Rasende Rentner?

E-Bike und Unfälle – eine Kombination, von der man in den Medien immer wieder liest oder hört. Vieles, was man so mitbekommt, ist jedoch statistisch nicht belegbar.

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Anna Sax
28.04.2017

Die gute Nachricht zuerst: Obwohl heute vielleicht dreimal so viele Elektrovelos herumfahren wie noch vor fünf Jahren, gibt es keinen Aufwärtstrend bei der Zahl tödlich verunfallter E-Bike-Lenkerinnen. Die vom Bundesamt für Strassen (Astra) veröffentlichten Zahlen schwanken zwischen 2012 und 2016 mit einer Ausnahme im einstelligen Bereich, was ohnehin keine seriösen statistischen Aussagen zulässt. Eindeutig zugenommen hat jedoch die Zahl der schwer verletzten E-Biker in der Unfallstatistik. Ihre Zahl stieg zwischen 2012 und 2016 von 78 auf 201. Doch auch hier gilt: Aus diesen Zahlen lässt sich nicht einfach folgern, dass die Fahrt auf einem Elektrovelo besonders gefährlich sei. Die Entwicklung der Unfallzahlen dürfte knapp mit der Zunahme der schnellen Velos Schritt halten. Es sind mehr Elektrovelos auf den Strassen unterwegs, und sie legen besonders im hektischen Pendelverkehr mehr Kilometer zurück als muskelbetriebene Velos. Ergo gibt es mehr Unfälle. So weit, so logisch.

Medialer Mythos
Dennoch muss die Unfallstatistik Velo­fahrerInnen – mit oder ohne Akku – zu denken geben. Während die Anzahl der Schwerverletzten und Getöteten unter den Auto- und Motorradfahrern trotz zunehmender Verkehrsdichte stetig abnimmt, bleibt sie bei den Velofahrerinnen konstant und nimmt bei den E-Bikern sogar zu. Und so entsteht in den Medien und in vielen Köpfen der Mythos von den «rasenden Senioren», die bisher keine Ahnung vom Velofahren hatten und nun mit dem E-Bike Vollgas geben.

Beträchtliche Energie
Die deutsche Unfallstatistik zeigt: Es sind in der Tat vorwiegend Menschen im Rentenalter, die ein Elektrovelo nutzen und ergo damit verunfallen können. Damit ist aber nicht gesagt, dass sie ihr Gefährt weniger gut unter Kontrolle haben als jüngere FahrerInnen. Am stärksten boomt in der Schweiz das Geschäft mit den Elek­tro-Mountainbikes. Diese «erklimmen absatzmässig steiles Terrain», so freut sich die Velobranche. Weniger freuen sich die Wanderer und Spaziergängerinnen. Immerhin bringen die E-Bikes mindestens das Doppelte eines normalen Velos auf die Waage, sodass Masse und Geschwindigkeit sich zu einer beträchtlichen Aufprallenergie multiplizieren. Damit sich im Gelände kein neues Konfliktfeld eröffnet, braucht es gutes Fingerspitzengefühl an Klingeln und Bremshebeln.
Das allgemeine Plus an Verkehrssicherheit ist ungleich verteilt. Sicherer geworden ist es zuallererst für die Autofahrerinnen, die vom Schutz immer besserer Knautschzonen und Airbags profitieren. Von ihnen wurden in der Schweiz 2016 ein Viertel weniger als 2012, nämlich 947 statt 1204, bei Verkehrsunfällen schwer verletzt oder getötet. Auch die Motorradfahrer waren 2016 sicherer unterwegs als in den vier Jahren zuvor. Nur für die VelofahrerInnen blieb die Gefahr eines Unfalls mit schwerwiegenden Folgen konstant gross. Die Schuld dafür auf ihr unvorsichtiges und rücksichtsloses Verhalten zu schieben, greift zu kurz. Zwar sagt die Astra-Analyse der Velounfälle zwischen 2005 und 2014, dass bei mehr als der Hälfte (55%) der Velounfälle der Velofahrende Hauptverursacher war. Lässt man jedoch die Stürze ohne Fremdeinwirkung beiseite und berücksichtigt nur die Unfälle, bei denen eine Kollision zwischen einer Velofahrerin und einem motorisierten Verkehrsteilnehmer stattfand, dann war nur noch in 28 Prozent der Fälle
die Velofahrerin verantwortlich. In noch weniger Fällen waren Velofahrer an Kollisionen schuld, die sich an Wochentagen zwischen 6 und 9 Uhr, also zur Hauptverkehrszeit, ereigneten.

Hektik im Pendlerverkehr
Vieles, was wir über E-Bikes lesen und hören, ist statistisch nicht belegbar. Zunächst stimmt es nicht, dass ein E-Bike zu fahren besonders gefährlich ist im Vergleich zu einem Velo ohne Elektroantrieb. Es ist auch falsch, die Unfallopfer bei Kollisionen zwischen Velo- und Autofahrerinnen pauschal zu Tätern zu machen: Nur für ein Viertel dieser Unfälle sind die VelofahrerInnen verantwortlich. Statistisch belegt ist hingegen, dass je länger, desto weniger um sein eigenes Leben fürchten muss, wer sich mit zwei Tonnen Material umgibt, um von A nach B zu gelangen. Am meisten Velofahrerinnen kommen zu Schaden, wenn Hektik herrscht im Pendlerverkehr. Wer stresst und drängelt, übersieht schon einmal ein Fahrrad oder schneidet einem E-Biker den Weg ab. Besonders gefährliche Orte sind übrigens Verkehrskreisel. Diese weitverbreiteten Infrastrukturen zur Verflüssigung des motorisierten Verkehrs sind eigentliche Velofallen.