Kleines Corona-Abenteuer

Für einen Polen-Aufenthalt in unübersichtlichen Zeiten ist das Velo eine willkommene Rückversicherung. Doch der Traum von der grossen Freiheit zerbricht an der Realität.

no-image

Ivo Mijnssen, Autor (ivo.mijnssen@gmail.com)
13.11.2020

Es ist keine gute Zeit zum Reisen. Europa macht wieder zu, die Corona-Lage ist unübersichtlich und möglicherweise nicht ungefährlich. Ist es also schlau, den lange geplanten Arbeits- und Sprachaufenthalt in Krakau wirklich anzutreten?

Nach langem Zögern und Studium der Quarantänegebiete lautet die Antwort: riskant, aber machbar – mit einigen Unwägbarkeiten. Ein Schweizer liebt eine Rückversicherung, und die ist in diesem Fall das Fahrrad. Schon sehe ich mich schwer bepackt durch die mährischen Weiten Richtung Polen pedalen, unabhängig und beherzt.

Nur: In einem Tag sind die ungefähr 500 Kilometer unmöglich zu schaffen, und blöderweise hat die Regierung die Hotels geschlossen. Zudem sieht das Schlafen unter freiem Himmel im kalten Regen vor dem inneren Auge deutlich weniger romantisch aus als der Husarenritt im Herbstwind.

Das Velo muss also in den Zug. Immerhin wird es auch am Ziel der Reise einen wichtigen Zweck erfüllen, denn der Weg von der Wohnung in die Polnischstunde birgt auf zwei Rädern weniger Infektionsgefahr als im öffentlichen Verkehr. Zudem entdeckt man jede Stadt – ganz besonders eine so majestätische wie Krakau – am besten auf zwei Rädern.

Der Velofahrer ist ein Krisengewinnler, der ohne Touristen freie Fahrt hat. Trotzdem ist es traurig, an jeder Strassenecke Reiseführern zuzuschauen, die verzweifelt nach Kunden Ausschau halten.

Eine region wird zugepflastert

Die Radfahrer, auf die man trifft, sind überraschend divers. Morgens rasen Gümmeler im Vollwichs entlang der Weichsel und vorbei an der alten Königsburg auf dem Wawel zur Arbeit. In der Innenstadt rattert ein alter Herr auf einem historischen Klappervelo über die un­ebenen Pflastersteine des Hauptmarktes.

Und da sind schliesslich jene eher der Alternativkultur zuzurechnenden Velofahrerinnen und -fahrer, vor denen der nationalkonservative ehemalige Aussenminister Polens warnte, als er meinte, er wolle nicht leben in einer «Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen».

Sie machen sich auch Ende Oktober, am Tag des Generalstreiks der Frauen, bemerkbar, mit dem sie gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts protestieren: Plötzlich tauchen Hunderte von Zweirädern neben der Hauptstrasse auf und legen den Verkehr lahm. Die Autofahrer tragen es mit Fassung, viele hupen ihnen sogar unterstützend zu.

Ausserhalb der Stadt wird aber rasch klar, dass Polen ein Autoland ist. Bestünde die Moderne nur aus Strassenbau, so würde sie hier ihre volle Entfaltung finden. Wer durch die Region Kleinpolen und das benachbarte Schlesien fährt, gewinnt zuweilen den Eindruck, ein ganzes Land werde zugepflastert: 4200 Kilometer Autobahnen und Schnellstrassen gibt es in Polen bereits, fast noch einmal so viele sind im Bau oder in Planung. An den Stellen, wo der Ausbau noch stockt, ist der Verkehrskollaps umso hefiger.

Eine Ausfahrt in die Provinz ohne vertiefte Landeskenntnisse ist deshalb nicht ganz ungefährlich – immer wieder lande ich plötzlich auf autobahnähnlichen Stras­sen. Google Maps erweist sich als launischer Helfer, mit Höhen und Tiefen: Mal führt das Smartphone durch halbfertige Siedlungen mit schlammigen Wegen, dann wieder über abschüssige Mountainbikewege im Wald.

Zur Belohnung wartet aber regelmässig eine pittoreske, fast verkehrsfreie Landstrasse. Sie führt durch Dörfer, in denen Menschen an Allerheiligen vor einer Kirche beten, vorbei an Häusergruppen, die auch im Schweizer Mittelland stehen könnten, und Feldern, auf denen das Vieh weidet oder sich der Abfall türmt.

Spielverderber

Als die Rückreise nach Wien naht, regt sich erneut die Abenteuerlust. Wie schön wäre es, zumindest einen Teil mit dem Velo zu fahren, in Richtung der Hohen Tatra, diesem wunderbaren Gebirge, das ich an schönen Tagen am Horizont zuweilen erspähen kann. Eine vermutlich schneefreie Strasse gäbe es – und den Grenzübergang in die Slowakei zwischen Jurgow und Podspady, der für sein Panorama berühmt ist.

Doch es soll auch diesmal nicht sein. Wieder ist Corona schuld: Schweizer brauchen einen negativen Covid-19-Test für die Einreise in die Slowakei und dürfen als Transitreisende nicht länger als acht Stunden im Land unterwegs sein. Dafür bin ich auf dem Velo definitiv zu langsam.