Velo-Ikonen: Das Hochrad

Mit der Erfindung des Hochrads startete die industrielle Veloproduktion. Doch war das Hochrad damals noch nicht ein für jedermann zugängliches Verkehrsmittel, sondern das Statussymbol vermögender und sportiver Individualisten.

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Julie Nielsen
17.09.2019

1870 präsentierte der Engländer James Starley das Hochradmodell «Ariel», welches mit einigen Verbesserungen später als «Ordinary-Bicycle» in die Geschichte einging. Obwohl die Blütezeit des Hochrads nur zwei Jahrzehnte andauerte, hatte der Erfinder Starley mit seinem neuartigen Velo einige technische Neuerungen vorangetrieben.

Zwar hatte das «Ordinary-Bicycle» genau wie sein Vorgänger (Michauline) noch ein tretkurbelbetriebenes Vorderrad. Allerdings wurden die Laufringe aus Eisen durch Vollgummireifen ersetzt und die massiven Holzspeichen mit auf Zug belasteten Stahldrahtspeichen ausgetauscht. Durch diese Innovationen schlug das Fahrrad endgültig seine Entwicklung als eigenständiges Transportmittel ein.

Neuerung

Die einschneidendste Neuerung aber war, die Vergrösserung des Vorderrades auf circa 125cm, was in Verbindung mit dem angebrachten Tretkurbelantrieb sehr viel höhere Geschwindigkeiten ermöglichte. Das viel kleinere Hinterrad wurde auf eine nun mehr stützende Funktion reduziert. In den Folgejahren wuchs das Vorderrad auf bis zu 250cm Durchmesser an und erlaubte somit ein immer höheres Fahrtempo.

Durch den Tretkurbelantrieb drehten die Pedalen mit, auch wenn Strecke abschüssig wurde. Damit sich die Füsse nicht in den mitdrehenden Pedalen verfingen, spreizten die Fahrer die Beine jeweils weit ab. Geübte Fahrer warfen die Beine sogar einfach über den Lenker. Die Velolenker wiesen aus diesem Grund eine Moustacheform auf, bei der die Lenkstange links und rechts Vertiefungen für die Beine hatte.

Ordinary BicycleSpazierfahrt mit dem Ordinary-Bicycle.

Kein sicheres Gefährt

Die sehr hohen Vorderräder waren generell nicht ungefährlich. Um in die Pedalen treten zu können, musste der Fahrer ganz oben kurz hinter der Mittelachse des Vorderrades sitzen. Stiess das Vorderrad auf ein Hindernis, kippte der Rahmen nach vorne und der Fahrer stürzte mit dem Kopf voran auf die Strasse, wenn er nicht rechtzeitig abspringen konnte. Diese Tatsache brachte den Hochrädern in England den treffenden Spitznamen «Header» (Kopfsturz) ein. In Dänemark werden die antiken Fahrräder schlicht «Væltepeter» genannt, was auf Deutsch soviel wie Sturzpeter bedeutet.

Ein «Ordinary-Bicycle» war Ende des 19. Jahrhunderts – mit einem Preis, der etwa dem eines heutigen Kleinwagens entspricht – nicht für jedermann erschwinglich. Das Hochrad wurde daher eher zum Statussymbol vermögender sportiver Individualisten und Dandys, die sich in elitären Velorennen selbstinszenierten.

Um von hoher Warte aus die Umgebung betrachten und auf die Zeitgenossen herabsehen zu können, nahmen die Besitzer einen mühsamen Lernvorgang in Kauf: inklusive allerlei Blessuren, Knochenbrüchen und Stürzen, die tödlich enden konnten. Doch für diese Risikobereitschaft bewundert zu werden, gehörte damals zum sozialen Prestige.

 

Bilder: Commons.wikimedia.org, bearbeitet durch Velojournal: 
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hochradfahrer_-_Stadtarchiv_Neumarkt.jpg
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hy_Sandham,_Bicycling,_1887.jpg