In Europa baut der Roboter Velos

Velorahmen werden heute noch zur Mehrheit in Fernost produziert. Verschiedene Initiativen in Europa zielen jetzt aber darauf ab, die Fertigung von Alurahmen zu automatisieren und so auch ausserhalb Asiens wieder profitabel zu machen.

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Laurens van Rooijen
15.08.2019

Eine erhöhte Nachfrage kann schnell zu Engpässen führen – erst recht, wenn die Zulieferkette wegen externer Faktoren nicht sauber läuft. Davon ist aktuell auch die Velobranche betroffen: Die Lieferzeiten für Aluminiumrahmen, besonders für E-Bikes, sind in den vergangenen Monaten stark angestiegen. So stark, dass manche Velomarken dieses Frühjahr Lieferzeiten von bis zu 25 (!) Wochen ankündigten.

Die Ursachen dafür sind neben der wachsenden Nachfrage nach E-Bikes, die zudem auch noch kompliziert zu fertigen sind, auch Handelskonflikte und daraus resultierende Verschiebungen der Produktion weg von China, was andernorts zu Kapazitätsengpässen geführt hat. Schliesslich war die Produktion von Aluminiumrahmen in Taiwan zuvor aus Kostengründen Jahr für Jahr reduziert worden.

Velofabrik in Portugal.Die Firma Triangles nahm bereits im Oktober 2017 die weitgehend automatisierte Fertigung von Aluminiumrahmen in Portugal auf.

Mit Automatisierung gegen hohe Lohnkosten

Komplett überraschend kam dieser Engpass nicht. Und einige Branchenakteure haben sich bereits lange im Voraus Gedanken darüber gemacht, wie sich die Folgen mindern lassen. Eine Pionierrolle beim sogenannten Reshoring, also der Rückverlagerung der Fertigung von Fernost nach Europa, kommt der portugiesischen Firma Triangles zu.

In deren Produktionsanlagen, die sämtliche Schritte auf dem Weg zu einem modernen, hochwertigen Alurahmen abdecken, haben die Komponentenhersteller Rodi, Miranda und Ciclo-Fapril mehr als 14 Millionen Euro investiert. Die Spezialität von Triangles ist die voll automatisierte Fertigung von Aluminiumrahmen.

So lassen sich die im Vergleich zu Asien höheren Lohnkosten und der Mangel an qualifizierten Rahmenbauern in Europa umgehen.

Trangles stellt automatisiert Fahrradrahmen her. In der geräumigen Fabrik von Triangles werkeln viele Maschinen, aber Menschen sind nur wenige zur Überwachung der Vorgänge da. 

Triangles produziert bereits seit Oktober 2017 und die jährliche Fertigungskapazität beläuft sich auf 450’000 Aluminiumrahmen. Inzwischen lassen auch bekannte Markenhersteller wie Ghost bei den Portugiesen produzieren.

Decathlon lässt exklusiv rund 300’000 Stahlrahmen pro Jahr in einer anderen Fabrik in Portugal fertigen. Und mit Fritz Jou hat ein grosser Akteur aus Taiwan ein Montagewerk mit einer Kapazität von 300’000 Velos im Jahr in Portugal hochgezogen. Dieses zielt insbesondere auf die Assemblage von E-Bikes für den europäischen Markt.

Dank in Aussicht gestellten EU-Fördergeldern für strukturschwache Regionen, tiefen Löhnen, günstigen Rahmenbedingungen und der Nähe zu Hochseehäfen ist unter dem Namen «Portugal Bike Value» ein Netzwerk von Betrieben entstanden, die Rahmen und Komponenten herstellen und Montagedienste anbieten.

Automatisches Ausrichten eines Alurahmens.Selbst das Ausrichten der fertigen Aluminiumrahmen erfolgt automatisch.

