Stresstest für Veloland Schweiz

Jedes Jahr fahren einige Dutzend Rennradverrückte einen Tag lang gemeinsam an ein weit entferntes Ziel. Covid-19-bedingt blieb die Thömus 24h Tour dieses Jahr in der Schweiz. Aber wie gut ist die kantonale Veloinfrastruktur für eine rasante Velofahrt gerüstet?

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Myriam Holzner
16.09.2020

Auf die Thömus 24h Tour fiebern die Hobby-Rennradlerinnen und -radler schon lange im Voraus. Diesen Sommer fand die fünfte Austragung statt: Gefahren wird in Gruppen à 10 bis 16 Personen, geführt von 1 bis 2 Leiterinnen und Leitern, begleitet von einen Kleinbus mit Verpflegung, Wechselkleidung, Werkzeug und Ersatzrad. Unterwegs gibt es grosse Pausen mit warmer Verpflegung und Zeit, sich frisch einzukleiden. Am Ziel wird dann erst einmal ausgiebig gefeiert – trotz müder Muskeln und Übernächtigung.
Frühere Fahrten ins benachbarte Ausland zeigten schonungslos die Velo(un)freundlichkeit der einzelnen Länder auf – etwa schlechte Strassen(ränder) in Italien oder mangelnde Velostreifen und -ampeln in Paris. Aber auch die «Tour de Suisse» 2020 machte klar: Unser Land kann in Sachen Velofreundlichkeit noch zulegen.

Grosse kantonale Unterschiede

Die Tour startet wie immer in Oberried bei Bern, führt an den Neuenburgersee, über den Vue des Alpes in den Jura, durchs Baselland, entlang der Kantone Aargau, Schaffhausen, Thurgau und St. Gallen, dem Bodensee entlang und weiter den Rhein hoch. Via St. Anton gehts durch Appenzell, bei Rapperswil über den Zürichsee ins Glarnerland und schliesslich durch Schwyz bis nach Morschach über dem Vierwaldstättersee.
Die erste Etappe führt zu einem grossen Teil auf SchweizMobil-Routen. Dabei zeigt sich einmal mehr: Diese Velowege mit ihren engen Kurven und unübersichtlichen Kreuzungen sind nicht für «Gümmeler» angelegt, die im Flachland locker mit 35 bis 40 km/h unterwegs sind.
Zum ersten Höhepunkt, dem Vue des Alpes, nehmen wir nicht die verkehrsreiche Hauptstrasse, sondern die Nebenroute über den westlich gelegenen, rund 140 Meter höheren Tête de Ran. Eine schmale, kaum befahrene Strasse, die gemütliches Fahren nebeneinander erlaubt – zwei steile Rampen (16 resp. 18%) lassen die Gespräche aber verstummen.
Auf der Abfahrt vom Vue des Alpes treffen wir wiederholt Kies auf der Strasse an. Ob der von einem kürzlichen Gewitter stammt oder schon länger da liegt? Kies ist für Autos mit vier breiten Reifen kein Problem, bringt jedoch Velofahrende – insbesondere schnelle «Gümmeler» mit zwei dünnen Reifen – schnell zu Fall. Unwetter- und andere Schäden auf und an den Strassen werden meist nur dann schnell beseitigt, wenn sie auch für Autos ein Risiko darstellen.
Die Fahrt am Rhein führt über Hauptstrassen. Da wir die Strecke nachts respektive am frühen Morgen zurücklegen, sind wir kaum mit motorisiertem Verkehr konfrontiert. Gegenüber den Radwegstrecken steigt unser Tempo spürbar!
Im hügeligen Appenzell treffen wir kaum je auf Velostreifen – oft sind die Strassen eher eng. Hier wie auch später in den Hügeln begegnen wir immer wieder Autofahrenden, die mit uns sportlichen, auf der Talfahrt gleich schnellen Velofahrenden überfordert sind. Wiederholtes Hupen zeigt zudem: So manche Autolenkende kennen die Verkehrsregeln nicht. Ab zehn Personen dürfen Velofahrende nämlich zu zweit nebeneinander fahren – ja sollen es eigentlich: Eine lange Einerkolonne zu überholen ist weit schwieriger und gefährlicher als eine halb so lange Zweierkolonne.

Veloland Schweiz?

Veloinfrastruktur für sportlich Radelnde fehlt in der Schweiz fast gänzlich: Die SchweizMobil-Routen eignen sich vor allem für Gemütliche und Familien – wir schnellen «Gümmeler» verpassen oft bereits die Einfahrt in einen separaten Veloweg. Auch velofreundliche Angaben über Höhe und Steigung, wie man sie im Ausland oft bei Pässen antrifft, fehlen bei uns weitgehend. Hier kann – und muss! – die Schweiz bei der Umsetzung des «Bundesbeschlusses Velo» noch stark zulegen.


Die Autorin fährt die Thömus 24h Tour seit 2016.