Quer durch den Velogarten

Kinderbücher, ein inspirierendes Sachbuch und Zitronenblüten. Das ist der sommerliche Lockduft, von dem auch die Deutschen seit Jahrhunderten träumen. Das zeigt eine Spurensuche.

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Dres Balmer, Aline Künzler, Pete Mijnssen
Kultur, 09.07.2024

Kindersachbuch

Der Name ist Programm. Auf acht Doppelseiten erklärt Susanne Gernhäusern (fast) alles, was Kinder über das Velo wissen wollen. Jede Seite behandelt ein separates Thema, altersgerecht für Kinder von vier bis sieben Jahren zusammengestellt und mit grosszügigen Illustrationen veranschaulicht. Die Zeichnungen haben Wimmelbild-Charakter und können mit vielen Türchen erweitert werden. 

Hinter dem Bild eines platten Reifens versteckt sich etwa eine Anleitung für dessen Reparatur. Die gezeichneten Illustrationen zeigen meist Kinder mit ihren Eltern auf und am Velo, sind farbenfroh und mit vielen Details sehr realitätsnah. Auf den packenden Einstieg «Warum macht Fahrrad fahren Spass?» folgen Erklärungen zu Bauteilen am Velo, Tipps zum Velo-Fahren-Lernen und Hinweise dazu, wo man als Kind überhaupt Velo fahren darf. Dabei fällt auf, dass es sich beim Buch aus dem Ravensburger-Verlag um eine deutsche Produktion handelt. Insbesondere die erklärten Strassenverkehrsegeln entsprechen nicht den Schweizer Gesetzen. Auch einige unschweizerische Ausdrücke können junge Leserinnen verwirren. So wird beispielsweise stets vom «Fahrrad» und nicht vom «Velo» erzählt.

Das Kindersachbuch eignet sich trotzdem gut, um in der Schweiz gelesen und vorgelesen zu werden.Die Textpassagen sind nie länger als drei Sätze und können häppchenweise, unabhängig voneinander mit dem und vom Kind gelesen werden. Ohne viel Lesemühe erfährt man so Wichtiges zur Sichtbarkeit auf der Strasse, zu verschiedenen Arten von Velos oder dem gewerblichen Einsatz von Zweirädern.Die Autorin schafft auf wenigen Seiten einen breiten Überblick über das Velo, seine Vielfalt und seine Bedeutung im Alltag. Gleichzeitig beantwortet sie Kinderfragen auf Augenhöhe und macht Eltern wie Kindern Lust aufs Velo.

Susanne Gernhäuser: Alles über das Fahrrad. Ravensburger-Verlag, Ravensburg, 2017. Fr. 22.90.

Manifest

Die Bevölkerung möchte lebenswerte Städte und Gemeinden. Für die Mehrheit gehören dazu auch bessere und sichere Bedingungen für den Radverkehr. Es gibt deshalb kaum eine Stadt, die nicht auf Veloförderung setzt. Zwischen Versprechungen und Umsetzung klaffen aber oft Welten. Denn noch immer stehen veraltete Planungskonzepte und eine allzu zögerliche Politik einer effektiven und raschen Veloförderung entgegen. Und meistens steht das Auto mit einer starken Lobby dazwischen. Gegenbeispiele sind Vorreiter-städte wie Amsterdam.

Für das Autorenteam ist diese Stadt, wie die Niederlande überhaupt, beispielhaft. Es ist überzeugt, dass eine Verkehrswende hin zu mehr Velo möglich und vor allem unabdingbar ist. Das bedingt jedoch die Änderung von Gewohnheiten und einen Blick, der das «System Auto» hinterfragt und Alternativen aufzeigt. Das Buch zeigt anschaulich, wie dank der Velowende Platz auf den Strassen für die vielfältigen Bedürfnisse und damit für mehr Lebensqualität für alle frei wird. Dafür bringen die vier Autorinnen und Autoren ein hohes Verständnis mit für die Zusammenhänge, wie Verkehr funktioniert. Zwei sind und waren in Exekutivämtern an der Umsetzung von Velostädten beteiligt. Ursula Wyss war der Kopf der «Velo Offensive» in Bern und hat diese erfolgreich umgesetzt.

Etwas zu wenig zu Wort kommt im Buch der Aspekt, dass neben der Autozentriertheit auch der ÖV in Schweizer Städten wie Zürich noch oft ein Hemmschuh für die Veloförderung ist. 

Ansonsten ist es ein detail- und kenntnisreiches Velo-Manifest, das sich gleichermassen an ein interessiertes Publikum wie auch an Aktivistinnen richtet. Am Schluss gibts eine To-do-Liste mit 10 Punkten. Der letzte lautet: «@Alle: Noch heute anfangen. Radfahren macht Spass, es macht glücklich und hilft den Städten.» Genau.

