Massentierhaltung oder nachhaltige Siedlungsentwicklung. Und unsere Gesellschaft als Ganzes muss weniger konsumieren. Dazu gehört auch, dass Produkte so hergestellt werden, dass sie lange halten und reparierbar sind. Ein neues Velo sollte nach Möglichkeit ein Leben lang halten. Das setzt voraus, dass Ersatzteile dafür verfügbar sind und Reparaturen nicht teurer sind als eine Neuanschaffung.

«Die planetaren Grenzen sollen den Rahmen für die wirtschaftliche Tätigkeit bilden. So, wie wir heute in der Schweiz leben, überschreiten wir die Grenzen massiv.»

Im Initiativtext heisst es: «Die Natur und ihre Erneuerungsfähigkeit bilden den Rahmen für die schweizerische Gesamtwirtschaft. Wirtschaftliche Tätigkeiten dürfen nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben.» Das klingt schwammig.

Wenn jede einzelne erforderliche Massnahme im Text stünde, wäre ein dicker Wälzer entstanden. Unsere Umweltprobleme sind inzwischen so gross, dass einzelne Schritte nicht mehr ausreichen. Wir müssen aufs Ganze gehen, wenn wir das Ruder noch herumreissen wollen. Wir streiten nicht um einzelne Details, sondern definieren als klares Ziel, zukünftig nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als die Erde langfristig aushält.

Wie viel hält unser Planet aus?

Wissenschaftlich lässt sich klar berechnen, wo die Belastungsgrenzen der Erde liegen. Das Bundesamt für Umwelt macht das heute schon. Es ist zentral, dass unser Anliegen sozialverträglich umgesetzt wird und wir die Umweltkrisen gemeinsam angehen. Letzten Endes geht es darum, beim Lösen eines Problems nicht ein neues zu schaffen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Der Verkehr gehört in der Schweiz zu den Hauptverursachern von CO2-Emissionen. Wenn mehr Menschen Velo statt Auto fahren, wird die Umweltbelastung reduziert. Es braucht also mehr Platz für Velos, mehr Radwege. Jetzt aber hinzugehen und dafür noch mehr Flächen zuzubetonieren, ist nicht zielführend. Noch mehr Asphalt hat Einfluss auf die Biodiversität und die Bodennutzung. Stattdessen soll Platz fürs Velo von bestehenden Strassen genommen werden. Fahrspuren können in Velospuren umgewandelt und der Platz fürs Auto kann nach und nach reduziert werden.

Nach Annahme der Initiative hätte die Schweiz zehn Jahre Zeit, um Wirtschaft und planetare Grenzen in Einklang zu bringen. Ist das die Antwort der Jungen Grünen darauf, dass die Mutterpartei gemäss Klimaplan netto null für die Schweiz erst ab 2040 anstatt ab 2030 fordert?

Natürlich wollen wir rasch vorwärtskommen. Netto null hätten wir schon vorgestern erreichen sollen. Aber im Ernst: Eine Frist ist nötig, damit die Bundesversammlung die Umsetzung nicht aufs Jahr 2200 verschiebt. Dann ist es definitiv zu spät. Die Zehnjahresfrist wurde von uns auch gewählt, weil die Wissenschaft von einem ähnlichen Zeitraum spricht. Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend, um der Klimakrise zu begegnen.

«Eigentlich sollte der Hersteller nur so viele Velos produzieren, wie es wirklich braucht. Irgendwann ist der Grundbedarf in der Schweiz nämlich gedeckt. Der Fokus sollte damit stärker auf dem Instandhalten und Reparieren liegen.»

Das Klima macht nicht halt an den Schweizer Landesgrenzen. Und auch die Wirtschaft ist global. Was nützt es da, Probleme nur hierzulande anzupacken?

Das ist ja nicht der Fall. Die Schweiz hat das internationale Klimaabkommen von Paris unterzeichnet. Wenn wir es nicht einhalten, können wir das auch nicht von anderen Ländern erwarten. Es geht also auch darum, mit gutem Beispiel voranzugehen. Schliesslich haben wir dafür ideale Voraussetzungen: Geld, gute Bildungsinstitutionen, direkte Demokratie. Wir könnten sowohl ökologisch als auch gut leben und damit anderen ein Vorbild sein. Ausserdem sind auch die Importe in die Umweltverantwortungsinitiative einbezogen.

