Peter Hummel
News,
17.05.2024
Motosacoche steigt als edles S-Pedelec wie Phoenix aus der Asche auf, immer noch mit einer Tasche im Rahmen, aber in ganz neuer Anmutung. Die Geschichte des aktuell kostspieligsten E-Bikes auf dem Schweizer Markt.
Peter Hummel
News,
17.05.2024
Nach einer ersten Begegnung mit einer Motosacoche in einem der grössten Motorradmuseen Europas im Jahre 2014 hatte der Genfer Jungunternehmer Paul Merz eine klare Eingebung: Er musste seine IT-Firmen verkaufen und sich ganz der Auferstehung dieser renommiertesten Schweizer Motorradmarke widmen; schliesslich stammte er aus einer zweiradbegeisterten Familie – er sass schon als vierjähriger Knirps auf einem Moto und fuhr mit einer Harley und seinem 91-jährigen Grossvater auf dem Rücksitz die Route 66 ab.
Da die Markenrechte erstaunlicherweise nicht vergeben waren, kaufte er sie und liess sie schützen. 2019 stellte er ein Team von zwei Designern und vier Ingenieuren aus Frankreich und der Schweiz zusammen. Als Moto-Fan dachte er eigentlich an die Reinszenierung eines Motorrads. Das lag aber schon finanziell ausserhalb jeglicher Reichweite (und vom Zeitgeist dazu).
Aber eine elektrische Neuinterpretation, mit dem ganzen Antrieb ins Rahmendreieck gepackt wie bei der Ur-Motosacoche, das sollte machbar sein – als Pedelec für 45 km/h, wie das erste Modell. Und es entstand in der Tat ein wahrer Wurf, mit einem Look, der gleichermassen klassisch wie innovativ ist: Dieser Type-A ist inspiriert von den Linien seines Vorgängers von 1901 und der Ästhetik der Motosacoche-Motorräder vor 1940.
Klar, dass eine so edle und traditionsreiche Marke nicht einfach einen Antrieb ab Stange verbaut, sondern einen eigenen – wieder «MAG» genannt; der bürstenlose Synchron-Motor gehört mit 1000 Watt nicht nur zu den stärksten für S-Pedelecs – er weist vor allem eine ungewöhnliche Outrunner-Bauart auf: Weil sich der Rotor um seine Achse dreht (und nicht andersrum wie üblich) ist er sehr effizient und bietet noch einen optischen Bonus: Durch ein Glas sind die Umdrehungen sichtbar – eine Anspielung auf ein Schweizer Uhrwerk mit Glasboden.
Ungewöhnlich ist auch der Doppelriemenantrieb: Ein Gates-Riemen überträgt die Pedalkraft und ein neuartiger langer Citroentype-Riemen mit Fischgratstruktur bringt die Motorleistung auf einen grossen Antriebsring auf der anderen Seite. Die hohe Kraftübersetzung ermöglicht eine einfache Architektur des Motors und verringert dort sowie bei der Schaltung und der Hinterradnabe den Verschleiss.
Auch die Batterie ist eine Eigenentwicklung und wird bei einer Westschweizer Firma gefertigt. Mit 1200 Wh ist auch sie eine der kapazitätsstärksten auf dem Markt; dazu hat sie eine Exklusivität zu bieten: Die «Fail-Safe Predictive Technology» ermöglicht eine Ferndiagnose der Zellen; bei Defekten kann der Nutzer zum Werkstattbesuch aufgefordert werden; dort müssen dann aber nicht mehr der ganze Akku, sondern nur noch einzelne Zellen ausgetauscht werden.
Die Batterie ist optisch bereits ein Teil der namensgebenden Sacoche; im oberen, abschliessbaren und abnehmbaren Teil ist Platz für ein Regencape, Handschuhe, Schloss und Pumpe. Das unscheinbarste, aber gewiss exklusivste Teil ist direkt in die Vorbaukappe integriert: das Display des On-Board Computers. Hier blitzt direkt die Genfer Horloger-Tradition auf: Der Mini-Bildschirm besteht wie bei hochwertigen Uhren aus Saphirglas mit Antireflexions- und Anti-UV-Behandlung. Auf kleinstem Raum werden hier alle wichtigen Informationen angezeigt – Minimalismus pur!
Nachdem die Homologierung länger dauerte, wurden die ersten Modelle letzten Herbst ausgeliefert. Die komplette Montage erfolgt im neuen Firmensitz in Satigny bei Genf. Der Preis ist vom «Subskriptionsangebot» von Fr. 12’000.– auf 15’000 gestiegen. Modernes Pricing für rare Ware (plus Einpreisung der inzwischen gestiegenen Materialkosten).
Motor: MAG 1000 W, 80 Nm mit Rekuperation
Akku: Motosacoche 1200 Wh (im Schnellmodus in 2.5 Std. ladbar)
Schaltung: Enviolo «CVT»
Gewicht: 33 kg
Preis: ab Fr. 15'290.–
motosacoche.swiss
Die schweizerisch-französischen Gebrüder Henri und Armand Dufaux präsentierten 1901 eine abnehmbare 250-cm3-Antriebseinheit, die mitsamt Tank, Batterie und Bedienelementen in den Rahmen jedes beliebigen Fahrrads dieser Zeit eingebaut werden konnte. Das Prinzip ergab gleich den Markennamen: Motosacoche, zu Deutsch Motortasche. Die MAG-Motoren (Motosacoche Acacias Genève) wurden von Motorradherstellern in ganz Europa verwendet, darunter Triumph, Matchless oder Royal Enfield. In dieser Ära wurden in ganz Europa Rennen gewonnen. Mit dem zweifachen Gewinn des Europameisterschaftstitels und mit mehreren Geschwindigkeitsweltrekorden waren 1927 und 1928 die sportlich glanzvollsten Jahre für die Schweizer Marke mit der kennzeichnenden khakifarbenen Lackierung. In den fünfziger Jahren verpasste Motosacoche zunehmend den Anschluss – 1956 wurden die letzten Motorräder hergestellt.
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