Pogacar macht die Tristesse fast vergessen

Die Rad-WM in Zürich hatte es nicht leicht: Der Tod von Muriel Furrer und das schlechte Wetter dämpften die Stimmung. Trotzdem bleiben positive Emo­tionen in Erinnerung.

Emil Bischofberger

Emil Bischofberger, Autor
Sport, 12.11.2024

Wer am letzten WM-Tag irgendwo an der Rennstrecke steht, kann ob der miesepetrigen Aussagen zu gesperrten Strassen und Quartieren im Vorfeld nur den Kopf schütteln. Was die Radprofis beim Elite­rennen an positiven Emotionen hervorrufen, wie viele Fans sie mobilisieren können, was diese für eine Stimmung verbreiten: Einen Sportevent dieser Güteklasse hat Zürich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen.

 Die Zahl der Leute am Streckenrand ist deutlich sechsstellig, an den Schlüsselstellen ist schon früh fast kein Durchkommen mehr. Die Zürichbergstrasse, diese lange, immer steiler werdende Passage, die im Alltag nur abwärts befahren wird, zeigt bergauf ihr Alpe-d’Huez-Potenzial. Die Fans stehen mehrere Reihen tief, auch die Privatgärten sind voll von Zuschauenden, die Fahrer kämpfen sich durch eine veritable Menschenschneise den Berg hoch. Dass dann zuletzt mit Tadej Pogacar auch noch der grösste Radsportler der Gegenwart dem Rennen die Krone aufsetzt, passt zu diesem Velofesttag, von dem alle, die ihn live miterlebt haben, noch lange schwärmen werden. 

Einmalige Stimmung auf der Quaibrücke

Es ist der versöhnliche Abschluss und Höhepunkt der Zürcher Rad-WM, die mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Bis diese grossen, positiven Emotionen die Stadt erfassen – zumindest entlang der Renn­strecke –, dauert es über eine Woche. Davor sind es primär kleine Einsprengsel, die positiv auffallen. Etwa das offene Training unter der Woche, bei dem Athletinnen und Athleten aller Disziplinen gemeinsam den abgesteckten City Circuit erkunden. Da rollen Usbeken hinter Zyprioten, Estinnen hinter Kolumbianerinnen und Mongolen hinter Athleten von den Bermudas über die Quaibrücke. Da folgen Rennvelos auf Tandems und auf Handbikes. 

Es ist der versöhnliche Abschluss und Höhepunkt der Zürcher Rad-WM, die mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten.

Die Inklusion, die im Vorfeld dieser WM so stark propagiert wurde, wird nie so sehr gelebt wie in diesen Trainings, wenn sich Regel- und Paraathleten die Strecke teilen. Auch der WM-Start mit den Einzelzeitfahren am ersten Wettkampf-Sonntag gelingt: Das Männerrennen startet auf der offenen Renn­bahn. Dort ist die Stimmung auch dank Septembersonne bestens. Dass der Schweizer Trumpf Stefan Küng nicht sticht, lässt sich verschmerzen, fest einkalkuliert war seine Medaille nicht. Danach folgt der Montag und mit ihm bald auch die Wolken. Anfang Woche gehen die Wetterprognosen noch von einem Regentag aus. Es werden dann drei in Folge, was auf die Stimmung drückt und kaum jemanden spontan an die Rennstrecke lockt.

Ein Todesfall erschüttert

Dazu kommt die Hiobsbotschaft am Donnerstag, als es den ganzen Nachmittag vom Himmel schüttet. Erst gegen Abend wird bekannt, dass die Zürcherin Muriel Furrer im Rennen der Juniorinnen in einer Abfahrt zu Fall kam und in kritischem Zustand ins Spital transportiert werden musste. Tags darauf folgt die Meldung, von der alle gehofft hatten, sie würde nicht kommen: Die 18-Jährige ist ihren Verletzungen erlegen. Die Nachricht macht mitten während des U-23-Rennens der Männer die Runde. Als die Fahrer beim Sechseläutenplatz ins Ziel kommen, herrscht eine gespenstische Atmo­­s­phäre.

Einst wurde die Rad-WM in der Hoffnung nach Zürich geholt, sie würde der Veloförderung weiteren Schub verleihen. Diese Hoffnung ist verpufft, im Vorfeld wie auch im Nachgang.

Wegen des Todesfalls läuft keine Musik, es herrscht Stille, einzig der Regen prasselt. Auf dem Podium erleben die drei Medaillengewinner surreale Momente: Da haben sie gerade die grössten Erfolge ihrer jungen Karrieren erzielt – und merken zugleich, dass es nicht angesagt ist, jetzt diese Emotionen auszuleben. Die drängende Frage am Freitagabend lautet: Kann sich die WM von so einem Genickschlag erholen? Sie kann, auch wenn der nicht nachlassen wollende Regen dabei nicht hilft. Das Eliterennen der Frauen am Samstag wird zur Durchhalteübung, die Tour-de-France-Siegerin Kasia Niewiadoma sagt danach, noch nie in ihrem Leben habe sie so gefroren.

Um diese Zürcher Rad-WM wirklich mit einer positiven Note abzuschliessen, brauchte es deshalb den Sonntag und das grossartige Männerrennen. Abgesehen von dieser phänomenalen Pogacar-Show: Was bleibt darüber hinaus von dieser WM? Leider nicht allzu viel. Respektive die Einsicht, dass der Event zwar grundsolide organisiert war, aber zu keinem Zeitpunkt verheimlichen konnte, dass ihm im Vorfeld wie auch in der Umsetzung die Emotionen fehlten. So plötzlich, wie er da war, so plötzlich verschwand er auch wieder.

Einst wurde die Rad-WM in der Hoffnung nach Zürich geholt, sie würde der Veloförderung weiteren Schub verleihen. Diese Hoffnung ist verpufft, im Vorfeld wie auch im Nachgang.