Pete Mijnssen,
Chefredaktor
(pete.mijnssen@velojournal.ch)
Schwerpunkt,
15.05.2025
Während dreier Jahre erforschte ein Team an der ETH Zürich, wie velogerechte Stadtplanung aussehen und es gelängen könnte, 50% der Verkehrsfläche der Mikromobilität zu widmen. Fazit mit zwei Projektverantwortlichen.
Pete Mijnssen,
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Schwerpunkt,
15.05.2025
Im Bann der Mikromobilität: Lucas Meyer de Freytas und Catherine Elliot. (Fotos: Mirjam Graf)
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Lucas Meyer de Freytas: Das Projekt zeigt das grosse Potenzial für Velos und E-Bikes in der Stadt Zürich. Die Emissionen könnten um rund 40 Prozent reduziert werden. Zudem würde die Gesellschaft von einem Gesundheitsnutzen profitieren.
Catherine Elliot: Wir haben viel Goodwill gegenüber dem Projekt erfahren, aber auch Skepsis bei Planungspersonen und Politik. Anwohnerinnen und Anwohner befürchten, dass sie Parkplätze verlieren, auch wenn sie dafür mehr Veloinfrastruktur erhalten.
CE: Ursprünglich sollte es Micro Mobility-City, E-Bike, Normalvelo oder ähnlich heissen. Beim E-Bike sehen wir aber das grösste Potenzial, Autofahrten auf mittleren und langen Strecken zu ersetzen. Das E-Bike bietet auch punkto Fitness die niedrigste Umstiegshürde, weil man am Zielort ankommen kann, ohne verschwitzt zu sein. Dazu gehören auch Cargovelos, etwa für den Kitatransport. Die Mikromobilität schafft effizient mehr Platz. Und sie erfolgt viel über elektrische Antriebe.
LM: So einfach ist es nicht. Aber um Platz für die Mikromobilität zu gewinnen, muss man dies gezwungenermassen tun. Die Zuordnung des restlichen Raums für den MIV muss aber durchdacht gestaltet sein, dazu trägt etwa ein kohärent gestaltetes Einbahnstrassennetz bei.
LM: Nein, der ÖV wird separat aufgeführt, aufbauend auf der bestehenden Infrastruktur. Verlagerung führte zu einer deutlichen Zunahme beim ÖV. Der ÖV muss deshalb eine grosse Rolle spielen.
«Das E-Bike ist auch punkto Fitness ideal – weil man nicht verschwitzt am Zielort ankommt.»
Catherine Elliot
Dr. Catherine Elliot (44) ist Koordinatorin des ETH-Projekts E-Bike-City und befasst sich unter anderem mit der Verknüpfung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Velos, E-Bikes, Lastenrädern, Fussgängern und Mikromobilität.
CE: Das haben wir nicht speziell erforscht, aber es gäbe wohl einen positiven Nebeneffekt: Die Menschen könnten nebeneinander fahren. Der Strassenraum würde damit zu einem sozialen Begegnungsort.
LM: Nein, der Scooter-Verkehr wurde bis jetzt nicht berücksichtigt. Aber Scooter wären wie heute zugelassen auf den Velospuren und Velowegen. Das Problem ist bekannt, so gibt es etwa in den Niederlanden Ideen, den Strassenraum für unterschiedliche Tempi aufzuteilen. Alles, was bis 20 km/h fährt, darf die eine Spur nutzen, für Tempi von 20 bis 50 km/h gibt es eine andere. Das wäre mit Blick auf Konflikte zwischen S-Pedelecs und Velos eine interessante Weiterentwicklung.
CE: In Paris beklagen sich geübte Velofahrende, dass sie sich wegen der E-Bikes und der Scooter unsicher fühlten. Der Geschwindigkeitsunterschied ist es also, der sie verunsichert.
LM: Jede Person, die mit dem öffentlichen Verkehr oder dem Velo unterwegs ist, beansprucht weniger Platz. Da an einem innerstädtischen Verkehrsknoten ohnehin alle Verkehrsmittel mit ähnlich niedrigen Geschwindigkeiten verkehren, führt dies dazu, dass pro Zeiteinheit mehr Personen durch den Knotenpunkt fliessen können.
CE: Wir gingen von vier verschiedenen Strassentypologien aus, darunter eine komplexe mit ÖV. Mit dem Albisriederplatz haben wir uns des komplexesten Knotens angenommen, mit Tramhaltestelle und dem Ziel einer Verkehrsverlagerung.
CE: Es ist für Zürich kühn und im Schweizer Planungskontext generell auch, aber wenn wir sehen, was Städte zum Beispiel in den Niederlanden gemacht haben in den Siebziger- und Achtzigerjahren, ist es eigentlich genau das: Abbau von Parkplätzen, Umwidmung von MIV-Spuren, Raum für Velos. Einfach ohne E-Bikes. Die Auswirkungen auf den Modalsplit sind eigentlich nicht so weit entfernt von dem, was man aus den Niederlanden oder aus Dänemark kennt. Im Vergleich zur niederländischen oder dänischen Realität ist unser Vorschlag gar nicht so kühn.
