Stresstest für Veloland Schweiz

Jedes Jahr fahren einige Dutzend Rennrad-Verrückte innert 24 Stunden gemeinsam an ein weit entferntes Ziel. Covid-19-bedingt blieb die Thömus 24h-Tour dieses Jahr in der Schweiz. Aber wie gut ist deren Veloinfrastruktur für eine rasante Velo-Fahrt durch 14 Kantone gerüstet? Unsere Autorin fuhr mit.

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Myriam Holzner (Text und Fotos)*
News, 30.07.2020

(Bild oben) 24 Stunden auf dem Rennrad: Diese Strapaze bewältigt man nur im Team – durch geschicktes Windschatten-Fahren, aber auch durch gegenseitiges Unterstützen bei Pannen, Müdigkeit und Motivationstief. (Foto: zwischen Kerzers und Müntschemier) 

Darauf freuen sich einige Dutzend Hobby-Rennradlerinnen und -radler: Die Thömus 24h-Tour, die es seit 2016 gibt. Gefahren wird in Gruppen à 10–16 Personen, geführt durch 1–2 Leiterinnen und Leiter, begleitet von einen Kleinbus mit Verpflegung, Wechselkleidung, Werkzeug und Ersatzrad. Die Gruppen starten mit Abstand: die langsamsten zuerst, die schnellsten zuletzt. Unterwegs gibt es grosse Pausen mit warmer Verpflegung und Zeit, sich frisch einzukleiden. Am Ziel wird dann erst mal ausgiebig gefeiert – trotz müder Muskeln und Übernächtigung …
 

Das Appenzelllerland (hier: zwischen Urnäsch und Schwägalp) mit seinen hübschen Hügeln geht in die Beine: kurze, steile Aufstiege und Abfahrten wechseln sich relativ rasch ab – es gilt, die Kräfte gut einzuteilen.

Vorerst aber ging es an die Arbeit: Frühere Fahrten ins benachbarte Ausland hatten die Velo(un)freundlichkeit dieser Länder aufgezeigt – etwa schlechte Strassen(-ränder) in Italien oder mangelnde Velostreifen und -ampeln in Paris. Aber auch die «Tour de Suisse» 2020 machte klar: unser abwechslungsreiches, schönes Land kann in Sachen Velofreundlichkeit noch wacker zulegen.

4 Seen, 14 Kantone, grosse Unterschiede

7 der total 9 Gruppen absolvierten die Route «Original» (500 km / 5’600 Höhenmeter) – je 1 Gruppe die Route «Pro» (600 km / 6’300 Höhenmeter – mit Abstecher ins Fürstentum Lichtenstein) resp. die verkürzte Route «Challenge» (375 km / 4’000 Höhenmeter).

Die 24h-Tour startete wie immer in Oberried bei Bern und führte an den Neuenburgersee, über den Vue des Alpes (1’283 m.ü.M) in den Jura, durchs Baselland, an den Rhein und diesem entlang durch Aargau, Schaffhausen, Thurgau und St. Gallen, den Bodensee und weiter den Rhein hoch, über den St. Anton (1'123 m.ü.M) und durch die beiden Appenzell, bei Rapperswil über den Zürichsee ins Glarnerland und schliesslich durch Schwyz bis nach Morschach hoch über dem Vierwaldstättersee. Die erste Etappe führte zu einem grossen Teil auf SchweizMobil-Routen an den Neuenburgersee. Dabei zeigte sich einmal mehr: Diese Velowege mit engen Kurven und unübersichtlichen Kreuzungen sind nicht für «Gümmeler» angelegt, die im Flachland locker mit 35–40 km/h unterwegs sind.


Auf den ersten Höhepunkt, den Vue des Alpes, nahmen wir nicht die gut ausgebaute, aber verkehrsreiche Hauptstrasse, sondern die Nebenroute via den leicht westlich gelegenen, 140 m höheren Tête de Ran. Eine schmale, kaum von Autos befahrene Strasse erlaubte gemütliches Fahren nebeneinander – zwei steile Rampen (16 resp. 18 %) liessen die Gespräche gleichwohl verstummen …

Strassenbau und Unterhalt aus Auto-Optik

Auf der Abfahrt vom Vue des Alpes trafen wir wiederholt auf Abschnitte mit Kies auf der Strasse. Ob sie von einem kürzlichen Gewitter stammten oder schon länger dalagen? Für Autos mit 4 breiten Reifen kein Problem, bringt Kies Velofahrende – insbesondere schnelle «Gümmeler» mit 2 dünnen Reifen – schnell zu Fall. Unwetter- und andere Schäden auf und an den Strassen werden meist nur dann schnell beseitigt, wenn sie auch für Autofahrende ein Risiko darstellen. Die Fahrt am Rhein führte über Hauptstrassen. Da wir diese Strecke nachts resp. am frühen Sonntagmorgen zurücklegten, waren wir kaum mit motorisiertem Verkehr konfrontiert. Gegenüber den Radweg-Strecken stieg unser Durchschnittstempo spürbar!

Hupende und unnötig überholende Autos …

Im hügeligen Appenzell trafen wir kaum je auf Velostreifen – oft genug waren die Strassen eher eng bemessen. Hier wie auch später in den Glarner-, Zürcher- und Schwyzer Hügeln trafen wir immer mal wieder auf Autofahrende, die überfordert waren mit der Tatsache, dass sportlich Velofahrende auf der Talfahrt so schnell unterwegs sind wie ein Auto. Wiederholtes Hupen zeigte zudem: So manche Autolenkende kennen die Schweizer Verkehrsregeln nicht. Ab 10 Personen dürfen Velofahrende nämlich zu zweit nebeneinander fahren – ja sollen es eigentlich: Eine Einerkolonne à 16 Personen zu überholen ist einiges schwieriger als eine Zweierkolonne à 8 Reihen.

Veloland Schweiz? Da braucht es noch einiges …

Veloinfrastruktur für sportliche Radlerinnen und Radler fehlt in der Schweiz fast ganz: Die SchweizMobil-Routen eignen sich vor allem für gemütliche Velofahrende und Familien – wir «Gümmeler» sind zu schnell unterwegs und verpassen oft bereits die Einfahrt in einen separaten Veloweg … Auch velofreundliche Angaben über Höhe und Steigung je Kilometer, wie man sie in Frankreich und Deutschland oft bei Pässen antrifft, fehlen in der Schweiz fast vollständig.

Hier kann, muss – und soll! – die Schweiz bei der Umsetzung des Bundesbeschlusses Velo noch stark zulegen.

Zieleinfahrt in Morschach: müde, aber glücklich sind sie angekommen. Manche haben einen kürzere oder längere Strecke im Begleitfahrzeug zurückgelegt und sind später wieder mitgeradelt. Die 24h-Tour ist kein Rennen, sondern ein Teamerlebnis.

*Die Autorin fährt die Thömus 24h-Tour seit 2016.

Anmeldung für 2021 – Ziel Alpe d’Huez

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