Triathlet und Schriftsteller

Zwei Bücher stellen unser Tun auf verschiedene Weisen dar. Der Triathlet kämpft sich rund um den Globus, der Schriftsteller filetiert Schichten des radelnden Menschen.

Dres Balmer, Autor

Dres Balmer, Autor (dres.balmer@bluewin.ch)
Kultur, 02.02.2023

Eisern um die Welt

Jonas Deichmann holt die Distanzen der drei Ironman-Disziplinen hervor: Schwimmen, Radfahren und Laufen. Jetzt multipliziert er jede Strecke mit der Zahl 120, und das ergibt einen Riesen-Ironman von rund 27 000 Kilometern.

Damit es unterwegs nicht langweilig wird, macht er daraus eine Weltreise. Von München radelt er an die Adria, in der er die 460 Pflichtkilometer bis hinunter nach Dubrovnik schwimmt; das Gepäck zieht er im Floss hinterher.

Auf dem Velo durchquert er den Balkan, dreht am Schwarzen Meer nach Nordosten, durchradelt Eurasien bis Wladiwostok. Von hier geht es nach Mexiko, wo Deichmann zu Fuss seinen kleinen Anhänger auf den Strassen quer durchs Land mitzieht.

Wieder in Europa, pedalt er die letzten 3500 Kilometer von Lissabon durch Spanien, Frankreich und die Schweiz zurück nach München.

Was sich so rund liest, ist auf dem Terrain vertrackter, denn Deichmann ist von Oktober 2020 bis November 2021 unterwegs, also in der Corona-Zeit, was einiges Ungemach verursacht.

Hier sind Grenzen geschlossen, dort Visa schwer zu kriegen. Weil Frachtschiffe keine Passagiere an Bord lassen, muss Deichmann dreimal ins Flugzeug steigen.

Das Gefährlichste ist die Velofahrt unter Null auf der verschneiten euro-asiatischen Hauptstrasse durch Sibirien, und ihr gehören die spannendsten Kapitel.

Deichmann ist im Materiellen Minimalist, verzichtet auf Begleitfahrzeuge und Hilfspersonal. Seine tägliche «Social-Media-Arbeit» aber ist so emsig, dass sie ihn quer durch Mexiko zum Medienstar macht.

Schwärme von Bewunderern rennen mit, beherbergen ihn und reichen ihn weiter. Es ist, als ob diese Huldigungen ein futuristisches Digitalmärchen in die Gegenwart zauberten.

Das Limit bin nur ich

Jonas Deichmann. Polyglott im Gräfe-und-Unzer-Verlag, München 2021, 23.10 Franken

Schreibend auf dem Velo

«Wenn ich einen Psychoanalytiker hätte, würde ich ihm erzählen von den Liedern, die man den ganzen Vormittag vor sich hinsingt. Von den dunklen Gedanken, die man wiederkäut und mit wütendem Pedal zu Brei stampft.»

Das ist ein Beispiel dafür, wie Paul Fournel die Condition humaine mit dem Radfahren verbindet, in 56 Variationen, körperlich, seelisch, geistig, unter Einsatz aller Sinne, Lüste, Freuden und Leiden.

Er beschreibt, wie sich auf der langen Tour der Homo intellectus in einen homo Bicycletus verwandelt, wie sich alte Geschichten in der Schulter, am Hintern und im Knie zurückmelden, er gar in einen Dialog tritt mit seinen Oberschenkeln.

Doch in der Steigung geht er aus dem Sattel, beginnt zu tanzen. Und siehe da: «Die Schenkel frohlocken, die Waden wölben sich.» Nach dem Regen sind Strasse und Fahrer nass, doch die Laune hellt sich wieder auf: «Es gibt keine Fragen mehr, ich bin lebendig und nass.»

Fournel beschreibt die Fress- und Trinklüste des Radlers, der, aufwärts in den Serpentinen der Cevennen, vom Gemüseeintopf träumt, sich am Grossglockner nach dem Wiener Schnitzel auf der Passhöhe sehnt, wo ihn auch die «Irrsinns-Lust auf Bier» packt.

All das «gehört nicht zu den Empfindungen des Sesshaften, es ist ein tiefes Glück, das jener nie kennen wird». Fournel lässt den einfältigen Sportbetrieb weit hinter sich und radelt in höhere Sphären.

Er stellt fest, dass viele Dichter Fussgänger sind, es aber kaum Velo-Dichter gibt. Zu Unrecht, findet er, «denn das Fahrrad ist ein ausgezeichneter Arbeitsplatz für einen Schriftsteller». Denn das Radeln durchlüftet das Hirn und begünstigt das Denken.

Die Liebe zum Fahrrad

Paul Fournel. Covadonga-Verlag, Bielefeld 2022, 22.90 Franken

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