Ein hierzulande verkauftes Velo besteht aus vielen Teilen, nicht wenige davon werden in China und Südostasien produziert. Ein Schweizer Hersteller muss also sicherstellen, dass alle zugekauften Teile die planetaren Belastbarkeitsgrenzen nicht überschreiten. Wie soll er das tun?

Teile am Velo sollen langlebig sein. Umweltschäden in der Produktion sollten minimiert und vermieden werden. Ausserdem sollten überall faire Arbeitsbedingungen herrschen.

Das tönt nach Ablasshandel à la CO2-Zertifikate ...

Kompensationen dürfen nie die erste Option sein. Wenn wir einfach alles kompensieren, lösen wir das Grundproblem nicht, sondern drehen uns im Kreis. Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Eigentlich sollte der Hersteller nur so viele Velos produzieren, wie es wirklich braucht. Irgendwann ist der Grundbedarf in der Schweiz nämlich gedeckt. Der Fokus sollte damit stärker auf dem Instandhalten und Reparieren liegen. Sich alle zwei Jahre ein neues Velo zu kaufen, ist nicht im Sinn der Initiative.

«Das Potenzial für Velo- und Fussverkehr ist riesig. Diese zwei Fortbewegungsarten sollten erste Priorität geniessen, dann der ÖV, die E-Mobilität und dann nichts mehr.»

Es geht also um Verzicht?

Ohne Verzicht geht es nicht. Wenn die ganze Weltbevölkerung im selben Mass wie die Schweizerinnen und Schweizer konsumieren würde, wäre die Erde längst kollabiert. Weniger Konsum ist aber auch eine Chance. Wir kämen mit kürzeren Arbeitszeiten aus. Im Gegenzug haben wir mehr Zeit und können mit der Bahn oder dem Velo in die Ferien fahren, anstatt rasch irgendwohin zu fliegen. Überhaupt passt das Velo gut in eine etwas langsamere, entschleunigte Welt.

Beim Klimaschutz steht die Schweiz international schlecht da. Der Verkehr ist einer der Hauptemittenten von Treibhausgasen. Taugt das Velo als Klimaschutzmaschine im Sinne der Initiative?

Absolut. Die Mobilität trägt in der Schweiz erheblich zur Umweltbelastung bei, wobei der Flugverkehr noch nicht einmal eingerechnet ist. Das Potenzial für Velo- und Fussverkehr ist riesig. Diese zwei Fortbewegungsarten sollten erste Priorität geniessen, dann der ÖV, die E-Mobilität und dann nichts mehr.

Die Jungen Grünen wollen die Initiative im Herbst einreichen. Sind die benötigten Unterschriften schon zusammen?

Mehr als die Hälfte ist geschafft! Wir werden den Sommer aber intensiv nutzen, um Unterschriften zu sammeln. Das ist auch immer eine gute Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen und für unsere Anliegen zu werben.

Nach dem Nein zum CO2-Gesetz und in Anbetracht der Tatsache, dass das Schweizer Stimmvolk bei Abstimmungen tendenziell wirtschaftsliberal abstimmt: Wie gross ist die Chance, dass das Anliegen Erfolg hat an der Urne?

Eine intakte Umwelt macht die Wirtschaft resilienter. Es gibt weniger Krisen, das erhöht die Planungssicherheit. Somit ist die Umweltverantwortungsinitiative im Sinne der Wirtschaft. Unser Anliegen wird aber sicher einen schweren Stand haben – das ist meistens so, wenn die Jungen Grünen Absenderin sind. Aber es ist zu schaffen, davon bin ich überzeugt.

Das Konzept stammt vom schwedischen Wissenschaftler Johan Rockström. Es besagt, dass die Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen die Stabilität des Ökosystems und damit das Überleben der Menschheit auf der Erde gefährdet. Es wurden neun Grenzen definiert, wovon vier bereits weltweit überschritten sind: Klimawandel, Verlust der Biosphären-Integrität, Landnutzungswandel, Änderung biogeochemischer Flüsse.