Ritterlichkeit auf Elektrisch

In der Soziologie ist die E-Velo-Gesellschaft noch kaum Thema. Wie ist ihre Kultur? Hat sie Stil? Was sind ihre Sitten? Unser Autor forscht nach – und stösst dabei auf einen kleinen Knigge.

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Dres Balmer
07.05.2020

Bald sind mehr Elektrovelos unterwegs als Fahrräder ohne Akku. In den Anfangszeiten muteten die E-Maschinen an wie ausserirdische Erscheinungen, dann erinnerten die schnellen Exemplare gar an Ufos. Sie bestimmen mehr und mehr das Strassenbild. Wohin man auch blickt, sieht man sie heranschweben, vorbeiwimmern, zum Horizont sausen, in den Städten stehen ganze Halden dieser Fahrzeuge zur Miete bereit. Diese Entwicklung hinterlässt ihre Spuren in den Statistiken, der Wirtschaft, vielleicht bald in der Soziologie. Sie ist auch ein Kulturwandel.

Zur Soziologie: Man kennt Besonderheiten der Menschen auf dem Motorrad, dem Mountainbike, dem Touren- und Rennvelo. Beim E-Velo weiss man, dass elektrische Nachhilfe oft Leute aufs Zweirad bringt, die sonst nicht auf die Idee des Radfahrens kämen. Viel mehr weiss man nicht. Darum beginnt jetzt die Forschung: Schaut man sich die Preise ihrer Fahrzeuge an, gehören diese Leute dem Geld­adel an, und Adel verpflichtet. Adelige legen Wert auf Eleganz, und sie praktizieren ein höfliches, ja ritterliches Verhalten.

Bunt kleiden

Zur Eleganz: Die Pedelecs, wie die E-Velos auch heissen, sind eher klobige Geräte, die schwerfälliger aussehen, als sie sind. Also geht es nicht, dass sich die Pedelektrikerin für die Fahrt auch noch einmummt wie ein Ski-Zombie, womöglich gar in beiger Farbe, was den Eindruck muffiger Klobigkeit verstärkt. Die Leute auf Pedelecs dürften sich ruhig ein wenig sportlicher und bunter kleiden.

Zur Ausstattung: Der Ritter auf dem starken Ross schützt sein Haupt, aber gefälligst nicht mit so einem lachhaften Velohelm, sondern mit einem seines Stolzes würdigen Integralhelm samt Visier. Die Töfflijugend, die Buben und Mädchen auf den Zweitaktmopeds, zeigen es uns. Die Kuhlen unter ihnen tragen längst alle Integralhelme wie die Fahrerinnen und Fahrer schwerer Motorräder, weil das geil aussieht. 

Wie nun benimmt sich der Mensch samt Elektrovelo überhaupt? Etwa gleich wie andere Zweiradfahrer. In den Fussgängerzonen steigt er ab und schiebt sein Gefährt, dasselbe gilt auf Trottoirs und in Bahnhöfen. Wie aber verhalte ich Ped­elektriker mich gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern? Weil auch ich zur fröhlichen Zweiradfamilie gehöre, grüsse ich über Land alle Brüder und Schwestern, die, egal, ob Mountainbikerin, Einkaufsradler oder Dame auf dem Rennrad, in der einen wie der anderen Richtung unterwegs sind.

Visier aufklappen

Nähere ich mich von hinten einer Radperson, die sich mit der schieren Kraft ihrer Beine vorwärtsbewegt, ist ganz besondere Ritterlichkeit angebracht. Sobald es die Verkehrssituation erlaubt, setze ich an zum Überholmanöver und vollziehe dieses anderthalb Meter links von der zu überholenden Person. Sobald ich mich auf ihrer Höhe befinde, öffne ich das Helmvisier und rufe ihr einen Gruss oder ein Kompliment zu, und das muss ich als Erster tun. Da gilt es zu beachten, dass ich, der Elektriker, den überholten Strampler aus Respekt vor seiner mutigen Leistung siezen muss. Erwidert er meine Anrede, darf er mich duzen. So will es der Kodex.

Dann gebe ich, zur Vollendung des Überholmanövers, ein wenig Guzzi, schwenke ein paar Meter weiter vorne sanft nach rechts, werde etwas langsamer, gebe dem Hinteren so die Möglichkeit, in meinen Windschatten aufzuschliessen. So können zwei Leute gemeinsam von einem Elektromotor profitieren.

In der Umkehrung gilt dies: Nähert sich Ihnen auf Ihrem Stromrad von hinten ein ehrgeiziger Gümmeler, dann bewahren Sie ruhig Blut. Das Spiel des Gümmelers ist bloss, Ihren Windschatten zu erhaschen. Spielen Sie dieses lustige Spiel mit, heben Sie kurz das Visier und sprechen Sie ihm Mut zu. Diese Windschattenspielchen sind aber erst wieder erlaubt, wenn der Ausnahmezustand aufgehoben ist.