Erst mal was essen: Wie eine 19-Jährige härteste Rennen meistert

Direkt nach ihrem Schulabschluss ist Carlotta Schuhmacher mit ihrem Velo aufgebrochen, um das Altas Mountain Race zu bestreiten. Nach erfolgreicher Zieleinfahrt teilt sie ihre Tipps und Tricks mit Velojournal.

Aline Künzler

Aline Kuenzler, Autorin (aline.kuenzler@velogisch.ch)
News, 07.03.2025

Carlotta Schuhmacher hat geschafft, wovon viele träumen: Sie hat als jüngste Teilnehmerin das Atlas Mountain Race und das Transcontinental Race erfolgreich gemeistert – zwei der härtesten Bikepacking-Langstreckenrennen der Welt. Dies nicht nur mit beeindruckender Ausdauer, sondern auch mit einer bewundernswerten Leichtigkeit. Wir haben «Lottipower» nach ihrem Erfolgsrezept gefragt.

Mit Gelassenheit zum Ziel

Im Hafen von Cadiz habe sie sich soeben ein Ticket gekauft, erzählt Carlotta freudig. Dieses Fähre-Ticket bringt die Ultra-Fahrerin auf die Kanarischen Inseln im Atlantischen Ozean. Dort will die junge Athletin noch einige Wochen länger velofahren. Und das, obwohl sie bereits wochenlang im Sattel sitzt. Im Februar 2025 hat die 19-Jährige als jüngste Teilnehmerin in der Geschichte des Ultra-Rennens das Atlas Mountain Race in Marokko gemeistert. Dabei ist sie nicht nur 1300 km und 20'000 Höhenmeter durch das Atlasgebirge, sondern auch den Weg von ihrer Heimat in Tübingen bis zum Start nach Marrakesch pedaliert. Im mitteleuropäischen Winter sei sie bei Minustemperaturen, dick einpackt und mit eingefrorenem Bidon losgefahren. Das Ankommen am Mittelmeer habe sie bereits fast überwältig, erzählt Carlotta. Sie sei selbst stets aufs Neue beeindruckt, welche Distanzen sich auf dem Zweirad bewältigen lassen.

Statt sich von der schieren Distanz lähmen zu lassen, verfolgt Carlotta einen einfachen, aber effektiven Ansatz: Schritt für Schritt denken. «Wenn man sich das grosse Ganze ansieht, kann es einen erschlagen», sagt sie. Deshalb teilt sie ihre Reise in kleine Etappen auf, fokussiert sich auf den nächsten Tag – oder manchmal nur auf die nächsten paar Stunden.

«Erst mal was essen»

Mit Fokus zu fahren, dazu gehört gemäss Carlotta auch auf sich selbst zu achten. Gutes Essen und Erholung seien für sie unabdingbar, um motiviert zu bleiben, beteuert die junge Frau mit dem Spitznamen «Lottipower».

«Man muss sich selbst Gutes tun», erklärt sie beeindruckend nüchtern. Eine warme Dusche, ein gemütliches Bett oder frisch gekochtes Essen von ihren Gastgebern unterwegs machen die Reise angenehm und die Strapazen ertragbar.

So lautet auch ihr Tipp für schlechte Laune oder fehlende Motivation: «Erst mal was essen». Mit knurrendem Magen und niedrigem Blutzuckerspiegel könne sie weder konstruktiv denken, noch lange pedalieren. Deshalb hat sie in ihrer selbst genähten Lenkertasche immer genug Snacks griffbereit.

1,5 kg Honig und 1 kg Datteln

Der Inhalt ihrer Lenkertasche habe sich im Verlauf der Reise gewandelt: «Am Anfang hatte ich Lust auf Süssigkeiten, jetzt ziehe ich frische Sachen vor», sagt «Lottipower».

Im Hafen von Cadiz hat sie sich kurz vor dem Gespräch mit Velojournal frische Avocado und Peperoni gekauft. Zu Beginn ihrer Reise im Süden Deutschlands ernährte sich die Athletin viel lieber von Gummibärchen und Süssigkeiten. Insbesondre während des Rennens musste sich Carlottas Hunger an das karge Angebot vor Ort anpassen.

So stand sie mit 1,5 kg Honig und 1 kg Datteln im Gepäck am Start des Atlas Mountain Race. Dieser Proviant war keineswegs übertrieben, wie Carlotta rückblickend weiss. Als sie keine frischen Lebensmittel finden konnte, hat sie sich beispielweise einen ganzen Tag lang nur von Honig ernährt.

