Radfahren in Piacenza: Colli, Coppa und Castelli

Die Täler und Hügel im Osten der Region Emilia-Romagna laden zum Velofahren ein. Unser Autor beschreibt drei Ausflüge von Piacenza aus, wo er auch malte. Ein Raderlebnis der etwas anderen Art.

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Graziano Orsi
Reisen, 20.11.2025

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Das Universalgenie Leonardo da Vinci (1452–1519) beschrieb die norditalienische Stadt Piacenza mit den Worten «terra da passo». Es sei eine Gegend, die ein Reisender fast gezwungenermassen passiere. Dies trifft auch noch heute zu. Dank ihrer zentralen Lage in der Poebene ist sie ein wichtiger Verkehrs- und Handelsknotenpunkt. Die Autostrada del Sole, die Mailand mit Neapel verbindet, führt beispielsweise über Piacenza. Doch die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz mit ihren 100 000 Einwohnern ist auch eine «terra da bici». Rund vierzig Radausflüge haben zwei Ciclisti in zwei kleinen Ringbüchern beschrieben, deren Titel lautet: «Pedalate Piacentine». Sie dienen als Inspiration, um drei eigene Radtouren zusammenzustellen. Los gehts.

Trebbia und Penice

Die erste Ringvelotour beginnt beim Stadion des Fussballclubs Piacenza und verläuft dem Fluss Trebbia entlang. Ein Klassiker mit moderater Steigung. Der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway beschrieb das Val Trebbia mit den Worten: «Es ist das schönste Tal der Welt» und gar als «das Paradies auf Erden». Die Zeiten haben sich jedoch geändert. Zweifelsohne ist der Regionalpark für Wandernde eine Möglichkeit, der Stadthektik zu entfliehen. Auf dem Velo ist die Fahrt auf der stark befahrenen Strasse (Strada Statale 45) jedoch ein mühsames Unterfangen. 

Der Verkehr ist unüberhörbar, und Velowege sind selten. Immerhin existieren sogenannte Cuscini ciclistici – zirka ein Meter breite Radstreifen – mit einem Sicherheitsabstand zum Rand. Das bekannteste Tal der Provinz ist somit auch das verkehrsreichste. Der Veloausflug gestaltet sich dennoch angenehm, wenn man nicht am Wochenende unterwegs ist, sich genügend Zeit nimmt und die Nebenstrassen durch Dörfer wie Gossolengo nimmt. Früher oder später landet man trotzdem auf der SS45, sofern man nicht einen langen Umweg über Centomerli macht. In Bobbio geniesse ich auf der Piazza eine wohlverdiente Pause bei einem Cappuccino. Das mittelalterliche Flair des Orts mit den engen Gassen, den Steinhäusern und der Abtei San Colombano ist ideal für einen Spaziergang und zum Fotografieren. Eine Sehenswürdigkeit ist die Steinbogenbrücke Gobbo. Sie besteht aus elf Bögen und ist 273 Meter lang. Bobbio wurde im Jahr 2019 in einer Fernsehsendung als das schönste Dorf Italiens bezeichnet.

Frisch gestärkt gibt es in den nächsten 13 Kilometern 870 Höhenmeter bei einer Durchschnittssteigung von 6,7 Prozent zu überwinden. «Il Penice» war auch für meinen Vater, der in jungen Jahren Velorennen fuhr, ein beliebter Pass, um sich auf die Wettkämpfe vorzubereiten. Leider gibt es für mich beim Erreichen der Passhöhe an einem Dienstag nur ein «Tutto chiuso».

Serpentinen und Panini

Glücklicherweise geht es im Anschluss nur noch hinunter – eine Talabfahrt fast ohne Ende. Ein neuer Strassenbelag und Serpentinen führen den Radtouristen über Romagnese zum Staudamm, «La Diga del Molato». Dennoch fahre ich mit meinem Tourenrad auf der asphaltierten Strasse weiter und geniesse jede Kurve und das sonnige Herbstwetter des Tidone-Tals. Dazu beigetragen hat ein Panino mit «Coppa Piacentina DOP». 

DOP steht für eine geschützte Ursprungsbezeichnung «Denominazione di Origine Protetta», und gemeint ist damit die Wurstspezialität, für die Fleisch vom Schweinehals und -nacken verwendet wird. Übers Essen und Trinken in der Emilia-Romagna beziehungsweise in der Provinz Piacenza könnte man seitenlang schreiben. Speziell zu erwähnen ist die mir bis anhin unbekannte Spezialität des Tidone-Tals: Batarò. 

