Genf macht es vor

Velomassnahmen werden oft von langer Hand geplant. Die Umsetzung dauert nicht selten Jahre. Dass es auch anders geht, hat die Stadt Genf während der Corona-Pandemie gezeigt.

Fabian Baumann, Redaktor (fabian.baumann@velojournal.ch)
02.07.2021

Die Pandemie hat die Welt verändert. Das betrifft auch die Mobilität. Insbesondere während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 war das Bild auf den Strassen ein anderes als sonst. Anstatt in überfüllten Bussen, Trams und S-Bahnen waren viele Menschen zu Fuss oder per Velo unterwegs. Die per Zweirad zurückgelegten Strecken nahmen damals um bis zu 140 Prozent zu. Das ergab ein Mobilitätsmonitoring der ETH Zürich.

Im vergangenen Winter gingen die Velodistanzen – wohl auch wetterbedingt – zurück. Die laufende Auswertung der ETH zeigt aber, dass die ermittelten Kilometer seit Februar wieder angestiegen sind, teilweise um bis zu 75 Prozent.
Wenn mehr Menschen in die Pedale treten, müssen die Städte auf das geänderte Mobilitätsverhalten reagieren.

Die per Zweirad zurückgelegten Strecken nahmen damals um bis zu 140 Prozent zu.

In Barcelona, Berlin, London, Paris oder Mailand wurden temporäre Radwege angelegt. Strassenraum wurde umverteilt, um Velofahrerinnen und Fussgängern mehr Platz zu verschaffen. In der Deutschschweiz suchte man entsprechende Pop-up-Velowege vergeblich. Dafür zeigten Westschweizer Städte, allen voran Genf, dass sich der Status quo auf der Strasse mit einfachen Mitteln und vor allem sehr rasch ändern lässt.

Von temporär zu dauerhaft

In der Stadt am westlichen Ende der Schweiz wurden 2020 innert Wochen rund sieben Kilometer neue Velospuren geschaffen. Dafür mussten auf verschiedenen Strassen Parkplätze weichen. Gleichzeitig hat Genf mit einem ganzen Strauss von Massnahmen dafür gesorgt, dass die sanfte Mobilität mehr Gewicht im Verkehr erhält.

Die temporären Änderungen waren ursprünglich auf zwei Monate befristet. Stadt und Kanton kündigten aber bereits im Frühling 2020 an, sie wenn nötig zu verlängern. Wie sieht es zurzeit aus? «Im Moment sind die meisten Massnahmen, wie neu markierte Tempo-20- und Tempo-30-Zonen, Radwege oder die Erlaubnis, mit Fahrrädern Busspuren zu befahren, dauerhaft», sagt Christine Jeanneret von Pro Velo Genf. Und es sei der erklärte Wunsch der Stadt, sie dauerhaft zu machen.

Gemäss Kenntnisstand der lokalen Velolobby wurden nur zwei Velowege rückgängig gemacht. Ein Pop-up-Radweg, für den im Stadtteil Eaux-Vives eine Autospur gestrichen worden war, musste auf Druck von Gewerbe und Anwohnern weichen. Ersteres befürchtete Umsatzeinbussen, Letztere mehr «Schleichverkehr» durchs Quartier.

Eine weitere Pop-up-Spur auf den Quais war ebenfalls von kurzer Dauer. Der dafür notwendige Spurabbau für den Autoverkehr stiess bei allen ausser den Radfahrenden auf Widerstand. Die Veloführung am See wurde jedoch bereits ersetzt: Entlang des Quai du Mont-Blanc und des Quai Wilson eröffnete die Stadt Genf einen vom übrigen Verkehr getrennten und in zwei Richtungen geführten Radweg.

«Im Moment sind die meisten Massnahmen, wie neu markierte Tempo-20- und Tempo-30-Zonen, Radwege oder die Erlaubnis, mit Fahrrädern Busspuren zu befahren, dauerhaft.»

Christine Jeanneret, Pro Velo Genf

Lang geplant, schneller umgesetzt

Im Gespräch mit Velojournal verweist Christine Jeanneret darauf, dass die Genfer Bevölkerung hinter den getroffenen Sofortmassnahmen steht. Eine Petition zur Beibehaltung der Covid-19-Radwege wurde von 18 000 Personen – immerhin fast 10 Prozent der Genfer Bevölkerung – unterzeichnet. Die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger hätten die Behörden in ihrer Arbeit gestärkt.

Zu denken, Genf habe alle Verbesserungen für den Veloverkehr nur unter dem Druck der Pandemie getroffen, sei aber falsch. «Einige sagen, die Genfer Massnahmen seien aus dem Hut gezaubert worden. Aber nein, sie waren meist bereits geplant», so die Pro-Velo-Mitarbeiterin. Corona habe eher wie ein Katalysator gewirkt und die Umsetzung der Velomassnahmen beschleunigt. Und selbstverständlich habe sich ihr Verband, der dieses Jahr sein 40-jähriges Bestehen feiert, auf allen ihm zu Verfügung stehenden Kanälen für mehr Radwege und Infrastruktur starkgemacht.

Corona hat wie ein Katalysator gewirkt und die Umsetzung der Velomassnahmen beschleunigt.

Für die Zukunft wünscht sich Jeanneret noch mehr Velofahrerinnen und -fahrer, die mit ihrer Präsenz auf den Strassen die Verbesserungen rechtfertigen. «Ich habe den Eindruck, dass es weniger Autos und damit etwas weniger Stress auf den Stras­sen gibt», sagt sie. Das Velonetz sei zwar noch alles andere als perfekt.

«Aber es ist viel passiert, in kurzer Zeit.» Das Einzige, was Pro Velo bedaure, sei, dass bisher nur in der Stadt Genf rasche Verbesserungen umgesetzt wurden. Die Städte Carouge, Onex und Vernier hätten sich allesamt beim Kanton für ähnliche Massnahmen starkgemacht. «Der Kanton ging nicht auf die Angelegenheit ein, nur die Stadt Genf konnte davon profitieren», so zieht Christine Jeanneret Bilanz.

www.pro-velo-geneve.ch