Jäger und Sammler

Velofahren ist manchmal stumpfsinnig. Darum verbinden wir es gerne mit der Beschaffung von allerlei Lebensnotwendigem. Vorerst sammeln wir also. Das Jagdpatent machen wir später.

Dres Balmer, Autor

Dres Balmer, Autor (dres.balmer@bluewin.ch)
Kultur, 05.02.2021

Mein Freund Roland fährt auch im Winter mit seinem Mountainbike durch den Wald. Tag für Tag sammelt er ein paar Aststücke ein, die er in seinen Rucksack steckt und nach Hause bringt. So haben er und seine Gattin genug Brennstoff für ihr Kaminfeuer.

Bald ist sie wieder da, die Zeit der lauen Lüfte, des Löwenzahns und Bärlauchs. Auf der Rundfahrt zieht man irgendwo einen Hundekacksack aus dem Kasten, zweigt von der Strasse ab zum Waldrand. Dort kniet man nieder, pflückt den Löwenzahn möglichst jung, kaum dem Erdboden entsprossen, und dahinter den zarten Bärlauch. Blättchen um Blättchen zupft man, das braucht seine Zeit, gibt ein gutes Gefühl, am Abend Salat und Pesto.

Dann kommt die Kirschenzeit, und da braucht es kein Säcklein mehr, weil der Verzehr vor Ort geschieht. Man kennt genau die Stelle an der Hauptstrasse, hinter Büchslen und vor Murten, wo die Äste mit den schwarzen Kirschen verführerisch auf Augenhöhe herunterhängen. Man isst die Kirschen, spuckt die Kerne auf die Strasse, hört, wie sie unter den vorüberrollenden Autoreifen knirschen und fährt mit violetten Zähnen von dannen. Zwischen Bern und Schwarzenburg, vor dem Dorf Lanzenhäusern, ist rechts ein niederer Baum mit der seltenen Apfelsorte Berner Rose.

Weil ich dort oft vorbeifahre, stelle ich fest, dass niemand diese Früchte pflückt. Ich halte hie und da an, sammle die Äpfel, die unversehrt im hohen Gras liegen, transportiere sie und beliefere die acht Haushalte unter unserem Dach.

«Bald ist sie wieder da, die Zeit der lauen Lüfte, des Löwenzahns und Bärlauchs.»

Der Spätherbst treibt mich nach Löwenberg vor Murten. Hinter dem Restaurant Stöckli ist die Hauptstrasse 1 immer intensiv befahren, weil sie diverse Autobahnzufahrten bedient. Linker Hand ist eine ganze Reihe von Nussbäumen, eine wahre Nussbaum-Allee, fünf Meter neben dem unaufhörlichen Brausen des Verkehrs. Ich sammle die Baumnüsse am Boden eigentlich in aller Öffentlichkeit, tue etwas zumindest Verdächtiges vor aller Augen, doch die Leute, die mich sehen, sind in Autos hinter Scheiben gefangen. Manche machen unfreundliche Handzeichen, hie und da schreit ein Beifahrer einen Fluch herüber, es gibt auch welche, die hupen.

Es ist eine seltsame Situation. Ich provoziere ein wenig die automobile Öffentlichkeit. Die kann mit Hupen und Fuchteln nur indirekt reagieren. Keiner kann im höllischen Gebrause anhalten, denn an der Strasse gibt es weder Trottoir noch Pannenstreifen oder Ausweichstelle, die ungeduldigen Autofahrer drängeln. Hielte einer an, um mich zu fragen, was ich da so treibe, gäbe es ein Hupkonzert, das aber nicht mir, sondern dem Anhalter gälte.

Schau, schau, da fährt ein Polizeiauto vorbei. Ich denke: Ich bin allein unterwegs, die Polizisten sind immer zu zweit. Der eine kann lesen, und der andere kann schreiben. Das Polizeiauto fährt vorüber, der Beifahrer winkt freundlich herüber, ich winke zurück.

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