Zurück aufs Velo

Velo und E-Bike sind die Verkehrsmittel der Zukunft. Was aber, wenn man gar nie richtig Radfahren gelernt hat oder sich nicht mehr traut, weil die letzte Velofahrt 20 Jahre her ist? Tipps für den Wiedereinstieg.

Julie Nielsen, Redaktorin (julie.nielsen@velojournal.ch)
Ratgeber, 02.05.2023

Wer schon lange nicht mehr auf dem Velo gesessen hat, traut sich oft nicht, sich wieder in den Sattel zu schwingen und einfach loszufahren.

Gerade im urbanen Raum ist die Hemmschwelle hoch, sich auf zwei Rädern im dichten städtischen Verkehr zu bewegen. Doch Velofahren kann man auch als erwachsene Person (wieder) erlernen.

Sowohl für absolute Anfänger wie auch für Wiedereinsteigerinnen gibt es empfehlenswerte Velo- und E-Bike-Kurse. Beispielsweise von «Friends on Bikes» oder von Pro Velo.

Aber man kann auch alleine üben. Unsere Tipps und Tricks helfen, sich an das neue Vehikel zu gewöhnen oder sich wieder sicherer im Sattel zu fühlen.

Die richtige Kleidung zum Radfahren

Nicht jedes Outfit ist zum Velofahren geeignet. Optimal sind Leggings oder bequeme Hosen. Die zurzeit wieder modernen Hosen mit weiterem und flatterndem Bein können sich zwischen Kette und Ritzel verheddern und im schlimmsten Fall zum Sturz führen. Weite Hosenbeine lassen sich aber mit speziellen Hosenklammern und -Bänder oder einer einfachen Wäscheklammer eng um den Knöchel stecken. 

Und selbst ein Rock kann mit einem simplen Trick zur Hose werden.

Auch beim Schuhwerk empfiehlt es sich, am Fuss festsitzende Schuhe ohne rutschige Sohle wie zum Beispiel Sneakers zu wählen. Sehr lange Schuhbändel können oben in den Schuh gesteckt werden, damit die Enden nicht ins Rad oder Ritzel geraten können.

Neulinge auf dem Sattel

Die meisten kleinen Kinder lernen mithilfe eines Laufrads Velofahren. Mit dem pedallosen, kleinen veloähnlichen Gefährt lernen sie die Balance zu halten, ohne sich gleichzeitig auf das Pedalieren konzentrieren zu müssen.

Maja Ravaioli, Verantwortliche für die Velokurse von Pro Velo, empfiehlt auch den erwachsenen Neulingen mithilfe eines «Laufrads» Velofahren zu lernen. Dazu soll man ein kleines Velo mit tiefem Einstieg wählen, die Pedalen abschrauben und den Sattel so einzustellen, dass man sitzend mit beiden Füssen den Boden gut erreicht. Der Gang sollte auf eine mittlere Stufe eingestellt werden.

«Gewisse Kursteilnehmer kamen mit den für sie viel zu kleinen Velos ihrer Kinder. Aber die geringe Grösse nimmt die Angst, was sehr positiv ist. Zum Üben sind Teenagervelos sehr gut geeignet», sagt Ravaioli.

Eile mit Weile

Velofahren lernt man nicht über Nacht, sondern in kleinen Schritten. Laut dem allgemeinen deutschen Fahrradclub ADFC können die meisten Menschen nach den nachfolgenden, vorbereitenden Übungen «spontan» Velofahren. Allerdings nur, wenn man die Übungen auch wirklich beherrscht. Hier gilt: Eile mit Weile.

Zuerst sollte man sich die Zeit nehmen, das Velo in Ruhe kennenzulernen. Das wackelige Zweirad kann zu Beginn beängstigend sein.

Um ein Gefühl dafür zu entwickeln, kann am Anfang das Rad in verschiedenen Varianten einfach geschoben werden. Zum Beispiel, indem einer Linie gefolgt wird oder die Bremsen getestet werden.

«Velofahren lernt man nicht über Nacht, sondern in kleinen Schritten.»

Wird das Velo nur am Sattel geschoben, kann man eine der wichtigsten physikalischen Gesetzmässigkeiten beim Radfahren erfahren – den gyroskopischen Effekt: Je schneller das Zweirad geschoben wird, desto stabiler hält es sich.

Velofahren ohne Pedalen

Nach dem ersten Kennenlernen kann es losgehen mit dem sogenannten «Gehradeln». Dabei wird das pedallose Velo wie ein Laufrad verwendet. Der ADFC empfiehlt, bevor man richtig in die Pedale tritt, erst die Bremsen ausgiebig zu testen. Danach zuerst ein Pedal anschrauben und mit dem Velo «Trottinetteln» und dabei möglichst nicht im Sattel sitzen.

Ebenfalls wird empfohlen, erst mit einem Pedal im Sattel sitzend das Anfahren zu üben. «Diese Übung macht Sinn», meint Ravaioli. «So muss man sich nicht auch auf das zweite Bein konzentrieren, damit die Pedale nicht dagegenschlägt.»

