Die Eroberung der Alpen

Wer alles, zu Fuss und auf Rädern, bewegt sich eigentlich durch die Berge? Im Laufe der Verkehrsgeschichte verändern sich die Moden, ein Ende der Überraschungen ist nicht in Sicht.

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Dres Balmer
30.05.2018

Nach dem Ersten Weltkrieg setzt in Österreich eine Entwicklung ein, welche einen neuen Akt eröffnet – auf europäischer Bühne. Um 1918 ist die Donaumonarchie am Ende. Eine Folge ist, dass Österreich seinen höchsten Berg, den Ortler, aber auch den höchsten Strassenpass der Alpen, das Stilfserjoch, verliert. Die ver­blichene Grossmacht definiert sich neu als Alpenrepublik, und dazu gehört ein Nationalberg, also wird jetzt aus dem vormals zweithöchsten Berg, dem Grossglockner, die Nummer eins.
Zur selben Zeit beginnen zwei anscheinend unterschiedliche Entwicklungen, die aber bald in eine überraschende Verbindung treten. Einerseits haben die Alpinisten schon alle Alpengipfel bestiegen, es bleiben nur noch einige schwierige Routen übrig, etwa in der Eigernordwand, die noch nicht bezwungen sind. Andererseits wird die Vorfahrt des Automobils immer unaufhaltsamer, und in Deutschland werden die ersten Autobahnen gebaut.
Kehren wir zurück nach Österreich, wo sich der Salzburger Landeshauptmann und ein Strassenbauer zusammensetzen, um eine Zukunft zu erfinden. Sie kommen zum Schluss, jetzt sei es an der Zeit, die Entdeckung der Alpen auch den Automobilisten zu ermöglichen, und die Lösung liegt sechzig Kilometer südlich von Salzburg, eben am Grossglockner, Austrias höchstem Berg. Sie bauen die Grossglockner Hochalpenstrasse von Zell am See bis Heiligenblut und weihen sie 1935 ein.
Es ist eine wahre Kunststrasse, für grösstes automobiles Fahrvergnügen spielerisch in die Landschaft gelegt, versehen auch mit zwei Stichstrassen zu besonders spektakulären Aussichtspunkten. Das reizt natürlich auch die Radler, und in den ersten drei Sommern sind sie dort zahlreicher unterwegs als Motorräder; danach wird die Anzahl der Velofahrer an den Mautstellen nicht mehr erhoben.
Damit beteiligt sich Österreich in den 30er-Jahren an einem europäischen Passstrassen-Wettrüsten. Die Franzosen weihen den Col de l’Iseran, den nunmehr höchsten Alpenpass ein, eröffnen pompös und zur reinen Lust der Autofahrer ihre Route des Grandes Alpes vom Genfersee ans Mittelmeer. Auch Spanien macht mit und legt über die Sierra Nevada die Veleta-Passstrasse, die mit 3300 m ü. M. wohl die höchste Europas ist.
Jetzt haben sowohl die Alpinisten als auch die Automobilisten die Alpen entdeckt, und die Verdrängung der Velofahrer, die sich der ganzen Schrottlawine nicht mehr aussetzen mögen, ist erfolgreich. Immer mehr von ihnen setzen sich zu ihrer Entdeckung der Alpen mit dem Mountainbike ab auf die Bergpfade, fast so tapfer wie die Bergwanderer, und das tun sie seit dreissig Jahren.
Spaziert man durch Velogeschäfte, schwant einem die nächste Mode, vielleicht die nächste Zukunft: Mit den Strom-Mountainbikes wird die Eroberung der Alpen nun elektrifiziert.

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