Lucas Meyer de Freytas (35) ist Dozent am Departement Bau, Umwelt und Geomatik. Seine Interessen gelten unter anderem der Modellierung des Verkehrsverhaltens, der Radverkehrsinfrastrukturplanung und dem Netto-Null-Verkehr der Zukunft.
CE: Fast jeder Mensch heute, zumindest in westlichen Gesellschaften, ist mit Motonormativität aufgewachsen. Alternativen zum Auto zu erkennen, war lange Zeit undenkbar.
LM: Meiner Erfahrung nach ist die Schweizer Planungspraxis relativ träge. In Zürich kommt erschwerend hinzu, dass drei Stadträte für den Verkehr zuständig sind. Es gibt die Dienstabteilung Verkehr, das Tiefbaumt und die öffentlichen Betriebe (VBZ). Das institutionelle Arrangement ist vielleicht gut, um politische Bedürfnisse der unterschiedlichen Parteien zu befriedigen, aber nicht so gut, wenn es darum geht, Ziele in Realitäten umzusetzen oder überhaupt Ziele zu finden. Und Zürich hat einfach wenig Platz, mit sehr hoher Nachfrage, was zu vielen Strassenraum-Konflikten führt. Was zum Beispiel die VBZ etwa am Central abwickeln, dafür wäre in jeder anderen europäischen Grossstadt schon eine U-Bahn gebaut worden.
CE: Wir müssen kurzfristige, mittelfristige und langfristige Pläne entwickeln und überlegen, was sinnvoll ist. Wo ist es sinnvoll, zuerst anzufangen? Es gibt ja zum Beispiel Pläne, den Zürcher Hauptbahnhof bis 2050 autofrei zu machen.
LM: Heute ist man langsam daran, diesen autodefinierten Strassenraum zurückzuerobern. Das sieht man auch anhand der aktuellen Diskussion zu Tempo 30 auf Hauptstrassen. Die Städte möchten das einführen, die Kantone sind mehrheitlich dagegen.
CE: Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell sich in den Städten etwas ändern kann. Beispielsweise in Bern, Berlin und Genf. Zürich war da zurückhaltender. Eine E-Bike-Stadt ist aber eindeutig möglich, wenn der Wille vorhanden ist.
«Was die VBZ etwa am Central abwickeln, dafür wäre in anderen europäischen Grossstädten schon eine U-Bahn gebaut worden.»
Lucas Meyer de Freytas
LM: Das Prinzip ist auch auf andere Städte übertragbar: Reduzierung der MIV- Kapazität, Abbau der Parkplätze. Letztlich geht es darum. Und darum, das Velowegnetz ausbauen. Generell zu wenig berücksichtigt wird, wie es im ländlichen Raum aussieht. Etwa, was man gegen die Zersiedelung und die längeren Wege tun kann.
CE: Im Rahmen des Projekts haben wir ein kostengünstiges Tool entwickelt, das für jede Stadt anwendbar ist. Mit der Stadt Luzern sind wir in Kontakt und arbeiten daran, das klingt vielversprechend.
CE: Im Prinzip schon, ja. Die Vorgaben mit 50 Prozent Steigerung des Veloverkehrs sind laut Astra-Roadmap eigentlich klar. Aber oft verläuft die Diskussion darüber, wie das erreicht werden könnte, vage.
LM: Es gibt noch viel zu tun. Es fehlt nicht an Velowegnetzplänen auf Kantons- und auf städtischer Ebene, viele Gemeinden machen schon viel in diese Richtung. Aber es hapert stark bei der Umsetzung, und es geht nur sehr langsam voran. Zum einen wegen der Planungskultur in den Departementen selbst, wo es halt immer jemanden gibt, der das schon seit 40 Jahren macht. Dann heisst es: «Nein, das können wir nicht machen, SVI-Norm XYZ ... – da können wir jetzt keinen Veloweg machen», obwohl das Gesetz das vorgibt. Bis wir diesen Kulturwechsel hinbekommen, wird es schon noch eine Weile dauern.
LM: Ja. Nun müsste man die Botschaft hinaustragen und sagen, dass die Mobilitätswende eine positive Wendung für alle ist, auch für Autofahrende. Der Druck auf die Politik müsste steigen.
CE: Mit der Masterclass Velowende arbeiten wir an konkreten Umsetzungsbeispielen und bleiben weiterhin am Thema.
Das Leuchtturmprojekt wurde vom Departement Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) der ETH Zürich initiiert. Sieben Professuren erforschten gemeinsam die Auswirkungen einer urbanen Zukunft, die dem Velo, der Mikromobilität und dem öffentlichen Verkehr oberste Priorität einräumt. Untenstehende Illustration erklärt am Beispiel Albisriederplatz in Zürich, wie der motorisierte Individualverkehr in Zukunft auf 50 Prozent der Fläche reduziert werden kann, bei höherer Personenkapazität.
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