In der Pizzeria Real in Trevozzo feuert Daniela Groppi den Holzofen an und zeigt mir mit Freude und Passion ihre Zubereitung, auch sie im kommunalen Bereich geschützt: Deco – Denominazione di origine comunale. Signora Groppi ist im Tal die Meisterin dieses «Panino», das in der klassischen Version mit Gorgonzola und Pancetta im Holzofen gebacken wird. Im Unterschied zu einer Pizza besteht der Teig auch aus Maismehl und wird geschlossen serviert. So kann das Val Tidone mit seinen Spezialitäten, Mischwäldern, Rebbergen eine berauschende Wirkung erzielen. Ein Verstärkungseffekt käme hinzu, wenn zusätzlich die vor Ort produzierten Weine wie Gutturnio, Bonarda, Malvasia oder Ortrugo auf den Tisch kämen. Ich genehmige mir lediglich ein Glas Rotwein und fahre nach der kulinarischen Entdeckung nachts in die Provinzhauptstadt hinein. Übermotiviert habe ich 130 Kilometer zurückgelegt und liege nun flach wie ein mit dem Nudelholz ausgewallter Pastateig im Bett.

Ein Schloss und Walfossilien

Nach einem Ruhetag – die Stadt Piacenza ist mit ihren unzähligen Kirchen einen Spaziergang wert – starte ich zum zweiten Ausflug. Diesmal ins Arda-Tal. Wie immer gilt es die Nebenstrassen zu benützen, zu suchen, um heil nach Carpaneto zu kommen. Die Dörfer, die im Zickzack angefahren werden, heissen: San Bonico, San Polo, San Giorgio. Die Bauernhöfe in der Poebene haben ihren eigenen Charme. 

Mir gefällt, wie ich in die Weite blicken kann und gleichzeitig auf Kieswegen Baumalleen passiere. Man rollt gemütlich ein, wärmt den ganzen Körper sanft auf, sodass er bereit ist für die anschliessenden Steigungen. Sie beginnen erst nach dem Besuch des mittelalterlichen Dorfes Castell’Arquato. Warum soll man denn gerade diese Burg besuchen? Rund um die Provinzhauptstadt wimmelt es von Burgen. Der Hauptgrund: Das ganze Dorf hat die mittelalterliche Struktur bewahrt. Leider fahren Autos – man benötigt immerhin eine Spezialbewilligung – durch die Gassen. Trotzdem: Dieses Dorf ist dank seiner Lage über dem Tal faszinierend und wird von Emilia-Romagna-Tourismus mit den Worten «von seltener Schönheit» beschrieben.

«Nun liege ich flach wie ein mit dem Nudelholz ausgewallter Pastateig im Bett.»

Ein Besuch im Museo Geologico G. Cortesi wird mir verwehrt, da gerade geputzt wird. «Peccato» – italienisch für schade, murmle ich. Die regulären Öffnungszeiten sind ausser Kraft gesetzt worden. Ich habe dies zu akzeptieren, denn Italien wird stets ein Land voller Überraschungen bleiben. Gerne hätte ich mit eigenen Augen gesehen, welche Fossilien im Val d’Arda gefunden wurden. Denn das Meer reichte einst bis in dieses Tal hinein; kaum zu glauben. Beispielsweise werden neben Muscheln auch Walfossilien der Pliozänzeit ausgestellt, etwa 3 Millionen Jahre alt. Interessanterweise hatte der Schweizer Geologe und Stratigraf Karl-Mayer Eymar im Jahre 1858 eine Feindifferenzierung dieser Epoche gemacht und dabei den Begriff «Piacenziano» in die Wissenschaft eingeführt, in Anlehnung an die besonderen Gesteinsschichten in der Nähe der Stadt Piacenza.

Steile Rampen und römische Ruinen

Pedalierend verlasse ich das mittelalterliche Schloss in Richtung Lugagnano. Dort beginnt ein Radvergnügen mit markanten Steigungen. Denn: Die Route führt direkt in den Naturpark Monte Moria hinein. Die Strassen sind in ausgezeichnetem Zustand und oft so schmal, dass man sehr selten ein Auto sieht. Und der Blick bei Aussichtspunkten zeigt Buchen-, Pinien- und Kastanienwälder.

Ein abgerutschter Strassenabschnitt zwingt mich zu einem Umweg mit zusätzlichen steilen Rampen durch den Naturpark. So erreiche ich den nächsten Etappenort erschöpft: Veleia. Es ist ein weiterer Sprung in eine alte Epoche, denn Veleia ist nichts anderes als ein Museum, das die Überreste einer antiken römischen Stadt zeigt. Relativ schnell sehe ich die Reste des Forum Romanum und eines Thermalbads. Danach lege ich mich auf eine Wiese und ruhe mich aus, bevor ich die 35 km lange Retourfahrt im Tal Chero in Angriff nehme. Sie führt über Magnano wieder nach Carpaneto, und von dort aus gelingt es mir zum Teil, die SP6 zu vermeiden, da ich über den Weiler Ribera das Dorf San Giorgio erreiche. Es lohnt sich dabei, eine Rast bei der Gelateria Coccole zu machen, um sich stilvoll verwöhnen zu lassen, bevor man über die Hauptstrasse wieder Piacenza erreicht.