Zum Anfahren wird das Pedal von Links gesehen auf die Position von elf Uhr gebracht und der Fuss darauf abgestellt. Während man mit dem Standbein vom Boden abstösst, tritt der obere Fuss das Pedal nach unten und beschleunigt damit das Rad. Man holt also Schwung, setzt sich in den Sattel, stellt sich zurück auf die Pedale und stoppt das Velo.

«Mit Stützrädern lernt man nicht, das Gleichgewicht zu halten und durch das Gewackel kann ein beängstigendes Gefühl von Fallen entstehen.»

Maja Ravaioli, Pro Velo

Die Pedale können zwischendurch getauscht werden, damit man das Anfahren mit beiden Füssen lernen kann. Wenn es mit dem Anfahren und Bremsen gut klappt, können beide Pedale montiert werden und es kann losgehen mit dem eigentlichen Velofahren.

Oft klappt es jetzt auf Anhieb «automatisch» ohne zusätzliche Hilfsmittel. Von den ehemals beliebten Stützrädern rät Ravaioli entschieden ab: «Die sind das Schlimmste. Mit Stützrädern lernt man nicht, das Gleichgewicht zu halten und durch das Gewackel kann ein beängstigendes Gefühl von Fallen entstehen.»

Zurück im Fahrradsattel

Egal ob man absoluter Anfänger ist oder schon sehr lange nicht mehr im Sattel gesessen hat, sollte dieser am Anfang tief eingestellt werden. Am besten so, dass der Boden mit beiden Füssen bequem erreicht werden kann.

Wenn man sich sicher fühlt auf dem Velo, kann der Sattel für eine bessere Ergonomie und Kraftübertragung auf die optimale Höhe eingestellt werden. Maja Ravaioli empfiehlt, die Sattelhöhe schrittweise anzupassen:

«Am besten in Zentimeterschritten. So kann man sich langsam an den höheren Sattel gewöhnen. Der Sattel sollte nur so hoch gestellt werden, wie das Auf- und Absteigen gut funktioniert. Mit dem tiefen Sattel können die Füsse nach dem Bremsen einfach auf dem Boden abgestellt werden. Mit der richtigen Sattelhöhe muss man sich aus dem Sattel nach vorne schwingen, um abstehen zu können. Das braucht Überwindung.»

Wer die Wahl hat, sollte sich zum Üben für ein Velo mit einem tiefen Einstieg entscheiden, da dieser das Auf- und Absteigen erleichtert.

«Obwohl es E-Bikes sind, sind beispielsweise die Publibikes der Stadt Zürich oder von Bern gut geeignet als Übungsvelo», verrät Ravaioli. «Sie sind verhältnismässig klein und haben einen tiefen Einstieg.»

Im Schutzraum radeln

Der geeignete Platz zum Üben ist auto- und verkehrsfrei sowie asphaltiert oder mit einem anderen geeigneten Belag versehen. «Ein leicht abschüssiger Platz kann helfen, weil das Velo fast von selbst anrollt», meint Maja Ravaioli. «Das erleichtert das Anfahren.»

An Wochenenden eignen sich beispielsweise Pausenplätze von Schulen. Häufig sind sogar schon Strassen, Stoppschilder und andere Formen zum Velofahren üben auf dem Boden eingezeichnet.

Zu Beginn sollte man einfach Runden drehen mit dem Velo und ein Gefühl fürs Fahren entwickeln. Anschliessend kann man sich folgenden vom ADFC zusammengestellten Übungen widmen.

  • Zielgenau bremsen
  • Spur halten, schön rechts fahren
  • Kurven fahren
  • Engstellen passieren
  • Zurückblicken
  • Handzeichen geben
  • Mit anderen Personen gemeinsam fahren und üben auf diese zu reagieren

Kompakte Verkehrstheorie

Das Velo zu beherrschen, reicht nicht. Bevor es aus dem geschützten Raum auf die Strasse geht, sollte man sich mit den wichtigsten Verkehrsregeln und der gesetzlichen Veloausstattung vertraut machen.

«Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und Übung macht die Meisterin.»

Auf der Strasse

«Bevor man auf der Strasse fährt, darf man nicht mehr mit dem Velo beschäftigt sein, sondern sollte auf den Verkehr achten können», mahnt Ravaioli und ergänzt: «Natürlich sollte man nicht direkt auf grossen verkehrsreichen Strassen fahren, sondern auf kleinen Nebenstrassen und Quartierstrassen ohne viel Verkehr.»

Es ist auch von Vorteil, in einer Umgebung zu üben, die man kennt. Dann ist es auch einfacher, sich zu orientieren und man kann sich besser auf den Verkehr konzentrieren.

Zum Schluss, erklärt die Expertin: «Es braucht ein bisschen Mut, auf der Strasse zu fahren. Aber mit dem Velo kann man immer notfalls rechts ranfahren und anhalten, wenn man unsicher ist.»

Bei den ersten Ausfahrten sollte man gut auf sein Bauchgefühl hören. Wenn man sich auf der Strasse nicht mehr wohl fühlt oder die Verkehrssituation einen überfordert, sollte man anhalten, absteigen und sein Velo auf dem Trottoir schieben.

Wichtig ist, dass man sich von kleinen Rückschlägen nicht entmutigen lässt. Denn auch beim Velofahren gilt: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und Übung macht die Meisterin.