Eine Watsche für Rösti

Das Nein zum Autobahn-Ausbau ist eine Ohrfeige für die Bürgerlichen und den Verkehrsminister. Den Verkehrs- und Umweltverbänden lieferte er damit eine Steilvorlage. Zur Ablehnung trug aber auch die SVP-Basis bei.

Pete Mijnssen ist Chefredaktor des Velojournals.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
Kommentar, 25.11.2024

Die Sensation bahnte sich schon am frühen Nachmittag an. Bereits um 14 Uhr meldeten SRF-Hochrechnungen einen Nein-Anteil von 52 %, das Schlussresultat lag dann bei 52,7 %. Erstaunlich für eine Vorlage, die bei den ersten Umfragen noch eine Mehrheit hinter sich bringen konnte. Dass sie dann kontinuierlich an Zustimmung verlor, war zum einen der Kampagne der Verkehrs- und Umweltverbände (VCS, Umverkehr, Grüne) zu verdanken, die geschickt auf allen Kanälen ihre Klientel zu mobilisieren wussten. Zum anderen sorgten die beiden Mietrechtsvorlagen für Urnengänge bis weit in die politische Mitte. Dennoch ging man noch letzte Woche von einer Zitterpartie aus. Es hätte auch knapp ein Ja geben können. Aber es kam anders.

Frauen und SVP dagegen

Den Ausschlag gaben laut Analysen nicht nur die Frauen, die mehrheitlich gegen den Ausbau stimmten; auch ein Drittel der SVP-Wählerschaft stimmte Nein. Das lässt aufhorchen. Präsident Marcel Dettling deutete das Abstimmungsergebnis als Votum gegen die 10-Millionen-Schweiz und wollte es als Wasser auf die Mühlen der laufenden Initiativen lenken.

Der wahre Grund liegt aber tiefer. Neben der autokritischen, urbanen Schweiz stimmten nämlich viele Personen in ländlichen Regionen dagegen. Auch Gebiete, die vom Ausbau profitiert hätten. Da kommt einiges zusammen, das oberflächlich gesehen nicht zusammenpasst. Werden die Schweizerinnen und Schweizer nun mehrheitlich autokritisch? Grünen-Präsidentin Liza Mazzone frohlockt deshalb bereits über die Verkehrswende, die damit eingesetzt hätte. Dafür ist es aber wohl noch zu früh, der Blick auf die Strassen lehrt uns täglich anderes.

«Den Ausschlag gaben laut Analysen nicht nur die Frauen, die mehrheitlich gegen den Ausbau stimmten; auch ein Drittel der SVP-Wählerschaft stimmte Nein.»

Dennoch scheint das Stimmvolk (selbst-)kritisch eingesehen zu haben, dass mehr Strassen zu mehr Verkehr führen. Vielleicht spielte auch die Befürchtung mit, dass der Autobahnausbau am Schluss zu höheren Benzinpreisen führen könnte. Widersprüchliche Aussagen aus dem Astra zu den Kosten dürften zur Verunsicherung beigetragen haben. Und vielleicht auch ganz egoistische Gründe: Warum heute für etwas bezahlen, das vielleicht erst in zwanzig Jahren gebaut ist?

Mehr Klima und Velowege

Wie auch immer. Dass die Grünen nun mehr Klimaschutz und Velowege verlangen, mag ein Schlachtruf sein, den das bürgerliche Parlament bestimmt kleinzureden versuchen wird. Tatsächlich sind die 5 Milliarden Franken im Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds (NAF) gebunden und somit für den Strassenbau reserviert.

Dennoch haben die Sieger ein paar Argumente auf ihrer Seite: Der Bund ist nun gefordert, Lösungen aufzuzeigen, wie der Verkehr in Zukunft intelligent gesteuert werden kann. Road Pricing wäre eine Möglichkeit, das ist aber für die Autolobby und ihre Klientel genauso ein rotes Tuch wie neue Autobahnen für die Sieger von gestern. Ironischerweise hat sich am Wochenende indirekt eine Mehrheit für genau diese Lösung ausgesprochen. Denn verstopfte Autobahnen bringen die Menschen zum Nach- und Umdenken.

«Vielmehr ist dem Velo ein Logenplatz einzuräumen – billiger als der abgeschmetterte 5-Milliardenausbau der Autobahnen ist die Veloförderung allemal.»

Das Velo als vollwertiges Verkehrsmittel

Am naheliegendsten sind Investitionen in die Bahn-Infrastruktur, wie sie der Bund (und ja, auch Bundesrat Rösti) plant. Das Umsteigepotenzial wird damit grösser und attraktiver. Auch für den Veloverkehr als Zubringer. Verschiedene politische Vorstösse zu den sogenannten Verkehrs-Drehscheiben sind im Parlament hängig. Im Rahmen der Agglomerationsprogramme könnten nun solche Projekte vermehrt finanziell unterstützt werden. Auch Pro Velo fordert eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen, damit mehr Bundesmittel für das Velowegnetz zur Verfügung stehen.

Der Tatsache, dass über neunzig Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer im Fünf-Kilometerradius zum nächsten Bahnhof wohnen, muss in Zukunft unbedingt grösseres Augenmerk zukommen. Damit eröffnet sich eine weitere grosse Chance, das Velo endlich als vollwertigen Verkehrsträger zu verankern und die Umsetzung des Veloweggesetzes konsequent voranzutreiben.

Dennoch sind in letzter Zeit verschiedene kantonale Veloweg-Projekte Budgetkürzungen zum Opfer gefallen. Mit dem Nein vom 24. November müssen nun alle Mittel eingesetzt werden, Alternativen zur Verkehrs-Entlastung zu prüfen und umzusetzen. Budgetkürzungen auf Kosten des umweltfreundlichsten und gesündesten Verkehrsmittels sind rückgängig zu machen. Vielmehr ist dem Velo ein Logenplatz einzuräumen – billiger als der abgeschmetterte 5-Milliardenausbau der Autobahnen ist die Veloförderung allemal.

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