«Nach dem Solar- und dem Wind-Express brauchts einen Velo-Express»

Halbzeit bei der Velowegnetzplanung. Um fristgerecht bis Ende 2027 abschliessen zu können, braucht es noch viel Arbeit, sagt die Pro-Velo-Präsidentin im Gespräch.

Pete Mijnssen, Chefredaktor (pete.mijnssen@velojournal.ch)
Schwerpunkt, 17.09.2025

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Velojournal: Pro Velo Schweiz hat untersucht, wie weit die Kantone mit der Umsetzung des Veloweggesetzes sind. Sind Sie mit dem Stand zufrieden?

Délphine Klopfenstein: Das Thema ist auf dem Tisch, und die Kantone haben sich mit den Vorgaben des Gesetzes vertraut gemacht. Sie wissen, was sie zu tun haben. Die allermeisten Kantone haben noch keinen Umsetzungsplan erarbeitet, sondern arbeiten an den Gesetzen und am Netzplan. Das freut uns, aber das ist auch erst der Anfang der grossen Arbeit, die jetzt getan werden muss.

Neun von zehn Kantonen geben an, ihre Velowegnetzplanung für den Alltagsverkehr fristgerecht bis Ende 2027 abschliessen zu können. Unterschreiben Sie dies, oder braucht es noch mehr Tempo?

Vom Gesetz her ist klar: Es gibt eine Planungszeit und eine Zeit für die Umsetzung. Aber wir wollen nicht bis 2042 warten, bis wir anständige Velowege erhalten. Der Druck von der Strasse und der Handlungsbedarf sind gross. In den Städten hat sich der Anteil Alltagsvelofahrender in den letzten Jahren fast verdoppelt. Darum müssen die Kantone jetzt vorwärts machen.

Wie meinen Sie das?

Die Umsetzung in den Kantonen und noch stärker in den Städten startete mit grossen regionalen Unterschieden. Städte wie Basel, Bern oder Winterthur waren – und sind – anderen weit voraus. Verbindliche Ziele für den Anteil des Veloverkehrs am Gesamtverkehr fehlen noch immer meist. Beim derzeitigen Tempo wird es schwierig sein, bis 2027 ein einheitliches Planungsniveau zu erreichen.

Hätte früher gestartet werden müssen?

Ja, am besten 20 Jahre früher. Was die Veloförderung betrifft, ist die Schweiz zu wenig ambitioniert. Aber das Veloweggesetz ist eine gute Gelegenheit, um mehr zu machen. Dabei geht es auch grundsätzlich um die Veloförderung: Das Velo ist mehr als nur ein schnelles und effizientes Fortbewegungsmittel, es ist eine Lebensweise und eine Antwort auf die grossen Herausforderungen unserer Zeit.

Wo braucht es noch mehr Tempo?

Viele Kantone haben Velonetzpläne erstellt und Fachstellen geschaffen. Die Unterschiede in der Qualität sind aber teils enorm. So unternehmen etwa die Kantone Schwyz und Glarus grosse Anstrengungen dank des Veloweggesetzes. Andere Kantone wie Bern, Zürich oder auch Genf waren schon vorher aktiv. Das macht eine Evaluation schwierig. In der Umsetzung der Infrastrukturprojekte fehlt es zudem schweizweit an Personal und auch an Fachleuten.

«Was die Veloförderung betrifft, ist die Schweiz zu wenig ambitioniert. Aber das Veloweggesetz ist eine gute Gelegenheit, um mehr zu machen.»

Délphine Klopfenstein-Broggini

Das Veloweggesetz nimmt nicht nur Kantone und Gemeinden in die Pflicht, sondern auch den Bund. Wie sieht es da aus?

Der Bund hat eine wichtige Aufsichts- und Mitfinanzierungsrolle. Doch Verkehrsminister Albert Rösti und auch Jürg Röthlisberger vom Astra betonen stets, dass primär die Kantone in der Pflicht seien. Der Bund darf sich aber nicht zurückziehen. Insbesondere die Mitfinanzierung durch den Bund ist für die Kantone und Gemeinden sehr wichtig.

Was fordern Sie vom Bund?

Mehr konkrete Veloförderung und die Anerkennung, dass die aktive Mobilität ins Zentrum einer urbanen und zukunftsgerichteten Verkehrspolitik gehört. Die Menschen wollen keine neuen Stadtautobahnen, sondern Velobahnen. Das Astra will mit seiner Roadmap den Veloverkehr innerhalb von zehn Jahren verdoppeln. Das begrüssen wir sehr. Aber wir alle wissen, dass man diese Ziele nur mit Massnahmen erreicht.

Im Zwischenbericht zum Stand des Veloweggesetzes wird viel von der Abgabe sogenannter Veloweg-Geodaten an den Bund gesprochen. 12 von 27 Kantonen scheinen dabei noch nicht so weit zu sein. Warum sind Geodaten wichtig?

Daten sind wichtig, um zu wissen, was passiert. Ohne diese können wir keine fundierten Aussagen treffen, keine gemeinsame Strategie verfolgen. Das Veloweggesetz schreibt die Schaffung eines einheitlichen und durchgehenden Schweizer Netzes vor. Diese Vorgabe wird nicht erreicht, wenn jede Gemeinde, jeder Kanton nur für sich plant und baut.

Bis das theoretisch gebaut ist, dauert es noch mindestens 17 Jahre – eine sehr lange Zeit! Geht es nicht schneller?

Bis zum Erreichen des Langzeit-Ziels 2042 ist es eine gefühlte Ewigkeit. Es muss schneller gehen. Wir brauchen nach dem Solar- und dem Wind-Express auch einen Velo-Express.