Sie verzichtet bewusst auf teure Sportgels und ernährt sich lieber so natürlich wie möglich. Wichtig ist ihr dabei, flexibel zu bleiben. Während ihren letzten Reisetagen in Spanien etwa, hat sie Tortilla für sich entdeckt. Kartoffeln und Ei seien eine günstige und leckere Energiequelle.

Konstanz schlägt Intensität

Carlotta hat keinen Trainingsplan, keinen Indoor-Trainer und verzichtet auf gezieltes Intervalltraining. Stattdessen setzt sie auf eine einfache Regel: Konstanz schlägt Intensität. «Ich fahre nicht superschnell, aber ich fahre sehr lange», sagt die junge Sportlerin. Ihre Strategie ist es, mit möglichst wenig Kraftaufwand, aber stetigem Tempo voranzukommen. Diese Methode könnten alle nutzen: Statt sich auf Geschwindigkeit zu fokussieren, solle man sich lieber an einen nachhaltigen Rhythmus gewöhnen, mit dem man viele Stunden fahren könne.

Carlottas Tipps und Tricks

Aber auch Carlotta hat Momente des Zweifelns. Doch sie kennt die Lösung: Erst mal essen. Oft liegt die Ursache für ein Tief schlichtweg bei zu wenig Energie. Ein weiterer Trick: Musik hören. Dies hilft ihr, sich abzulenken und motiviert zu bleiben.

Auch wenn sie allein fährt, fühlt sie sich nicht einsam. Im Gegenteil. «Ich habe unterwegs mehr Kontakt gehabt, als ich erwartet hätte. Die Radreise-Community ist unglaublich unterstützend und man lernt ständig neue Menschen kennen.» Insbesondere die Online-Plattform «warmshowers», über die Velofahrende Gleichgesinnte beherbergen, ermögliche ihr viele wertvolle Begegnungen.

Für Carlotta ist klar: Jede und jeder kann ein Ultra-Rennen fahren, wenn er oder sie es wirklich will. Die junge Deutsche hat vor ein paar Jahren mit 200 km langen Touren begonnen und sich Schritt für Schritt gesteigert.

Allen, die sich an lange Distanzen wagen wollen, rät sie:

Starte mit kleinen Herausforderungen

Steigere dich langsam.

Realistische Tagesziele

Setze dir ehrgeizige, aber erreichbare Etappen.

Denke an Essen und Schlaf

Sorge dafür, dass du genug isst und dich regelmässig erholst.

Sei flexibel

Mal läuft es super, mal weniger – akzeptiere deine Höhen und Tiefen.

Glaube an dich

Dein Körper kann mehr, als du denkst – der Kopf entscheidet!

Die nächste Herausforderung

Nach dem Atlas Mountain Race und dem Transcontinental Race zieht es Carlotta weiter in die Ferne. Ihr nächstes Ziel ist das Silk Road Mountain Race in Kirgistan – eines der härtesten Offroad-Rennen der Welt. Es ist anspruchsvoll, abgelegen und erfordert mentale sowie körperliche Höchstleistungen. Genau die Art von Herausforderung, die «Lottipower» sucht.

Dabei bleibt sie ihrer Philosophie treu. Man braucht nicht das perfekte Rad, spezielles Training oder teure Ausrüstung. Man muss einfach losfahren. So trägt Carlotta auch nur das Nötigste mit sich. Während des Gespräch mit Velojournal trocknet darum ihr einziges Paar Socken im Gepäck.

Der Weg ist das Ziel

Carlotta Schuhmacher beweist, dass grosse Abenteuer nicht unerreichbar sind. Sie fährt nicht, um Rennen zu gewinnen, sondern um die Welt zu erleben. Daher war für sie klar, dass sie auf keinen Fall per Flugzeug an den Start nach Marrakesch fliegen werde. So verpasse man auf dem Weg unglaublich viel, erklärt die Ultra-Fahrerin. Schliesslich sei bereits der Weg zum Start eine Entdeckungsreise.

Das Velo ist für die 19-Jährige das beste Fortbewegungsmittel, um die Welt zu entdecken. Dabei ist Carlottas Bike das wohl mit Abstand günstigste Zweirad am Start der Ultra-Rennen. Sie fährt ein Trekkingrad mit Aluminiumrahmen von Velotraum, ganz ohne Federung. «Man braucht nicht viel, um ein Ultra-Rennen zu fahren.» So ist sich die Powerfrau auch sicher: «Ultras fahren steckt in jedem Menschen. Der Wille zählt, meldet euch an, ihr schafft das!».

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