Sündenbock Lastenvelos

Eine Nummernschildpflicht für Lastenvelos soll diese vom «wilden Parkieren» auf Trottoirs abhalten. Ein Blick in die Statistik zeigt, wieso diese Massnahme nicht zielführend ist.

Aline Kuenzler, Autorin (aline.kuenzler@velogisch.ch)
Kommentar, 08.10.2025

Ein Vorstoss von Genfer Ständerat Mauro Poggia findet Beachtung in der Tagespresse. Der Ständerat aus dem bürgerlichen Lager fordert nämlich eine flächendeckende Nummernpflicht für Cargobikes. Der Politiker gesteht gegenüber der Aargauer Zeitung zwar: «Wenn es Lastenvelos gegeben hätte, als meine Kinder klein waren, hätte ich eins gekauft». Heutzutage mangele es den Lastenvelolenkern und -lenkerinnen aber an Disziplin, heisst es zu den Beweggründen Poggias. Die Lastenvelofahrerenden würden beispielsweise ihre sperrigen Vehikel auf dem Trottoir abstellen und Fussgängern damit den Weg versperren. 

Lastenvelo: Kein Fremdwort mehr

Es ist erfreulich, dass mittlerweile auch rechte Politiker anscheinend das «Cargobike» als eigene Fahrzeugkategorie kennen und dieses Fremdwort im Vokabular des SVP-Ständerats auftaucht. Ein kleiner Blick in die Statistik zeigt aber, dass eine isolierte Betrachtung von Lastenrädern bezüglich der Parksituation auf Trottoirs kaum zielführend sein wird.

Das Engagement Poggias bezüglich Lastenvelos erscheint besonders bemerkenswert, wenn man die noch immer bescheidenen Verkaufszahlen der Transportvelos in Betracht zieht. Gemäss dem Branchenverband Velosuisse wurden 2024 in der Schweiz 5'104 E-Cargobikes verkauft. Im selben Zeitraum wurden laut dem Bundesamt für Statistik 245’552 Autos neu zugelassen. Auf ein neues Lastenvelo kommen also 50 neue Autos auf der Strasse. Kaum zu glauben, dass diese paar Fahrzeuge derart überproportional häufig im Weg stehen, sodass sie zum Auslöser eines parlamentarischen Vorstossen werden und sich unsere Legislative sich mit ihnen beschäftigen muss. 

Parkieren auf dem Trottoir ist erlaubt

Was in der bisherigen Berichterstattung wenig erwähnt wird, ist die aktuelle Gesetzeslage: Das Parkieren von Velos – Lastenvelos eingeschlossen – auf dem Trottoir ist grundsätzlich erlaubt. Dies regelt Artikel 41 der Verkehrsregelverordnung. Darin ist auch festgehalten, dass stets ein Durchgang von mindestens 1,5 Meter frei bleiben muss. Verstösse gegen den Artikel können bereits jetzt, ohne Nummernschild, mit einer Ordnungsbusse geahndet werden. 

Ob mit oder ohne Nummernschild, ob Velo, Trottinett oder Cargobike: Bereits heute kann gebüsst werden, wer das Trottoir versperrt. Klar kann argumentiert werden, dass sich das korrekte Abstellen von Lastenvelos aufgrund ihrer Länge schwierig gestaltet. Für das Einhalten des Mindestabstands auf dem Trottoir ist in erster Linie aber die Breite des Zweirads massgebend. In dieser Dimension gilt für Velos wie für Cargobikes ein Meter als Maximum. Wer also beim Parkieren mitdenkt, sollte an den vielen Orten, wo ein Velo Platz findet, auch ein Cargobike abstellen können, ohne den Fussverkehr zu behindern. 

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Sharing-Angebote als Kern des Problems

Doch was sagen die Zu-Fuss-Gehenden zum Thema? Der Fachverband Fussverkehr Schweiz hat eine dezidierte Haltung. Im Positionierungspapier «Zweirad Parkierung auf dem Trottoir» nennt der Verband als erstes und gewichtigstes Problem das Parkieren von Leihfahrzeugen auf dem Trottoir. «Die Hemmschwelle, ein geliehenes Rad an einem ungeeigneten Ort abzustellen, ist niedriger als bei einem Velo, das einem gehört», ist in der Stellungnahme zu lesen. 

So fordert der Fachverband, Leihangebote als bewilligungspflichtige Aktivitäten zu behandeln. Diverse Medienberichte haben sich bereits mit der steigenden Zahl von E-Trottis in Schweizer Städten beschäftigt. Gemäss einem Beitrag von SRF soll es allein in Zürich über 5500 Sharing-Trottis geben, mehr also als neue Lastenvelos schweizweit. Zusätzlich werden allein vom Online-Händler Digitec Galaxus jährlich deutlich mehr als 10’000 E-Scooter verkauft, wie SRF recherchiert hat. Die Verkaufszahlen des Schweizer Onlinehändlers übertreffen damit jene von Lastenrädern aller hiesigen Anbieter bei Weitem.

Genf empfiehl Motorrädern das Parken auf Trottoirs

Die Forderungen von Fussverkehr Schweiz sind daher: Bewilligungspflichtige Abstellplätze für Sharing-Fahrzeuge, maximal ein Velo pro Trottoir und die Umwandlung von Auto-Abstellanlagen in Veloparkplätze zur Entschärfung der Platznot. Besonders problematisch sieht der Verband auch das Parkieren von Motorrädern. 

Brisanterweise schreibt Fussverkehr Schweiz, dass gerade in Genf die Parkierung auf dem Trottoir offiziell angeboten wird und verweist auf eine Broschüre des Kantos, die diese Parkmöglichkeiten aufzeigt. Allein 2024 wurden laut dem Verband Motosuisse schweizweit 49'019 Motorräder zugelassen. Das ist ein Zehnfaches der neu verkauften Lastenvelos. 

Was lernen wir daraus?

2024 wurden in der Schweiz rund 5000 Lastenvelos verkauft. Diese Fahrzeuge machen einen winzigen Bruchteil des Verkehrs aus. Schliesslich wurden im gleichen Jahr mindestens doppelt so viele E-Scooter, zehnmal so viele Motorräder und fünfzigmal so viele Autos wie Cargobikes in Betrieb genommen. Dass gerade die Lastenvelos die Hauptverursacher der prekären Parksituationen auf dem Trottoir sind, ist daher höchst unwahrscheinlich. Eine umfassendere Betrachtung der Thematik unter Berücksichtigung aller Fahrzeugkategorien und Sharing-Angebote wäre zielführender und ressourcenschonender als die Einführung von Nummernschildern an einigen tausend Lastenvelos.

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