Velowende – Für eine lebendige Stadt. Patrick Rérat, Ursula Wyss, Michael Liebi, Christine Lehmann, rüffer & rub, 2024, Fr. 28.–.

Mit dem Fahrrad zur Kunst

1803 erzählt Johann Gottfried Seume im Buch «Spaziergang nach Syrakus», wie er in neun Monaten von Sachsen nach Sizilien und zurück wandert. Gut zwei Jahrhunderte später folgt Oliver Heilwagen Seumes Spuren mit dem Fahrrad. In hundert Tagen durchquert er Tschechien, Österreich, Slowenien und Italien, macht die Rückreise mit Schiff und Bahn. Er nächtigt in Herbergen, schleppt aber schweres Gepäck. Und ach, die Topografie! Kann er selbst sanfte Hügelzüge nicht im Tal umrunden, steigt er in die Bahn, denn «für das andere, deutlich reizvollere Italien der Hügelkuppen, Bergdörfer und Panoramen bräuchte ich ein E-Bike», vermutet er. 

Es wird verglichen, welche Wirkung dieselben Orte auf Seume damals und auf Heilwagen heute ausüben. Begegnen die Italiener den Gästen aus Sachsen mit Sympathie oder Ablehnung, sind sie hilfsbereit oder feindlich? Ein grosser Teil des Buches widmet sich der Kunst- und Architekturgeschichte.
Seume beschreibt römisch-griechische Heiligtümer, aber auch die Kathedralen der Christen. Heilwagen verlängert Seumes Gedankengänge in unsere Gegenwart, immer gescheit, nur selten länglich-akademisch.

Spannend und überraschend ist seine Erklärung der öffentlichen Architektur aus Zeiten des Faschismus 1922–1943. Da haben die besten Baumeister Gebäude hingestellt, die als Meisterwerke der harmonischen und menschbezogenen Proportionen anerkannt sind und Bestand haben. Nie dienten sie blossem Gigantismus und gehören bis heute zum italienischen Alltag. Anders, so Heilwagen, sieht das bei der protzigen Architektur des Nationalsozialismus aus. Wenn sie es überhaupt in die Gegenwart geschafft hat, dann nur negativ: Die Deutschen würden sie am liebsten vergessen machen. 

Oliver Heilwagen: Spazierfahrt nach Syrakus. Knesebeck-Verlag,München 2022, Fr. 31.90.

Rennradheld

Grosse Aufregung beim neunjährigen Velofan Robbie. Die berühmte Tour de France führt genau durch das Dorf, in dem er Familienferien verbringt. Bereits Stunden vor dem Rennen bevölkern wilde Fans die Strassen – mit Campingwagen und bunten Kostümen. Dann rauscht das Fahrerfeld heran, in irrem Tempo und farbenprächtigen Tricots. Robbie jubelt den Profis zu, bewundert das Maillot Jaune – ein Nationalheiligtum.

Doch plötzlich wird er selbst zum Helden, als er dem Nachwuchsfahrer Bruno Jöness zu Hilfe eilt. Unerschrocken hilft Robbie dem Profi, sein Rad wieder in Gang zu bringen, rettet sein Rennen und erntet Zuschauer­applaus. Das grosse Abenteuer beginnt jedoch erst, als Robbie selbst Teil der Tour de France wird. Denn Bruno braucht gewiss noch einmal seine Hilfe, um sein grosses Ziel zu erreichen und am Ende in Paris auf dem Podium zu stehen. Mit einem gelben T-Shirt seiner älteren Schwester jagt er den Profis hinterher. Dafür sorgt er schon bald für einiges Aufsehen. Doch wie werden seine Eltern auf sein Verschwinden reagieren – und wird er es rechtzeitig nach Paris schaffen?

Das turbulente Abenteuer von «Rennracker Robbie bei der Tour de France» ist eine inspirierende Geschichte über Mut, Hilfsbereitschaft und die Faszination des Velofahrens. Nebenbei erfährt nicht nur der Nachwuchs von der Autorin und langjährigen Eurosport-Redaktorin viel Nützliches über das berühmteste Velorennen der Welt. Die liebevollen Schlagabtausche zwischen den beiden Geschwistern in Social-Media-Zeiten bringen einen zum Schmunzeln.

Birgit Hasselbusch, Illustrationen: Arabell Watzlawik: Rennracker Robbie. Covadonga 2024, Fr. 25.90, empfohlenes Lesealter: 9–12 Jahre.