Tramschienen und angekettete Fahrräder

Am nächsten Tag bin ich mit meinem sportbegeisterten Cousin Marco in Ponte dell’Olio, im Tal Nure, verabredet. Da ich genügend Zeit habe, streife ich durchs Dorf und bestaune an den Wänden der Via Vittorio Veneto die alten Schwarz-Weiss-Fotografien. Ein Zeitdokument zeigt die Brücke mit Schienen. Tatsächlich existierte Anfang des 20. Jahrhunderts noch eine Tram- beziehungsweise Lokomotivgesellschaft, die verschiedene Ortschaften in der Region verband. Nachzulesen ist diese Geschichte auf einer lokalhistorischen Website. Eine weitere Kuriosität dieses Dorfes sind die alten Fahrräder, die in der Via Vittorio Veneto angekettet sind und eine Strassendekoration bilden.

Mein Cousin, der nach der Arbeit mit dem Auto nach Ponte dell’Olio gefahren ist, holt nun das Fahrrad aus dem Kofferraum, und zusammen machen wir das, was wir immer machen: «pedalare e parlare». Wir schwatzen radelnd über Gott und die Welt. Ein paar Fragen an ihn lauten: Ist es normal, dass alle Nebenflüsse des Po, die ich gesehen habe, zu dieser Jahreszeit einen so tiefen Wasserpegel aufweisen? Wie sehen deine Arbeitsbedingungen aus? Welche Projekte willst du in den nächsten Jahren in Angriff nehmen? 

Marco beantwortet ruhig meine Fragen und zeigt mir dabei einmal mehr, wie wichtig das Atmen beim Radfahren ist. In den vergangenen Jahren hat er sich intensiv mit Atemtechniken auseinandergesetzt und erfolgreich Ultradistanzrennen zu Fuss absolviert. Nachdem wir den Etappenzielort Ferriere erreicht haben, verpflegen wir uns kurz in einer Bar und fahren gemütlich wieder zurück. Marco erinnert sich, dass Ferriere im Mittelalter wegen der Eisenverarbeitung eine überregionale Bedeutung hatte. «Ferro» heisst auf Italienisch Eisen. Tempi passati. 

Zurück in Ponte dell’Olio laden wir die Fahrräder auf den Velogepäckträger seines Autos und fahren nach Piacenza. Das ist in Italien keine Seltenheit. Man entflieht der Stadt mit dem Auto und beginnt die Radtour ausserhalb. Auch die 40 Radtouren in den zwei Büchern «Pedalate Piacentine» enthalten diverse Touren, die nicht in Piacenza beginnen. Kann man Piacenza trotzdem «terra da bici» nennen? Neue Radwege sind entlang der Hauptstrassen am Entstehen, doch es gibt noch viel zu tun in Bella Piacenza.

Infos zur Tour

Routen: 

  1. Piacenza – Bobbio-Pass «Penice» – Piacenza, 130 km, ca. 1000 hm. Verkehrsarmer Umweg ab Gossolengo über Centomerli: missmove.ch/val-trebbia

  2. Piacenza – Castell’Arquato – Velleia – Piacenza, 100 km, ca. 500 hm.

  3. Piacenza – Ponte dell’Olio – Ferriere – Ponte dell’Olio, 65 km, ca. 1000 hm. Infos zu den «Tramways Piacentine» auf piacenzantica.it

Anreise und Rückreise

Die Reise von Zürich nach Piacenza und retour erfolgt über Mailand und teilweise sogar per Direktzug (nach Bologna über Mailand Lambrate). Die Reisedauer beträgt ca. 4 Stunden und 30 Minuten. Der Velotransport ist zu reservieren (Alternative Tranzbag).

Reiseführer

Die zwei Büchlein «Pedalate Piacentine» enthalten vierzig Rennrad-Ausflüge mit Kerninfos und Kartenausschnitten. Für die Stadt Piacenza empfehle ich das kleine, italienischsprachige Büchlein «Piacenza – una guida» aus der Reihe Incentro des Verlags Odos.

Empfohlene Reisezeit

 Frühling und Herbst

Verpflegungsmöglichkeiten

Pasta- und Weinliebhaber kommen in Piacenza und Umgebung (fast) überall auf ihre Kosten.

Etymologie

Das lateinische Wort «placere» bedeutet gefallen. Und hinter der Stadtbezeichnung Piacenza steckt «piacere», eine Freude bereiten.

Paläste und Kirchen

Piacenza wird oft «città di palazzi» und «città delle chiese» genannt.

Der Nebel – la nebbia

Dem Nebel der Poebene entfliehen – fuggire dalla nebbia. Dies tun die Einwohnerinnen und Einwohner von Piacenza mit Vergnügen. Im November findet sogar ein Literatur- und Theaterfestival in der Stadt statt, das «Festival della nebbia» heisst.

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