Osteuropa als weiterer Produktions-Schwerpunkt

Auch in Osteuropa tut sich einiges in Sachen Reshoring: In den vergangenen Jahren sind Werke in Bulgarien, Polen und Ungarn hochgezogen worden, in denen hochwertige Velos und E-Bikes für den europäischen Markt assembliert werden.

Verwiesen sei an dieser Stelle etwa auf das neue Giant-Werk im ungarischen Gyöngyös oder auf die demnächst startende Motorenfertigung des E-Bike-Antriebs-Produzenten Bafang in Polen. Bulgarien exportiert mit rund 750’000 Einheiten eine stattliche Anzahl Velos, vor allem in die EU und die Schweiz und mit Deutschland und Frankreich als wichtigsten Abnehmern.

Dass der Gesamtwert dieser Exporte trotz abnehmender Stückzahlen nach wie vor steigt, liegt am Anteil der E-Bikes, der markant zunimmt: Dadurch steigt der durchschnittliche Wert pro exportiertem Velo deutlich an – ein Effekt, den man so auch seit einigen Jahren aus dem Velo-Fachhandel kennt.

Werksführung bei AG Motors in Polen.AG Motors CEO Wieclaw Marek (links) führt internationale Besucher anlässlich der Werkseröffnung durch die topmoderne Fertigungsanlage.

Nun hat mit AG Motors ein weiter Hersteller eine automatisierte Fertigung von Aluminiumrahmen in Podgrodzie im Südosten Polens aufgezogen. Diese ist in ein Forschungszentrum für angewandte Wissenschaften integriert. Die Polen haben laut dem Branchenportal bike-eu.com selbst rund zehn Millionen Euro investiert. Zudem hat auch die EU einen Beitrag zur Anlage geleistet.

Die neue Fabrik kann mit nur 137 Angestellten pro Tag 1500 Rahmen und pro Jahr gut 400’000 Rahmen produzieren, wobei von der Fertigung von 3-D-gedruckten Prototypen über den Zuschnitt der Rohre bis zur Lackierung alle Arbeitsschritte unter einem Dach erfolgen.

Als CEO von AG Motors betonte Wieslaw Marek bei der Eröffnung: «Während der Vorlauf bei der Rahmenfertigung in Fernost für europäische Velohersteller rund 180 Tage beträgt, bieten wir mit 30 Tagen eine markant höhere Flexibilität.» Dazu kommt, dass der Transport zu den Zielmärkten weit schneller und günstiger ist.

AG Motors Mitarbeiter zeigen, was im Werk in Polen für Fahrradrahmen produziert werden können.Mitarbeiter von AG Motors posieren mit einem von Robotern gebauten Softtail-Rahmen und einem vollgefederten Mountainbike. 

Mehr Flexibilität und Nähe zu den Märkten

Die Einweihung der neuen Fabrik, die insgesamt eine Fläche von 6100 Quadratmetern umfasst, erfolgte anfangs August. Ausser Velorahmen wird AG Motors dort auch bis zu 4000 Felgen pro Tag produzieren – ebenfalls voll automatisiert in einem patentierten Verfahren. Später sollen auch Lenker und Sattelstützen am Standort gefertigt werden.

Das Forschungszentrum von AG Motors arbeitet eng mit der Technischen Universität Krakau und mit dem Institut für Metallurgie und Materialwissenschaften der Technischen Universität von Rzeszow zusammen. Durch diese enge Kooperation von produzierender Wirtschaft und Forschung soll Polen als innovativer Standort für die industrielle Fertigung eine Aufwertung erhalten.

Insgesamt fertigen in Polen rund 4500 Angestellte rund 1,2 Millionen Velos im Jahr, von denen im vergangenen Jahr 830’000 Einheiten in den Export gingen. Diese Zahlen verdeutlichen, wie wichtig die nun im Beisein von über hundert internationalen Gästen eingeweihte Fabrik von AG Motors für den Produktionsstandort Polen ist.

 

Fotos: ZVG