Profis lassen sich nicht bremsen

Die Radsaison 2021 soll unverändert stattfinden – allerdings weiterhin ohne Zuschauerinnen und Zuschauer am Strassenrand. Damit gibt die Covid-19-Pandemie im Radrennsport nach wie vor den Ton an.

Emil Bischofberger

Emil Bischofberger, Autor
Sport, 26.03.2021

Es sind die Momente purer Freude, in denen alles vergessen geht. Am letzten Februarwochenende sind diese zu sehen. Am Samstag bei Davide Ballerini, nachdem der Italiener das erste wichtige belgische Eintagesrennen der Saison, Het Nieuwsblad, gewonnen hat. Tags darauf dasselbe Bild mit Mads Pedersen, nachdem der Weltmeister von 2019 bei Kuurne–Brüssel–Kuurne souverän zum Sieg gesprintet ist. Beide Gewinner umarmen im Ziel ihre Teamhelfer, dann auch noch überschwänglich die Kollegen.

Der erste Sieg der Saison ist stets ein spezieller, er setzt den Ton für das, was folgt. Den Ton setzt in diesem Fall dann aber der Weltverband: Er teilt allen Teams mit, auf Umarmungen zu verzichten. «In meiner professionellen Meinung als Arzt erachte ich die Gefahr einer Übertragung des Virus bei einer Umarmung als klein», lässt sich Xavier Bigard zitieren, der medizinische Direktor der UCI. «Aber die Botschaft, die wir in die Welt hinaus an die Zuschauer senden wollen, ist, dass wir das Virus bekämpfen und sie deshalb erinnern müssen, einander nicht zu berühren.»

Ein kühner Plan

Die Situation umreisst präzise, wo der Profiradsport Anfang 2021 steht. Vom europaweiten Shutdown wurde er im März 2020 so sehr überrascht wie der ganze Kontinent. Doch der Radsport nützte die darauf folgende rennfreie Zeit, um einen kühnen Plan auszuarbeiten: Von August bis November sollten mit wenigen Ausnahmen alle Rennen durchgeführt werden, die normalerweise übers ganze Jahr verteilt gewesen wären.

Und tatsächlich: Mit zwei gewichtigen Ausnahmen (Paris–Roubaix und Amstel Gold Race) fanden tatsächlich alle neu geplanten Rennen statt. Zwar immer ohne Fans vor Ort – aber für die TV-Zuschauer kein bisschen weniger attraktiv. Die Fans fehlen auch 2021. Und die Vorsichtsmassnahmen sind dieselben geblieben: Jedes Team bildet an den Rennen eine Blase, zu der nur die eigenen Mitglieder Zutritt haben. Maskenpflicht herrscht immer, Corona-Tests sind vor jedem Rennen Pflicht.

«Ich habe mich mittlerweile sogar an die langen Wattestäbchen in der Nase gewöhnt. Man muss sich dabei einfach entspannen, dann geht es», sagt Stefan Küng. Dem Thurgauer Radprofi geht es wie den meisten Kollegen: Sie sind glücklich, ihrem Beruf nachgehen zu dürfen. Küng erlebte eine erfolgreiche Saison 2020, gewann die EM im Zeitfahren und WM-Bronze, wurde Schweizer Meister in dieser Disziplin wie auch im Strassenrennen. Nun gibt er sich optimistisch, dass die Saison 2021 so stattfindet wie geplant. «Ich finde, dass wir Rennen fahren sollten, solange in den Regionen, in denen wir fahren, die Spitäler nicht voll sind», sagt Küng. Schliesslich hätten sich die Team-Bubbles bewährt. Dem ist tatsächlich so. Obwohl es gerade vor den dreiwöchigen Grand Tours viele Befürchtungen gab, dass Corona sich verbreiten könnte, blieb es bei ganz wenigen Fällen.

«Ich habe mich mittlerweile sogar an die langen Wattestäbchen in der Nase gewöhnt. Man muss sich dabei einfach entspannen, dann geht es.»

Stefan Küng

Die grossen Verlierer

Nach Zweifeln zum Jahresbeginn ist im Profiradsport der Optimismus in den ersten Wochen der Saison ganz generell zurückgekehrt, wie Gino Mäder erzählt: «In unserem Trainingslager im Januar gingen wir noch davon aus, dass die Saison nicht stattfinden würde. Und wurden in dieser Meinung bestätigt, als die ersten Rennen in Spanien und Portugal abgesagt wurden», erzählt der Berner, der neu für Bahrain-Victorious fährt. «Doch dann fanden in Frankreich die ersten kleineren Rennen statt. Das gab allen anderen Veranstaltern grünes Licht, so hat man den Eindruck. Jetzt scheint es klar: Die Saison 2021 wird stattfinden.»

Zu ihr gehören auch die Schweizer Rundfahrten, im vergangenen Jahr waren sie noch die grossen Verlierer: Tour de Romandie und Tour de Suisse konnten wegen des Shutdowns beide nicht durchgeführt werden. Für 2021 rechnen beide Rundfahrten mit einer Durchführung ohne Zuschauer, die Tour de Romandie vom 27. April bis zum 2. Mai, die Tour de Suisse vom 6. bis 13. Juni. Es gibt gar die ganz grossen Optimisten wie den Tour-de-France-Chef Christian Prudhomme, der kürzlich die Hoffnung äus­serte, dass im Juli die Fans wieder in Scharen am Strassenrand stehen würden.

Eine Hoffnung, die der UCI-Arzt Bigard nicht teilt: «Wir können keine normale Tour erwarten. Wegen der neuen Virusvarianten. Und weil die Bevölkerung bis Juli nicht durchgeimpft sein wird.» Eine Impfpflicht im Peloton ist ebenfalls kein Thema. Nur eine Equipe ging schon einen Schritt weiter: Beim Team UAE-Emirates wurden alle Mitglieder im Trainingslager Anfang Jahr in den Emiraten geimpft. Der Schweizer Neuzugang Marc Hirschi verpasste die Vakzinspritze – er reiste erst später an.