Unterwegs trifft man immer wieder auf Arbeiter in orangefarbenen Gewändern, die den Dreck aus dem Strassengraben entfernen, an einer Leitplanke schrauben, ein Loch im Asphalt unschädlich machen oder einen Signalstreifen neu malen. Ich schätze die Arbeit dieser Leute. Bei uns wird ja ein untertassengrosses Loch im Asphalt keine Woche alt, und schwupps, schon ist es geflickt.
Neben der Flickstelle steht ein Strassenarbeiter, der mit seiner rot-grünen Signalkelle den Verkehr so regelt, dass nichts passiert. Ich halte an, wechsle mit dem Kellenmann ein paar Worte. Da befällt mich manchmal eine proletarische Solidaritätswelle mit den tiefbaulichen Werktätigen, und ich sage «Grüss euch wohl». Wenn der Mann die grüne Kelle zeigt, rufe ich: «Merci für eure Arbeit!» Dann antwortet er oft fröhlich: «Jetzt kannst du fahren», «gib ihm» oder «jetzt musst du Gutzi geben». Selbstverständlich duzt er mich bei seinen Ermutigungen. Lastwagenfahrer, mit denen ich ins Gespräch komme, machen das übrigens genauso, viele von ihnen sind ja auch für den Tiefbau unterwegs, und ohne Tiefbaukunst bliebe ich mit meinem Rennvelo glatt zu Hause.
«Die Duzerei der Strassenarbeiter amüsiert mich. Frage ich jemanden auf dem Trottoir nach dem Weg, sage ich Sie, weil der Mensch zu Fuss ist.»
Bei grösseren Baustellen ergeben sich etwas längere Gespräche. Auch dort grüsse und danke ich. Sie schauen mich zuerst an, als ob sie dächten, ich mache mich über sie lustig oder sei nicht ganz richtig im Kopf. Ich ergänze: «Merci für die gute Strasse, die ihr da macht.» «Ach so», sagt dann der eine, und der andere fügt hinzu: «Das ist mir noch nie passiert, dass da jemand Merci sagt wie du.» Auch sie sind mit mir gleich Duzis. Sie denken, einer, der Velo fährt und den Wert ihrer Arbeit erkennt, muss ein tiefbaulicher Proletarier sein wie sie, also ist man selbstverständlich per Du. Wenn es einem Autofahrer einfiele, anzuhalten und ihnen zu danken für ihre Mühe, würden sie ihn aber garantiert nicht duzen. Und überhaupt hat sich ein Autofahrer bei ihnen noch nie bedankt.
«Und überhaupt hat sich ein Autofahrer bei ihnen noch nie bedankt.»
Die Duzerei der Strassenarbeiter amüsiert mich. Frage ich jemanden auf dem Trottoir nach dem Weg, sage ich Sie, weil der Mensch zu Fuss ist. Oft duzt mich dieser Mensch, und das ärgert mich. Die Arbeiter duzen aus tiefer, tiefbaulicher Verwandtschaft, doch der Fussgänger, der auf dem Trottoir trottet, der denkt, ich sei ein minderer Mensch, weil ich nur auf einem tschumpeligen Velo fahre. Ich wette darauf, dass der Fussgänger einen Autofahrer, der ihn durch das Fenster nach dem Weg früge, nicht duzen würde, weil nämlich der Fussgänger dächte: Oh, der schwebt in einer Karosse übers Land.
Das grösste Solidaritätsfest unter Schöpfern und Geniessern der Tiefbaukunst erlebten wir in Bulgariens Bergen. Auch dort bedankten wir uns bei den Arbeitern. Der Chef liess sofort drei Baumaschinen abstellen und rief sein halbes Dutzend Strassenknechte zusammen. Er gab ihnen und uns eine Runde Slivovic aus; und danach gleich noch eine.