Und wie soll das passieren?

Indem die Kantone und Städte merken, dass die Verbesserung der Veloinfrastruktur eben auch viele andere positive Effekte hat. Velofahren ist gut für die Gesundheit, gut für die Wirtschaft, reduziert den Autostau und entlastet den ÖV und vieles andere mehr. Und je besser die gemachten Erfahrungen werden, desto mehr Energie fliesst in die Veloförderung. Das zeigen Beispiele aus den Niederlanden oder Dänemark, wo die Entwicklung gut 30 Jahre weiter ist.

Das Astra sagt, das Nein zum Autobahnausbau sei schlecht für die Velopolitik. Stimmen Sie dem zu?

Nein, das Gegenteil ist der Fall. Die Bevölkerung hat verstanden, dass neue Autobahnen die falsche Antwort auf Stau und Bevölkerungswachstum sind. Immer mehr Auto verträgt unser kleines Land nicht.

In zwei Jahren soll die Velowegnetz-Umsetzung starten. Mehr Platz für Velos und Personen zu Fuss und weniger für Autos. Kann das gelingen?

Ja! Der Strassenraum ist vorhanden. Das Auto hat in den letzten 60 Jahren allen Platz beansprucht. Dieses Rad müssen wir ein wenig zurückdrehen – Velo- und Autofahrende profitieren von mehr Lebensqualität, weniger Stau und mehr Mobilität. Das hat das E-Bike-City-Projekt der ETH Zürich aufgezeigt. Veloinfrastruktur ist zudem viel günstiger als neue Strassen.

Zugleich werden wir voraussichtlich in der Schweiz im Jahr 2042 noch mit grösseren Mobilitätsproblemen konfrontiert sein als heute. Heisst es dann nicht wieder, es braucht mehr Autobahnen?

Natürlich nützt es nichts, wenn wir eine gute Veloinfrastruktur haben, aber dennoch immer weitere Strecken zur Arbeit pendeln oder in der Freizeit zurücklegen. Weniger ist hier mehr. Die Stadt der kurzen Wege mit ausgebauten Velo-, Fuss- und Grünflächen sowie ein guter ÖV. Das ist das Modell für die Zukunft. Darin hat auch das Auto einen Platz.

«Die Bevölkerung hat verstanden, dass neue Autobahnen die falsche Antwort auf Stau und Bevölkerungswachstum sind.»

Délphine Klopfenstein-Broggini

Konkret: Was wird sich im Alltag der Velofahrenden mit der Umsetzung des Veloweggesetzes ändern?

Wir werden hoffentlich ein attraktives und sicheres Velowegnetz sehen, das durchgehend, zusammenhängend und vom Autoverkehr getrennt ist. So fordert es das Veloweggesetz. Und dies bedeutet mehr und besseres Velofahren für uns alle.

Dennoch werden immer wieder Strecken für Velofahrende gesperrt, etwa auf der Axenstrasse (bis 2033). Was macht Pro Velo dagegen?

Pro Velo hat das Veloweggesetz mit der Veloinitiative auf den Weg gebracht. Unser Gesetz schafft hier Abhilfe: Laut Veloweggesetz müssen Velowege ersetzt werden, sobald sie nicht mehr frei und sicher befahren werden können. Dies fordern wir bei den Behörden konsequent ein.

Offenbar mit gemischtem Ergebnis. Um noch ein positives Beispiel zu nennen: Im waadtländischen La Clusette wurde ein Sicherheitsstollen zu einem Velotunnel umgebaut. Warum gibt es nicht mehr solche Lösungen?

Für solche Lösungen braucht es mutige, kreative Behördenmitglieder und Planer mit Velosicht. Da hapert es. Es braucht mehr Fachleute für den Velo- und Fussverkehr.

Welchen Stellenwert wird das Velo im Jahr 2042 haben. In der Schweiz, in Europa?

Mein Wunsch und Traum wäre ein Veloanteil, wie er heute in Kopenhagen bereits existiert. 50 % Veloanteil am Gesamtverkehr sind keine Utopie, sondern möglich. Velofahren ist nicht nur günstig und gesund, es bringt der Allgemeinheit auch Geld ein (25 Rappen pro Kilometer). Und mit dem engmaschigen ÖV-Netz verfügen wir über beste Voraussetzungen.

Ein Veloanteil wie in Kopenhagen wäre auch in der Schweizer Agglomeration möglich?

Ja, dank Veloschnellrouten, E-Bikes und einer Stärkung der Kombination Velo und ÖV. Darin steckt viel Potenzial. Und wir müssen auch die Cargobikes mitdenken.

Die SBB bewegen sich aber nur sehr langsam beim Thema Velo. Wie könnte das Tempo erhöht werden?

Wir pflegen gute Beziehungen zu den SBB. Sie sind ein Bundesbetrieb, der sich der laufenden Entwicklung nicht verschliessen kann. Velofahrende sind gute Kunden, die der Bahn auch Geld bringen. Heute kommen etwa 10 % mit dem Velo an den Bahnhof. Morgen könnten es 40 % sein, so wie in den Niederlanden.

Die 49-Jährige ist seit letztem Jahr Co-Präsidentin von Pro Velo Schweiz, zusammen mit Hasan Candan. Seit 2019 sitzt sie für die Genfer Grünen im Nationalrat. Sie setzt sich seit längerem für die Veloförderung ein und hat etwa als Koordinatorin bei 
Pro Velo Genf gearbeitet.

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