Pro & Kontra: Wachs – das neue Kettenöl?

Auf eine Kette gehöre Wachs, sagt Velo­mechaniker Alfons ­Weder. «Stimmt nicht», sagt ­Simon ­Ruchti. Er hält Kettenöl für die beste und vor allem alltagstauglichste Lösung.

Aline Künzler

Aline Kuenzler, Autorin (aline.kuenzler@velogisch.ch)
20.03.2025

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Pro Kettenwachs

Demonstrativ streicht Alfons Weder über die frisch gewachste Kette seines Bikes. Die sauberen Finger des Velomechanikers bestätigen dessen Schilderungen. Seit dreissig Jahren betreibt Weder zusammen mit seiner Frau den «Velo-Doktor», eine Werkstatt mit Online-Shop in Trasadingen. Ebenso lange schwört der Fachmann bereits auf Wachs statt Öl auf der Velokette. Vor drei Jahrzehnten habe eine Flasche seines Lieblingswachses rund 80 Franken gekostet. Heute bezahlt er noch einen Bruchteil dafür. Daher sei das Kettenwachs auch für den Alltagsgebrauch erschwinglich geworden und kaum teurer als ein hochwertiges Öl. Mittlerweile empfiehlt Weder seinen Kunden das Wachs für alle Velotypen.

Dies tut er nicht ganz uneigennützig: Die Velos in seiner Werkstatt und damit auch seine Hände seien seither viel sauberer. «Keine panierten Schnitzel» mehr, also völlig verklebte und verdreckte Antriebe, sieht er in seinem Laden.

Beim Wachs handle es sich um einen Trockenschmierstoff, erklärt der erfahrene Mechaniker. An einer gewachsten Kette könne im Gegensatz zu einer geölten daher kaum Schmutz oder Staub haften. Als Trägerstoff diene Wasser, welches das Wachs in die Kettenglieder kriechen lässt. Nach dem Auftragen aber verdunste die Flüssigkeit, erzählt Weder, während er eifrig die Wachsflasche schüttelt. Die Vermengung von Wasser und Wachs durch minutenlanges Schütteln vor dem Auftragen sei unabdingbar für eine gute Wirkung des Schmierstoffs. 

Für den eigentlichen Schmiervorgang bedient sich der Fachmann eines einfachen Hausmittels: Er greift zur Zahnbürste und trägt das Kettenwachs wie Zahnpasta auf ihren Borsten auf. Indem der Mechaniker die Zahnbürste an die Ketteninnen­seite hält und an der Kurbel dreht, verteilt sich das Wachs gleichmässig und bildet einen feinen Film. Danach lässt er die Kette mehrere Stunden trocknen. Hat er die Kette frisch entfettet, weil sie zuvor etwa geölt war, wiederholt er den Vorgang mehrmals. 

Dieser Aufwand lohnt sich allemal, davon ist Weder überzeugt. Er schätzt die Lebensdauer einer gewachsten Kette auf das Doppelte eines geölten Pendants. Schliesslich wirke verschmutztes Öl im Antrieb wie Schleifpapier. Es nutze nicht nur die Kette, sondern auch Ritzel und Kettenblätter stark ab und erhöhe den Widerstand beim Fahren. 

Kontra Kettenwachs

Vor allem Mountainbikes, aber auch Gravelbikes und Alltagsvelos schmiert Simon Ruchti in seiner Werkstatt «Mainstreet 42» in Bachenbülach. Der Quereinsteiger ist seit 1999 mit einer eigenen Velomarke, einem Online-Shop, aber auch als MTB-Guide tätig. Er hat eine breite Palette von Schmierstoffen im Angebot und unzählige mehr selbst ausprobiert. Ruchti bestätigt den reduzierten Kettenverschleiss durch die Anwendung von Wachs, da es weniger Schmutz anzieht als Öl. 

Als leidenschaftlicher Biker relativiert er aber, dass dies bei nassen Verhältnissen neu beurteilt werden müsse. Insbesondere Heisswachs, in das die Kette eingelegt wird, werde rasch ausgewaschen. Bei Regenwetter fehle einer gewachsten Kette so eher der Korrosionsschutz, was ein wichtiges Ziel der Kettenschmierung sei.

Muss Wachs neu aufgetragen werden, so hält Ruchti das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen für Alltagsfahrende für wenig ausgeglichen. Für die Behandlung mit Heisswachs sind ein spezielles Wachsbad und eine exakte Temperaturmessung nötig, was er kaum einer Pendlerin oder einem Tourenfahrer zumuten will. Flüssigwachs aus der Flasche könne zwar auch ein Laie auftragen, brauche aber gutes Timing und Geduld. Das Wasser im Wachsgemisch, das als Trägerstoff dient, muss nämlich verdunsten können. Daher soll die Kette mehrere Stunden vor der Fahrt, bestenfalls über Nacht, trocknen können. 

Der Alltagsfahrer denke aber meist erst ans Schmieren, wenn die Kette quietscht, also bei der ersten Kurbelumdrehung. Dann sei es zu spät für die Behandlung mit Kettenwachs, so bringt es Ruchti auf den Punkt. Wird zu früh nach dem Kettenwachsen pedaliert, ist das Wachsgemisch noch flüssig und zieht ebenfalls Schmutz an. Auch könne ein zu früh bewegter Wachsfilm von der Kette abbröckeln, erzählt der Fachmann aus Erfahrung. In diesem Fall fehle die Schmierung gänzlich.

Im Vergleich dazu sei Kettenöl einfach in der Handhabung und unter dem Strich nutzerfreundlicher. Öl sei aber auch nicht gleich Öl, betont Ruchti. Er empfiehlt daher, für Alltagsfahrten in ein hochwertiges Öl zu investieren und dieses sparsam, aber dafür regelmässig aufzutragen.